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Panorama: Der Wahrheit auf den Grund

Vor 20 Jahren verübte Frankreichs Geheimdienst einen Anschlag auf das Greenpeace-Schiff „Rainbow Warrior“ – Besuch am Meeresboden

Eine Landschaft im perfekten Gleichklang; grüne Hügel, sanfte Strände. Draußen, wo das Meer dunkler wird, liegen viele kleine Inseln. Delfine gleiten durchs Wasser. Alles scheint zu glitzern, und die pazifische Luft ist so klar, wie Luft nur sein kann, hier oben auf einem Hügel an der Küste von Neuseelands Nordinsel. Der Ausblick aufs Meer wird gerahmt von einem Denkmal, einem drei Meter hohen Steinbogen, der einen Regenbogen symbolisiert. Am höchsten Punkt ist eine große Schiffsschraube befestigt. Es ist der Antriebspropeller der „Rainbow Warrior“, dem Greenpeace-Schiff, das am 10. Juli 1985 den Bomben des französischen Geheimdienstes zum Opfer fiel. Ein Aufschrei ging damals um die Welt. Ein Bombenanschlag, ausgeführt im Auftrag eines zivilisierten Landes, gerichtet gegen friedliche Umweltaktivisten – die Weltöffentlichkeit war fassungslos. Für Frankreich war es eine katastrophale Propagandaniederlage. Für Greenpeace war es der bis dahin größte Propagandaerfolg, der den Namen dieses Organisation der Welt ins Gewissen brannte.

Einige Meter von dem Denkmal entfernt ruht ein großer, runder Stein im Gras. Der Name der „Rainbow Warrior“ ist in seine flache Oberfläche eingraviert, und ein Metallstreifen in der Mitte lenkt das Auge hinaus auf das Meer, dorthin, wo das Schiff heute seine letzte Ruhestätte gefunden hat. Wir befinden uns in Matauri Bay, einige Stunden nördlich von Auckland. Hier werden heute viele Menschen der Ereignisse von vor 20 Jahren gedenken.

Am Fuße des Hügels liegt ein kleiner Campingplatz, und vor einer Hütte mit Tauchausrüstungen liegt das Boot von Gary Gillbanks. Mit einem alten, rostigen Traktor schleppt er das Boot ins Wasser. „Ich schätze, ich habe in den letzten 20 Jahren mehr als 2500 Tauchgänge an der ,Warrior’ gemacht”, sagt Gary. Keine zehn Minuten später macht Gary das Boot an einer Boje fest. Obwohl die Sonne kräftig strahlt, ist das Wasser doch recht kühl, als es sich seinen Weg unter das Neopren des Tauchanzugs sucht. Wir folgen der Bojenleine in die Tiefe, und mit jedem Meter verändert sich das Licht, es wird diffus und immer grüner. In 27 Meter Tiefe dann auf sandigem Grund liegt der Rumpf der „Rainbow Warrior“. „Jewel corals“ – Juwelen-Korallen – werfen das Licht der Tachenlampe in den schillerndsten Farben zurück, und das Deck scheint aufgeteilt in unsichtbare Territorien, die von Schwärmen kleiner blauer Fische verteidigt werden. An einer Stelle nahe des Grundes kann man ein Loch im Rumpf sehen, das von der Explosion einer französischen Haftbombe herrührt.

