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DSDS

© Kögel

Deutschland sucht den Superstar: DSDS: Die Suchmaschine

Am Samstag endet "DSDS" und es wird noch ein Superstar gefunden sein, der dann doch keiner ist. Trotzdem war die sechste Staffel erfolgreicher als alle anderen - und sie war härter.

Eva Tor aus Köln kann das alles nur am Fernseher verfolgen. Eintrittskarten hat sie nicht mehr bekommen, 45 Euro hätten die gekostet, sind aber längst ausverkauft. Frau Tor ist 68 Jahre alt, hat früher in der Psychiatrie gearbeitet und trinkt Sonnabend vergangener Woche bei Ikea im Gewerbegebiet gleich neben den Coloneum-Studios von RTL einen Kaffee. „Daniel wird’s“, sagt sie und isst dazu ein Stück Mandelkuchen. Als ihr Bruder sie vor wenigen Wochen nach Jahren mal wieder besuchte, haben sie abends das Gespräch unterbrochen, um die Sendung zu sehen. „Mein Bruder und seine Frau, die gucken wie wahnsinnig.“

Es ist ein Phänomen.

Heute ist Finale, geht die inzwischen sechste Staffel von „DSDS“, von „Deutschland sucht den Superstar“ zu Ende. Sie war erfolgreicher als alle zuvor. Fast sechs Millionen Zuschauer werden heute ab 20 Uhr 15 beim Fernsehsender RTL erwartet. Der Marktanteil von „DSDS“ bei der finanzkräftigen Zielgruppe der 14- bis 49-Jährigen liegt bei rund 30,3 Prozent. Das sind Zahlen, die sich einem weltweiten Trend entgegenstemmen:

Wegen der Finanzkrise machen die privaten Fernsehsender durchschnittlich bis zu 20 Prozent Verluste bei den Werbeeinnahmen, doch mit den kurzen 30-Sekunden Spots während der „DSDS“-Show setzt RTL diesem Jahr die Preise höher als 2008. Eine Folge davon: Es werden weniger Tanzeinlagen einstudiert, um Platz zu machen für Werbezeit. Letztes Jahr hatte die Sendung durchschnittlich rund 5,34 Millionen Zuschauer. Dieses Jahr sind es 5,46.

Für die sechste Staffel wurde das Konzept verändert, damit erklärt RTL den Erfolg. Es wurde persönlicher, die Sendung bekam mehr Soap-Charakter, und sie wurde härter. Es hat in den Castings seit Sommer 2008 und in den acht großen Shows der letzten zwei Monate nicht nur „DSDS“-Hauptjuror Dieter Bohlen Kandidaten fertig gemacht und eine Kandidaten-Fangruppe die andere, es haben sich auch Kandidaten gegenseitig beleidigt.

In den Fernsehsequenzen, in der Presse. Vieles davon: nichts als Show.

„Totaler Quatsch, ich habe nie über meine Konkurrentin Annemarie gesagt, dass ich dieses Weib hasse, wie es in der Zeitung stand“, sagt Daniel Schuhmacher. Der 22-jährige Industriekaufmann aus Pfullendorf in Baden-Württemberg muss aber schnell weiter, zur Probe, Halbfinale. Er schleudert seine ins Gesicht gefönten blonden Haare nach hinten. Daniel ist der Favorit dieser Staffel und in Köln tragen viele Jungs dieselbe Frisur wie er.

Seine Konkurrentin im Finale ist Sarah Kreuz. Auch bei ihr sind gerade Haare Thema. Stylistinnen und Assistentinnen zupfen hier an ihr herum, bürsten dort. Hairstyling ist in Raum 314, Maske in 318. Sarahs Vater hat seinen Lastwagen verkauft und vom Erlös Prepaid-Handykarten gekauft, die überall verteilt, damit die Beschenkten bei „DSDS“ für seine Tochter stimmen. Sarah Kreuz kann diese Geschichte nicht mehr hören.

Hinter die Kulissen darf man nur, wenn man bei Grundy Light Entertainment akkreditiert ist und an der Security vorbei kommt. Grundy ist die Produktionsfirma hinter der Superstar-Maschinerie. Insgesamt arbeiten rund 120 Menschen an der Show. Im PR-Bereich sind ein halbes Dutzend Mitarbeiter beschäftigt. Es gibt außer den Kandidaten und Juroren, den Haar- und Dressexperten, noch die Psychologen, die Bühnenbauer, Licht- und Tontechniker, Ergebnisse werden von einem Notar geprüft. 120 Mitarbeiter, das ist ein mittelständisches Unternehmen. Jedes Jahr wieder sind sie eine Suchmaschine, der es viel mehr ums Suchen geht als ums Finden. Die Aufmerksamkeit für die Kandidaten ist während der Sendung höher als danach.

