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Wie steht's um uns Deutsche in Europa? Helmut Schümann umrundet unser Land - wenn's sein muss auch mit Regencape.

© privat

Deutschland drumherum (23): Berichte von unter Wasser

Unser Kolumnist Schümann wandert weiter tapfer um Deutschland herum, obwohl man es derzeit eher als Schwimmen bezeichnen muss. Auf seinem Weg von Schattwald über Bregenz nach Konstanz erlebt er vor allem eins: Nässe. Aber immerhin auch ein bisschen menschliche Wärme.

Was gibt es schon zu berichten von unter Wasser? Den letzten Sonnenstrahl habe ich in Schattwald gesehen, im Tannheimer Tal. Er zeigte sich ein paar Sekunden, die ausreichten um Isolde Mörz zu fotografieren, die wunderbare Wirtin vom wunderbaren „Gasthof zur Post“. Am Vorabend hatten wir zusammen gesessen und über dies und das geredet, und auch darüber, dass zumindest das Wetter, das Klima, aus den Fugen gerät, wenn nicht sogar die ganze Welt. Draußen schüttete es, als hätte Noah seine Arche fertig, wir nur verpasst, sie zu betreten.

Das war der fünfte Regentag hintereinander, die Nächte nicht mitgezählt. Und wenn ich mich erinnere, wie ich von der Zugspitze aus nach Schattwald gekommen bin, dann ist Schwimmen wohl die korrekte Formulierung für meine Fortbewegung. Wir hatten trotzdem viel gelacht an diesem Abend, auch über uns Deutsche, über die Frau Mörz sagte, dass sie, wenn sie im Rudel auftreten genauso anstrengend seien wie ein russisches Rudel, ein englisches, italienisches, holländisches und auch ein österreichisches. Sie hatte dann noch ein Beispiel erzählt, den Viehabtrieb nämlich, 40, 50 Kühe hätte das Dorf oben auf einer Alm. Und früher hätten beim Abtrieb ein paar Einheimische an der Straße gestanden, eine große Sache sei dass gewesen, und heute kämen wieder 40, 50 Rindviecher vom Berg und mindestens die zehnfache Menge stünde am Straßenrand. Nein, sie hat nicht gesagt, dass das Rindviecher sind, sie lebt vom Tourismus, aber als ich sagte, dass die dann später nach Hause fahren und erzählen, dass sie richtig zünftiges Bergleben erlebt hätten, hatte sie gelacht. Ich habe dann noch einen Spaziergang gemacht, in die Dorfmitte, weil der Wasserfall draußen sich mal kurz zum Regen reduziert hatte. Aber auf dem Rückweg war er dann wieder zum Wasserfall angeschwollen, natürlich an der Stelle, wo keine Häuser stehen, die Schutz hätten bieten können.

Der Sonnenstrahl am Morgen. Der Wanderer hat sich aber nicht täuschen lassen und ist in den Bus gestiegen. Am Umsteigebahnhof in Oberjoch kam Frau Mörz noch einmal mit dem Auto vorbei und brachte mir meine Kappe, meinen Sonnenschutz hinterher. Den hatte ich im Frühstücksraum hängen gelassen, wahrscheinlich nach dem Regenschirm-Prinzip. Wenn man den aus Vorsicht mitnimmt, regnete es garantiert nicht, zumindest war das mal so, als das Klima noch Fugen hatte, und wenn man ihn voller Optimismus daheim lässt, wird man nass. Als Frau Mörz anhielt und mir die Kappe durchs Autofenster reichte, fielen erste Tropfen aus den Wolken.

Was gibt es schon zu berichten von unter Wasser? Als ich in Bregenz aus der S-Bahn stieg war der Wasserfall zum Niagara-Fall angeschwollen, zum Rheinfall von Schaffhausen, und das einzige Hotel, das schwimmend am rettenden Ufer zu erreichen war, ein Hotel, das, komme vom Himmel was wolle, zu umschwimmen ist. Ich will keine Schleichwerbung machen, auch niemand schlecht machen, aber dieses Hotel in Bregenz – es ist völlig überteuert, es bietet ein Dach über dem Kopf, aber kein Frühstück im Preis, und wenn man einen Schirm ausleihen möchte, um zum Beispiel die Abfahrtszeiten der Bodensee-Schifffahrt im Hafen zu erfragen, weil die niemand im Hotel weiß, kostet das auch noch. Also, wenn man aus dem Bahnhof in Bregenz tritt, liegt dieses Hotel sehr nah, man muss nur geradeaus gehen, es liegt dann rechter Hand, es ist Teil einer großen Kette, mit roter Schrift, es fängt mit „I“ an und hört mit „bis“ auf. Wanderer, solltest du je meinen Weg nachgehen und in Bregenz wetterbedingt aus dem Zug steigen und aus dem Bahnhof treten, nie, wirklich nie geradeaus gehen.

Was gibt es noch zu berichten von unter Wasser? Dass zwischen Hafenbecken und Mole noch etwa fünf Zentimeter Unterschied liegen. Der Bodensee, und der ist wahrlich keine Regentonne, ist in den vergangenen Tagen um 70 Zentimeter angestiegen. Noch ein paar Wasserfälle und er tritt über die Ufer. Inzwischen, es ist der Sonntag und ich stehe an Mole vier, um auf die „Austria“ zu warten, das Schiff, das mich nach Konstanz bringen soll, von wo aus ich in die Schweiz will, sind auch in Bregenz die Zufahrten gesperrt, droht allerorten Hochwasser, ist grenzübergreifend Land unter in Deutschland und Österreich, mindestens dort, keine Ahnung, wo noch überall.

Die „Austria“ nimmt normalerweise bis 1200 Passagiere mit. Als ich sie betrete am Sonntag in der Früh, liegen die anderen 1199 Passagiere wahrscheinlich noch im Trockenen. Es ist bizarr, auf einem solchen Schiff einziger Passagier zu sein, Maria, die Kellnerin, die den Kaffee bringt, den es in dem Hotel mit „I“ am Anfang und „bis“ am Ende nur gegen erheblichen Aufpreis gegeben hätte, erzählt, dass am Vortag noch polnische und tschechische Gäste an Bord gewesen seien. Sehr traurig hätten sie ausgeschaut, weil es nichts zu sehen gegeben habe, nur das allumfassende Grau. Aber sie hatten nun mal gebucht, irgendwann, als man noch glaubte, der Anfang des Juni sei ein Sommertag.

Was gibt es zu berichten von unter Wasser? Die „Austria“ legt ab mit einem Passagier. Mit mir. Treibholz schwimmt auf dem Bodensee, von oben fallen Wasserfälle auf den See, ich stehe überdacht, Maria bringt mir noch einen Milchkaffee, man wird genügsam auf so einer Umrundung Deutschlands im Regen.     

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