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Vertrieben vom Öl. Claudia Sundermann und ihre Familie mussten ihren Bauernhof bei Gronau verlassen. Sechs ihrer Kühe mussten getötet werden, weil sie das Erdöl-Wassergemisch getrunken hatten.

© dpa

Deutschland: Strategische Erdölreserve: Wenn Rohöl aus der Weide quillt

Im Münsterland liegt ein Teil der nationalen Reserve in Kavernen unter der Erde – und neuerdings auch darüber. Seit 50 Jahren wird Rohöl in Hohlräumen in Salzstöcken gelagert. Jetzt fragt sich: Wo ist das Leck?

Die Sundermanns sind in ein Hotel gezogen. Nicht freiwillig. Aber das Leben auf ihrem Bauernhof im Kreis Borken im Münsterland ist für sie seit gut zwei Wochen ziemlich unerträglich geworden. Am 12. April hat Klaus Sundermann nämlich Öl entdeckt - und zwar auf seiner Weide. Sechs seiner Kühe mussten getötet werden, nachdem sie von dem Öl-Wasser-Gemisch getrunken hatten. Und nicht nur auf seiner Weide, auch an zwei weiteren Stellen drückt das Öl-Wasser-Gemisch an die Oberfläche.

Der Schaden gehe schon jetzt in die Millionen Euro, sagt die Salzgewinnungsgesellschaft Westfalen (SGW). Denn offenbar stammt das Rohöl aus einer Kaverne, einem Lagerraum im Salzstock unter dem Hof der Sundermanns und eines Naturschutzgebietes. Nur wie das Öl aus rund 1500 Metern Tiefe an die Oberfläche kommt, das ist den Fachleuten der SGW und der Bezirksregierung Arnsberg nach wie vor unklar. Seit Tagen suchen sie nach einem Leck. Die Kaverne selbst, meint die SGW, sei wohl dicht. Dafür stehen die Rohrleitungen in die Kaverne unter Verdacht, denn am Zuleitungsnetz, über das das Rohöl von den Verladehäfen an der Nordsee transportiert wird, seien keine Lecks entdeckt worden. Mehr als 1000 Kubikmeter ölverseuchter Erde sind abgetragen worden, mehrere Bohrungen haben kein Ergebnis erbracht.

Dirk Sommer, Vorstand des Erdölbevorratungsverbands, sagte dem Tagesspiegel: „Das erfüllt uns mit großer Sorge und Betroffenheit, weil die Ursache noch nicht festgestellt werden konnte.“ Der Verband, der den gesetzlichen Auftrag hat, die Versorgung Deutschlands mit Erdöl und Erdölprodukten im Notfall für 90 Tage zu gewährleisten, hat bei der SGW im Kavernenfeld Epe im Kreis Borken in Nordrhein-Westfalen ein unterirdisches Lager in einem Salzstock angemietet. Dort wird Rohöl gelagert, das Teil der strategischen Erdölreserve ist.

Die SGW, ein Gemeinschaftsunternehmen der Chemiekonzerne Solvay, Vestolit und Bayer, fördert Kochsalz, das sie als Sole an Chemiefabriken liefert. Die entstehenden Hohlräume werden als Speicher für Erdgas, aber auch für Rohöl vermietet, nicht nur an die deutsche strategische Erdölreserve sondern auch an die Energiekonzerne Eon-Ruhrgas, RWE oder Trianel, die ihre Gasvorräte dort speichern. Und auch auch an den Mineralölkonzern BP, der dort ebenfalls Erdöl lagert.

Einen ähnlichen Unfall hat es noch nie gegeben

Diese Art der Lagerhaltung von Mineralöl wird in Deutschland seit rund 50 Jahren in 103 Kavernen praktiziert. Ein ähnlicher Unfall ist bisher offenbar nicht aufgetreten. Zwar ist es im vergangenen Herbst zu einem Ölunfall auf einem Kavernengelände im ostfriesischen Etzel gekommen. Da ist das Rohöl allerdings an der Oberfläche ausgelaufen, vermutet wird Sabotage. Doch ganz störungsfrei ist die Kavernenlagerung auch nicht. Anfang April gab die Bezirksregierung Arnsberg bekannt, dass bei einer Ölkaverne bei Gronau ein Druckabfall gemessen worden sei. Erst nach umfangreichen Tests durfte sie wieder in Betrieb genommen werden.

Das gesamte Naturschutzgebiet Amtsvenn-Hündfelder Moor ist inzwischen unterhöhlt. Das wurde genehmigt, weil die SGW inzwischen die Kavernen nicht mehr direkt von oben erschließt sondern mittels Horizontalbohrungen von bestehenden Kavernenplätzen aus. Insgesamt lagern zwischen Gronau-Epe und Ahaus in drei Salzkavernen 1,4 Millionen Kubikmeter Rohöl als Teil der strategischen Erdölreserve der Bundesrepublik.

2010 sind nach Angaben der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) zudem 21,3 Milliarden Kubikmeter Gas in Deutschland gespeichert worden. Die Speicherkapazität soll um weitere 11,3 Milliarden Kubikmeter vergrößert werden. Das ist eine Reaktion auf die Gaskonflikte zwischen Russland und der Ukraine. Eine nationale Gasreserve gibt es bisher allerdings nicht.

Seit 1966 gibt es die strategische Erdölreserve

Schon seit 1966 gibt es aber die strategische Erdölreserve. 1975 haben sich die Internationale Energieagentur, die Europäische Union und alle ihre Mitgliedsstaaten darauf geeinigt, eine Notreserve für 90 Tage anzulegen. 1978 hat der Bundestag mit dieser Aufgabe den Erdölbevorratungsverband (EVM) beauftragt. In anderen Ländern erledigen das Mineralölkonzerne gegen entsprechende Bezahlung. Dabei lagert der EVM drei verschiedene Produkte: Benzin, Dieselkraftstoff und Kerosin sowie Rohöl. Die bereits verarbeiteten Produkte werden in ganz Deutschland in oberirdischen Öltanks gelagert, das Rohöl dagegen liegt in Kavernen überwiegend in Niedersachsen, Schleswig-Holstein und dem Münsterland, also überall da, wo es große Salzstöcke gibt.

Umweltschützer vom BUND stellen nun die Frage, ob die Kavernenlagerung tatsächlich so sicher ist, wie das von ihren Befürwortern seit Jahrzehnten behauptet wird. Die guten Erfahrungen mit der Kavernenlagerung waren auch ein wichtiges Argument in der Debatte um ein Endlager für hochradioaktiven Atommüll. Der Unfall von Gronau könnte da noch eine Rolle spielen.

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