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Der erste Flieger mit Hilfsgütern nach seiner Landung in Mogadischu. Die Sicherheit der Hilfslieferungen nach Somalia ist trotz aller Anstrengungen bisher nicht gewährleistet.

© AFP

Der Westen im Zwiespalt: Hunger als Waffe

Unerwartet viele Flüchtlinge aus Somalia erreichen die Camps in Äthiopien. In ihrer Heimat mussten sie an die islamistischen Milizen 30 Prozent "Umsatzsteuer" zahlen. Ein Bericht vom Horn von Afrika.

Sie sind vor der unerbittlichen Dürre in Somalia geflohen – und nun warten sie unter unglaublichen Bedingungen auf die Aufnahme in ein Flüchtlingscamp an der äthiopischen Grenze. 13 728 Menschen sitzen in einer provisorischen Durchgangsstation in Dolo Ado, die für gerade einmal 1500 Menschen gedacht gewesen ist. „Wir richten gerade ein neues Camp ein, aber das Lager liegt auf Felsen. Dort können wir nicht einfach Latrinen bohren. Die brauchen wir aber bei so vielen Menschen“, sagte die Sprecherin des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR, Millicent Mutuli, dem Tagesspiegel in der äthiopischen Hauptstadt Addis Abeba.

Jetzt versuchen die Helfer, erst einmal provisorische Toiletten anzulegen. Auch mit den Unterkünften gibt es Probleme. Ausreichend Zelte seien zwar inzwischen geliefert worden, aber es gebe nicht genügend Helfer, die wüssten, wie man diese Zelte aufstellt. „Ich könnte das auch nicht. Aber wenn man sie nicht richtig befestigt, fliegen sie weg“, sagt Millicent Mutuli. Trotz der Defizite sollen die ersten Flüchtlinge in wenigen Tagen in die neue Zeltstadt gebracht werden, denn dort könnten sie immerhin selbst für sich kochen, sagt sie.

Besonders schlimm steht es um die Jüngsten. Eines von drei Kindern ist schwer unterernährt. Das haben die ersten Untersuchungen ergeben. „Obwohl wir versuchen, die schwer Unterernährten mit Zusatznahrung zu päppeln, sterben allein im zuletzt eröffneten Camp Kobe jeden Tag fünf bis sechs Kinder“, sagt Millicent Mutuli. „Das ist selbst in einer Notfallsituation inakzeptabel hoch.“ Offenbar fehlt es in der schwer zugänglichen Grenzregion angesichts der unerwartet hohen Zahl von Flüchtlingen noch immer an vielen Dingen.

Unterdessen rätseln die Helfer über die Motive, die die Menschen jenseits des Hungers und der bereits seit Jahren herrschenden Gewalt in Somalia nun über die Grenze nach Äthiopien treiben. Sie gehen erst, wenn die letzte Ziege oder die letzte Kuh verhungert oder verkauft ist, ist zu hören. Eine Familie habe erzählt: „Wir haben jetzt nichts mehr, was wir den Al-Shabbab-Milizen geben können.“ 30 Prozent des Verkaufspreises müsse an die islamistischen Milizen abgetreten werden, die weite Teile Somalias kontrollieren. Erst am Montag hat der somalische Radiosender Shabelle berichtet, dass Al-Shabbab-Milizen zwei Viehhirten geköpft haben und ihre Körper in Afgoye, etwa 30 Kilometer südlich der Hauptstadt Mogadischu, ausgestellt hätten. Dann zwangen sie die Bewohner, sich die Toten anzuschauen. Zuvor war es zu Kämpfen zwischen Al Shabbab und den bewaffneten Nomaden gekommen, weil die Viehhirten sich geweigert hatten, Al Shabbab einen Teil ihres Viehs zu überlassen.

Als ungewöhnlich gilt auch die Zusammensetzung der Flüchtlinge. Unglaubliche 87 Prozent der neu Angekommenen sind der UNHCR-Statistik zufolge Kinder und Jugendliche unter 18, ganze acht Prozent erwachsene Frauen, nur vier Prozent Männer. Gerüchten zufolge werden Männer von den Al-Shabbab-Milizen am Verlassen des Landes gehindert. „Das können wir nicht bestätigen“, sagt Millicent Mutuli. Tatsächlich zwingt Al Shabbab schon seit Monaten Männer und auch Kinder in die Miliz. Damit steht sie allerdings nicht allein, auch die Übergangsregierung rekrutiert Kinder. Das werfen Menschenrechtsorganisationen wie Human Rights Watch seit Monaten beiden Seiten vor.

Machen die zurückgehenden Flüchtlingszahlen in Dolo Ado Hoffnung? Allein im Juli trafen 18 000 neue Flüchtlinge ein, an Spitzentagen jeweils 2000 Menschen. Seit ein paar Tagen sind es nur noch mehrere hundert Menschen pro Tag. Möglicherweise warten andere jetzt erst einmal daheim ab, weil sie gehört haben, dass auch in Somalia selbst wieder Hilfe geleistet werden soll. Doch nicht nur in Somalia gibt es Flüchtlinge. Auch aus dem Sudan könnten demnächst wieder größere Gruppen in Äthiopien ankommen. In den Nuba-Bergen in der Provinz Süd-Kordofan verfolgen nach Aussagen von Hilfsorganisationen vor Ort nordsudanesische Regierungstruppen Nuba-Kämpfer und ihre Familien, die vor dem Ende des Bürgerkriegs mit dem inzwischen unabhängigen Südsudan gekämpft hatten.

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