Einen Superstar findet man doch nicht mal schnell per gebührenpflichtigem Mehrheitsentscheid. Superstars werden anders groß. Aber trotzdem hilft die Suche den Kandidaten, bietet ihnen außergewöhnliches. Sarah Kreuz, die 19-Jährige aus Poppenhausen ohne Schul- und Berufsabschluss, hatte Gesangslehrer und einen Choreographen, sie flog zu Coachings nach Teneriffa, Supermodel Bruce Darnell brachte ihr bei, wie man sich damenhaft benimmt. Sie sagt, sie sei erwachsener geworden. „Entschuldigung bitte.“ Sarah Kreuz läuft zum Ankleideraum, hinter ihr spurtet eine junge Frau mit erhobener Haarspraydose. In Raum 318 wird die Kandidatin zurechtgemacht. Sie ist hier die Diva. Kostümstylistin Despina Zourelidou sucht mit den Sängern die teuren Designer-Stücke für den Bühnenauftritt aus, für die die Kandidaten dann später von der DSDS-Jury vor der Kamera beschimpft werden: „Die Klamotte von Kik, der Gesang von Kack“, hat Dieter Bohlen zu Dominik Büchele gesagt, der ist ausgeschieden.

Auch die zur Superzicke stilisierte Kandidatin Annemarie Eilfeld bekam einiges zu hören. Zu freizügig, ihre Auftritte, die Röcke zu kurz, die Tops zu knapp. Billig. Wehren zwecklos. Man habe ihr die Kleider am Leibe gekürzt, rechtfertigt sie sich jetzt. Sie hat aber wiederum für die Pro-Annemarie-Kampagne der „Bild“-Zeitung einiges freiwillig ausgezogen.

Zicke, Diva, Rocker, Paradiesvogel, Außenseiter – so bekam jeder Zuschauer seine Identifikationsfigur. Von Mädchenschwarm Daniel Schuhmacher behaupten jetzt einige, dieser feminine Kreischtyp müsse einfach schwul sein, vielleicht wisse er es nur selbst noch nicht oder dürfe es wegen dem Sendekonzept nicht sein. Daniel sagt: Nein, ich bin hetero! Wenn RTL einen Superstar sucht, findet das Millionenpublikum noch sein Intimstes heraus.

Zu den beiden Finalisten Sarah und Daniel dürfen heute nur die RTL-Teams in den Backstagebereich. Vergangenen Sonnabend knieten Medienvertreter zu ihren Füßen, während die Stylisten an ihnen arbeiteten. Zwei Tage vor dem Finale geben Sarah und Daniel mit ihren Betreuern an der Seite im Fünfminutentakt Telefoninterviews mit eingestelltem Lautsprecher. Nervt das nicht? „Nein, das übt“, sagt Sarah, „außerdem bekomme ich über die Fragen mit, was die Leute da draußen beschäftigt.“ Wir hier drinnen, die da draußen.

Vor drei Monaten war Sarah selbst noch eine von denen da draußen. Auch ihr Konkurrent Daniel war einer von denen, die angerufen haben. Die da draußen zieht es zu denen da drinnen. „Die Mädchen wollen sich immer wieder reinschleichen, keine Chance“, sagt der Pförtner an der Hintereinfahrt. Sogar aus Holland und Italien reisen sie an zu „DSDS“, was die Tourismuswerber freut, die Köln deshalb in diesem Jahr als Medienstadt vermarkten. Selbst der Busfahrer von Daniel Schuhmachers Fangemeinde gibt Autogramme. Die da draußen halten für die da drinnen bei den Generalproben selbstgemalte Plakate hoch.

„Sarah, du schaffst das locker!“, hat Ava auf ihr Poster geschrieben. Ava ist zehn und verfolgt alles höchst konzentriert. Diesen Tag in der Starsuch-, Starmach- und Starvergessmaschine vergisst sie vielleicht nie mehr. Sarahs Anhänger tragen weiße, Daniels grüne T-Shirts mit Porträtaufdruck und Mutmacherslogans.

Die blonde Annemarie Eilfeld ist raus, aber die Fans in Rot gibt es immer noch. Manche sahen bei Annemarie aus anderen Gründen rot. Sie war die Buhfrau. Bohlen hatte sich, wie er das bei einem Casting sagte, Kandidaten „mit Ecken und Kanten“ gewünscht. Die hat sie, und das haben die Showmacher ausgenutzt. Immer wieder gab es in den Shows Buhchöre, bevor Annemarie überhaupt das Mikro in die Hand nahm. Juror Dieter Bohlen sagte, jede Tanzkapelle in Tötensen sei besser, und bei Deutschland sucht den Karaokestar hätte sie vielleicht eine Chance. In der Sendung vom 21. März lautet sein Urteil: „Everybodys Arschloch.“ Drei Wochen später nannte er sie „Bitch“: Nutte, Schlampe. Jetzt, vorm Finale, rächt sie sich mit Äußerungen über Bohlen im gleichen Tonfall.

