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Wie steht's um uns Deutsche in Europa? Helmut Schümann umrundet unser Land mit dem Rucksack auf dem Rücken.

© privat

Deutschland drum herum (20): Grenze – was ist das?

Beim Wandern wird Helmut Schümann zunehmend philosophisch: Wandern ließe all die Euro-Kritiker verstummen, ist er sich sicher. Den Grund liefert ein kleines Schildchen auf einer unscheinbaren Brücke, das eine staatstragende Rolle einnimmt.

Sonne, endlich Sonne, Sonne im Chiemgau, Sonne in Tirol. Gestern von Sachrang nach Kufstein gelaufen. Sachrang liegt noch knapp in Deutschland, ein paar Meter die Landstraße runter ist schon Österreich. Das behauptet ein Schild am Straßenrand, wäre ich den 5er-Weg durch den Wald gegangen, wäre da kein Schild gewesen und ich würde Kufstein noch in der BRD wähnen. Seit ich von Horni Laba aus, den Lipno-See überquerend und noch etwas durch Tschechien laufend, bei Schöneben in Österreich eingelaufen bin, verschwimmt die Grenze zunehmend.

Grenze, was ist das? Eine Staatsgrenze? Eine Linie, die einen Staat vom anderen trennt. Diese Linie kommt mir inzwischen imaginär vor, virtuell. In Polen und Tschechien war sie noch erkennbar. Da standen etwa in Polen, von Nord nach Süd gelaufen, linker Hand rot- weiße Grenzpfähle, drüben, auf der anderen Seite des Flusses, waren schwarz- rot-gelbe Markierungen zu sehen. Vielleicht liegt das daran, dass sich Europa erst später entschieden hat, Polen in die Familie aufzunehmen.

An den Grenzen nach Polen und Tschechien sind noch verlassene Baracken zu sehen, ehemalige Grenzstationen, Schlagbäume musste ich keine mehr passieren. Die Grenzen sind auf östlicher Seite charakterisiert durch Handel, mit Zigaretten, Spirituosen und halbseidenen Geschäften. Die Grenze etwa zwischen Ach an der Salzach in Österreich und Burghausen an der Salzach in Deutschland sieht so aus: Auf der alten, schmalen Brücke über den Fluss ist in der Mitte rechts und links ein kleines Schild angebracht, etwa 20 mal zehn Zentimeter groß. „Staatsgrenze“ steht darauf, aber nicht, zwischen wem.

Eine Sprachgrenze gibt es hier nicht, eine Währungsgrenze auch nicht. Nicht einmal die Netzgrenze auf dem Handy existiert, drei Stunden hält das österreichische Netz noch bis tief in Bayern. Die Wirtin des Cafés in Ach (Österreich) spricht mit pfälzischem Dialekt, sie stammt, wie sie sagt, aus Elsass-Lothringen. Die Bedienung eines Cafés jenseits des Schildes sagt, dass Ach und Burghausen zwei Stadtteile einer kleinen Stadt seien. Es soll keine Grenzen mehr geben in Europa? Das funktioniert, ihr Euro-Kritiker. Die Alternative für die „Alternative für Deutschland“: Geht doch mal wandern.

Helmut Schümann umrundet derzeit Deutschland – manchmal mit dem Bus, manchmal im Regionalzug, aber meistens zu Fuß.

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