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Panorama: Deutschland: Rechtslage unklar

Die Rechtslage für den Grenzbereich zwischen Leben und Tod ist auch in Deutschland alles andere als klar.

Berlin (22.03.2005, 14:34 Uhr) - Der Fall der amerikanischen Wachkoma-Patientin Terri Schiavo löst auch in Deutschland Emotionen aus. Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Bischof Wolfgang Huber, spricht im Namen vieler Menschen von einem «bewegenden Einzelfall». Für den Kirchenmann zeigt der Streit in den USA um den Abbruch der Ernährung für die 41-Jährige die Aktualität der Frage, wie mit dem menschlichen Sterben umgegangen werden soll.

Die Rechtslage für den Grenzbereich zwischen Leben und Tod ist auch in Deutschland alles andere als klar. Dennoch sind sich Experten einig, dass es unwürdiges Gezerre wie in den USA um Tod oder Weiterleben hier nicht geben würde.

Die Essener Anwältin Beate Linke, im Deutschen Anwaltverein für Patientenrecht zuständig, sagt: «Wenn keine Patientenverfügung zum Abbruch der Versorgung vorliegt, hätte ein Arzt keine Chance, Maßnahmen zu ergreifen. Die lebenserhaltenden Maßnahmen müssten fortgesetzt werden.» Auch der Chef des Klinikärzteverbands Marburger Bund, Ulrich Montgomery, ergänzt: Es sei unvorstellbar, dass man hier eine Wachkoma-Patientin durch Entzug der Magensonde verhungern lasse.

In Deutschland dürfte auch ein vom Vormundschaftsgericht bestellter Betreuer, selbst wenn es der Ehemann wäre, nicht die Anweisung zum Entfernen der Magensonde geben. Denn seine Vollmacht, so Anwältin Linke, würde sich von vornherein nicht auf den Bereich «der Selbstbestimmung des Patienten» erstrecken. Auch habe sie nie einen Fall erlebt, in dem es gelungen wäre, einen Abbruch der Lebenserhaltung zu erreichen, wenn die Angehörigen lediglich Indizien für den mutmaßmaßlichen Willen des Patienten geliefert hätten.

Nur wenn eine Patientenverfügung vorliegt, wäre dies nach deutschem Recht denkbar. Allerdings hat der Bundesgerichtshof (BGH) 2003 die Reichweite der Verfügungen auf Fälle eingeschränkt, «in denen das Grundleiden einen irreversiblen und tödlichen Verlauf genommen hat». Die Eingrenzung geht weit. Selbst wenn ein Mensch in einer Verfügung für den Wachkoma-Fall den Abbruch der Ernährung angeordnet hat, dürften die Ärzte dem nicht ohne weiteres folgen.

An dieser Stelle setzt die hitzige Debatte um die Anerkennung der Patientenverfügung an. Auslöser waren Vorschläge einer Kommission des Bundesjustizministeriums, das für eine größere Verbindlichkeit des Patientenwillens eintrat. Justizministerin Brigitte Zypries (SPD) schloss sich dem an und legte im November 2004 einen Gesetzentwurf vor. Darin räumte sie dem Patientenwillen gegen eine künstliche Lebensverlängerung Vorrang ein. Das Patiententestament sollte nach ihrem Willen auch gerade für Wachkoma- und Demenzpatienten gelten, deren Erkrankung nicht zwangsläufig zum Tod führt. Das hätte die Rechtslage in Deutschland gravierend verändert.

Diese Ansicht vertrug sich aber von Anfang an nicht mit der Mehrheitsmeinung in der parteiübergreifenden Ethik-Kommission des Bundestags. Diese plädierte dafür, es im Kern bei der BGH-Linie zu belassen.

Momentan ist die Debatte wieder offen. Zypries hat auf Wunsch aus der Koalition ihren Gesetzentwurf zurückgezogen. Die Initiative soll nun aus der Mitte des Bundestags kommen. Der rechtspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Joachim Stünker, hat sich an die Formulierung gemacht. Bischof Huber ist schon jetzt skeptisch, dass der Gesetzgeber überhaupt eine befriedigende Lösung finden wird. So etwas anzunehmen, sei eine «Fiktion». (Von Ulrich Scharlack, dpa)

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