Auch in der Villa, in der die Kandidaten während der Sendung lebten, vereiste der Ton. Nach außen dringt, was RTL sendet: Ausschnitte, in denen die Auszubildende zur Immobilienkauffrau über andere lästert. Letzte Woche, als sie rausgewählt wurde, bekam sie viel Applaus. Das lag auch an den Animateuren, den „Warmuppern“, die mit dem Publikum Beifall üben. Die hatten vor der Generalprobe angesagt: „Hier wird nicht gebuht.“

Vater Mario Eilfeld sagt, als er vorige Woche gegen Mitternacht vom Handy aus anruft, die Stimme rau von vielen Gesprächen mit der Presse, er sei dagegen gewesen, dass die Tochter bei „DSDS“ mitmacht. „Sie so gedemütigt zu sehen, tut weh.“    Er spricht von Verträgen, in denen stehe, dass das Persönlichkeitsrecht nicht angetastet werde. „Dagegen wurde bei dieser Staffel krass verstoßen.“ Aber die im Publikum sagen: Wer sich zu Bohlen auf die Bühne stellt, ist selber schuld. Und so sind sie auf der Bühne ausgeliefert. Nur Teile des Publikums machen einen Unterschied zwischen Sendung und Leben. Während Ikea-Besucherin Eva Tor sagt, fiese Sprüche lasse sie nur bei Dieter Bohlen gelten, stehen im Foyer des Studios Jugendliche, die „Bitch“ und „Arschloch“ brüllen, als Annemarie vorbei geht.

Das fangen die Kameras nicht ein. Sie zeigten auch nicht, wie sich die Stimmung zwischen den Fanblocks hochschaukelte. Am 2. Mai gab es in den Pausen Gerangel, weil einer aus der Sarah-Fraktion in Weiß Annemaries Mutter Heike Eilfeld in Rot heftig angerempelt haben soll. Mario Eilfeld klagt, sie seien von Sarah Kreuz’ Fans als Nazis beschimpft worden. Die Kreuz-Familie sind Sinti, sie fühlt sich von den Ostdeutschen diskriminiert. „Ossis raus!“ sollen sie gerufen haben.

Das war in der fünften Staffel anders, als die migrantenstämmigen Kandidaten für geglückte Integration standen. Dieter Bohlen sitzt von all dem unbeeindruckt und breitbeinig in seinem Stuhl und ist der präsenteste der 1400 Menschen im Saal. Bohlen: „Kein Mensch hat in den letzten 30 Jahren mehr Hits geschrieben als ich.“

Und es geht immer weiter. Kaum hatte Superstar 2007 Mark Medlock vergangenen Sonnabend auf der „DSDS“-Bühne den Song „Mamacita“ gesungen, stieg der Titel auf Platz zwei der deutschen Single-Charts ein.

Andere Sänger der aktuellen Staffel sind schon fast vergessen. Die Autogrammkartenstapel von Schlagerkönigin Vanessa Neigert und des schwulen Paradiesvogels Benny liegen in der Berliner Tanzschule von „DSDS“-Choreograf Dirk Heidemann herum. Sarah dagegen geht gut: Die Finalistin musste vergangenen Sonnabend vorab 6000 Autogrammkarten scheiben. Sie könnte man später zum Grand Prix schicken, meinen Insider.

Die Suchmaschine „DSDS“ wird auch aus beruflichem Interesse genau beobachtet.

Plattenfirmen und TV-Sender haben sich schon bei der ausgeschiedenen Annemarie Eilfeld gemeldet. Und Anwälte, die RTL wegen der Verwechslungspanne vergangene Woche bei den Ansagen fürs Voting verklagen wollen.

Da waren die Telefonnummern vertauscht. Und verschiedene Fanlager behaupteten, RTL habe ihren Superstar bei der Abstimmung blockiert – man sei minutenlang nicht durchgekommen. Bei RTL heißt es, dass es bei den Leitungen nur eine einzige Rufnummerngasse gebe. Wenn besetzt sei, treffe das alle Endziffern gleichzeitig. Technisch sei es nicht möglich, einen Kandidaten zu bevorzugen.

Heute beim Finale werden die Leitungen wieder überlastet sein. Und dann steht Deutschland ohne „DSDS“ da. Bis im August die neue Casting-Runde für Staffel sieben startet.

Vor einem Jahr haben dabei mehr als 30 000 junge Leute aus ganz Deutschland haben mitgemacht. Die durchgekommen sind bis heute, haben Illusionen verloren.

Sarah Kreuz sagt: „Ich muss meine Naivität noch mehr abbauen.“ Daniel Schuhmacher sagt: „Ich muss das alles erst verarbeiten.“

Während sie alle noch für das Finale heute Abend proben, bringt der Bühnenbauer sein Team in Stellung. Er war mal mit dem Castingtross durch Deutschland unterwegs. Er guckt die Sendung nicht.

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