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Panorama: Der Unberechenbare

Ein Tornado verwüstete am Mittwochabend zwei Orte in Sachsen-Anhalt – oder war es eine Windhose?

„Nennen Sie es bitte Tornado!“ Gleich mit den ersten Worten nimmt Jörg Kachelmann allen denjenigen, die andere Bezeichnungen wählen, den Wind aus der Hose. „Sobald der Rüssel unten am Boden ist, ist es ein Tornado“, sagt der Schweizer Meteorologe. Ob das nun hier bei uns geschehe oder in den USA.

Nennen wir den Wirbelwind also Tornado, der am Mittwochabend zwischen 18 Uhr 45 und 19 Uhr durch die beiden Ortschaften Micheln und Trebbichau in Sachsen-Anhalt fegte. Einer vorläufigen Bilanz der Polizei zufolge beschädigte er 275 Häuser, deckte Dächer ab und zerstörte die Fenster. Sechs Menschen wurden verletzt, einer von ihnen schwer. Die Sturmfront wütete am Mittwoch auch in Norddeutschland. In der schleswig-holsteinischen Kleinstadt Marne tobte ebenfalls ein Tornado, der das Dach einer Grundschule niederriss. Ein weiterer Tornado verwüstete den nördlichen Strand der Insel Borkum.

Sind Tornados, die unsereins mitunter noch als Windhosen bezeichnet, plötzlich auch in Deutschland überall zu Hause? Hat ihre Verbreitung womöglich etwas mit der Klimaveränderung zu tun?

Tornados gibt es in allen Erdteilen. Sie entstehen in heftigen Gewittern. In den USA werden Jahr für Jahr knapp 1000 Tornados gezählt, von denen aber nur wenige verheerende Folgen haben und Windgeschwindigkeiten von nahezu 500 Kilometern pro Stunde erreichen. Dann toben sie mitunter über eine Stunde lang.

Die schlimmsten Naturkatastrophen ereignen sich in den USA im mittleren Westen, in der „Tornado Alley“. Hier trifft trockene, kalte Luft aus den Rocky Mountains und teilweise auch aus Kanada auf feuchtwarme, subtropische Luft aus dem Golf von Mexiko, in dem die Wassertemperatur mitunter über 30 Grad Celsius liegt. Ob sich bei einem solchen Gewitter ein Tornado mit einer rotierenden Luftsäule bildet, hängt von den Windverhältnissen in den verschiedenen Luftschichten ab. Nur wenn die Winde unterschiedliche Richtungen und Stärken haben, kann es zu einem Tornado kommen.

Hinter den Rocky Mountains, wo sich kalte Luft absenkt, auf wärmere Bodenluft trifft und oft horizontal rotierende Wirbel hervorbringt, sind die Voraussetzungen hierfür besonders gut. Aber auch in der Poebene begünstigen die Alpen derartige Strömungsverhältnisse, die dann von Gewittern in einen vertikalen Strudel umgelenkt werden können.

„Jeder Tornado entsteht aber anders“, sagt der Meteorologe Thomas Sävert von der Unwetterzentrale in Bad Nauheim. Nach Deutschland dringt meist keine subtropische Luft vor. Die Alpen schneiden uns vom Mittelmeer ab. Deshalb sind die hiesigen Wirbelwinde in der Regel schwächer – und nur schwer zu prognostizieren. „Es ist kaum möglich vorherzusagen, ob sie entstehen“, sagt Uwe Kirsche vom Deutschen Wetterdienst. Der aufgewirbelte Dreck und die in seinem Rüssel kondensierte Kaltluft machen den Tornado erst sichtbar. Die Schneise, die er mit seinen Verwüstungen schlägt, kann einige 100 Meter breit sein, bei Stärke fünf hebt er ganze Häuser aus ihren Fundamenten und trägt sie durch die Luft. Sävert zählte allein im vergangenen Jahr in Deutschland 37 Tornados. „Wenn Deutschland ein Bundesstaat der USA wäre, lägen wir damit auf jeden Fall unter den Top Ten Amerikas“, sagt er.

Was nicht bedeutet, dass Tornados bei uns häufiger geworden sind. Zumindest gebe es dafür, statistisch gesehen, bislang keine Belege, unterstreicht Kachelmann. Allerdings ist zu erwarten, dass schwere Unwetter und Klimaextreme im Zuge der globalen Erwärmung auch bei uns zunehmen werden.

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