Dann führt uns Gary in das Innere. Hummer liegen in der Dunkelheit der Kabinen, Seeanemonen haben ein herunterbaumelndes Kabel in eine Kette aus weißen, lebenden Blumen verwandelt. In einem dieser Schiffsräume starb der Greenpeace-Fotograf und zweifache Vater Fernando Pereira, den Gurt seiner Kameratasche um die Füße gewickelt. Das war sein letzter Gedanke gewesen: diesen Anschlag auf Fotos festzuhalten. Für viele Umweltbewegte ist es ein Ereignis wie für andere die Ermordung Kennedys. Sie wissen heute noch genau, wo sie waren, als sie davon erfuhren, dass die „Rainbow Warrior“ in die Luft gejagt wurde. Das Boot lag in jener Nacht im Hafen von Auckland, in der Mitte der Stadt, und die Crew bereitete sich darauf vor, erneut eine Flotte kleinerer Boote in das Gebiet des MururoaAtolls zu führen, wo die französischen Atomtests stattfinden sollten. Mit ihrer Präsenz wollten sie diese Tests verhindern. Die Welt zitterte damals mit diesen Helden in ihren kleinen rostigen Kähnen, die einer Atommacht die Stirn boten.

Was geschah in der Nacht, als die Bomben hochgingen? Davey Edward, einziger Brite und erster Maschinist an Bord, hatte mit Greenpeace-Fotograf Fernando Pereira an diesem Abend einen Zug durch die Kneipen der Stadt unternommen. Heute lebt Davey Edward in einem kleinen Ort, einige Autostunden von Matauri Bay entfernt, und führt mit seiner Frau ein Fischrestaurant. Sein Bart ist leicht ergraut. „Ich war an dem Abend mit Fernando unterwegs gewesen“, sagt Davey. „Wir kamen kurz nach Mitternacht zurück, und ich war gerade in der Messe, als die erste Bombe hochging. Ich ging in den Maschinenraum, und mir war sofort klar, dass das Boot sank. Alle Mann von Bord, war das Gebot der Stunde. Alle stürmten die Treppen hoch an Deck, alle außer Fernando, der zu seiner Kabine ging, um seine Kamera zu holen. Er wollte Fotos machen, aber die zweite Bombe, die ganz in der Nähe seiner Kabine angebracht war, überraschte ihn dort. Er wurde überwältigt von den Wassermassen, die danach das Boot fluteten, die Polizeitaucher fanden ihn später dort, ertrunken.

Das Boot wurde vom dunklen, schlammigen Hafengrund gehoben. „Zu sehen, wie sich die Besatzung durch Kisten von Habseligkeiten wühlte, um eine Uhr oder andere persönliche Andenken zu retten, war sehr bewegend. Manche versuchten verzweifelt, ein persönliches Foto zu retten. Ein Frau war so traumatisiert, dass sie noch monatelang all ihre Sachen in einer Plastiktüte herumschleppte. Das Wrack wurde notdürftig zusammengeflickt und nach Matauri Bay geschleppt, um dort nach Maori-Tradition beerdigt zu werden. Maori-Häuptlinge verbrannten Kräuter und sangen Lieder, um ihm die letzte Ehre zu erweisen.

Dover Samuels führt ein kleines Hotel in der Bucht, vis-a-vis der „Rainbow Warrior“. Er ist auch Minister für die Te-TaiTokerau-Provinz, zu der die Gegend gehört. Er führte auch die Verhandlungen zwischen Greenpeace und seinem Maori-Stamm, dem das umgebende Land gehört und der die Zustimmung dafür geben musste, die „Warrior“ in Matauri Bay zu versenken. „Die ,Warrior’ bekam ein echtes Kriegerbegräbnis”, erzählt er.

Einige waren der Meinung, dass es besser gewesen wäre, wenn man das verwundete Boot wieder repariert hätte, um damit weiter gegen die radioaktive Verseuchung des Pazifiks zu kämpfen. Aber für diejenigen, die an der Bojenleine hinuntertauchen, die erschaudern, wenn sie das Bombenloch sehen, denen der Herzschlag in den Ohren pocht, wenn sie hineingleiten in die ehemaligen Kabinen, deren Hand das rostige Metall berührt, als ob ein zartes Streicheln das Unrecht wiedergutmachen könnte, das ihr angetan worden ist – für diejenigen ist es der bewegendste Tauchgang in ihrem Leben.

Hannah Cleaver[Matauri Bay]

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