zum Hauptinhalt

Panorama: Die Behörden sind überfordert - Es fehlen Lager, Lebensmittel und Medikamente

Die Zahl der Opfer des Erdbebens in der Türkei nahm am Donnerstag von Minute zu Minute zu. Dabei gab es trotz der Schreckensnachrichten auch kleine Wunder.

Die Zahl der Opfer des Erdbebens in der Türkei nahm am Donnerstag von Minute zu Minute zu. Dabei gab es trotz der Schreckensnachrichten auch kleine Wunder. Immer wieder schafften es Helfer, tonnenschwere Betonplatten weg zu räumen und Opfer der Katastrophe, die am letzten Dienstag über die Menschen hereingebrochen war, oft im letzten Moment zu retten. Während die Retter in nächtelangen Einsätzen die letzten Überlebenden aus den Trümmern bergen, wird immer deutlicher, daß die Türkei Probleme hat, die Rettungseinsätze zu koordinieren.

Das gab auch der türkische Ministerpräsident, Bülent Ecevit, am Donnerstag zu: "Lebensmittel, Unterkünfte und Medikamente für die Obdachlosen reichen nicht aus." Die Helfer könnten immer noch nicht zu entlegenen Dörfern vordringen, da viele Straßen durch das Erdbeben zerstört seien. Im Fernsehen beklagten sich zahlreiche Menschen bitterlich über die schleppend anlaufende Hilfsaktion. "Wo sind die denn? Die kümmern sich doch gar nicht um uns", kritisierte ein Mann in Yalova. "Tausende Häuser sind eingestürzt, aber wir haben alle staatlichen Hilfsmittel mobilisiert", sagte Ecevit in Ankara. Spätestens Freitagvormittag sollten Zeltstädte in den beiden am stärksten betroffenen Städten Izmit und Sakarya bezugsfertig sein. Auch das Flüchtlingslager in Gaziosmanpasa nahe der bulgarischen Grenze soll für obdachlose Erdbebenopfer zur Verfügung stehe.

In der schwer zerstörten Stadt Sakarya stellten sich Menschen mit bloßen Händen den Bulldozern der städtischen Behörden entgegen, als diese anrückten, um den Schutt der eingestürzten Häuser abzutragen: Verwandte und Freunde von Verschütteten befürchteten, die schweren Maschinen könnten ihre noch unter dem Schutt vermuteten Überlebenden zerquetschen.

Türkische Medien sprachen am Donnerstag von einem "Fiasko". In Ankara werde "hart" gearbeitet, schrieb die sonst staatstreue Zeitung "Cumhuriyet" mit bösem Spott. Fast jedes Ministerium habe einen Krisenstab eingerichtet, der außer Bestandsaufnahmen nichts tue. Das Kabinett habe das Marmara-Gebiet zur Krisenregion erklärt, als ob das Problem damit erledigt sei. "Offenbar hat der Staat keine andere Funktion, als die Toten zu zählen." In seltener Einmütigkeit zählten auch alle anderen Zeitungen, von den kemalistischen bis zu den islamistischen Blättern, die Verfehlungen der Behörden auf: Kein Strom, kein Wasser, kein Brot im Katastrophengebiet, keine Dolmetscher für die ausländischen Helfer, unbeerdigte Leichen auf den Straßen, Telefon- und Verkehrsnetze noch zwei Tage nach dem Beben nicht wieder hergestellt.

"Nicht einmal die Stärke des Erdbebens konnte unser Erdbebeninstitut richtig messen", empörte sich "Milliyet" darüber, dass das Institut die Stärke nach 24 Stunden von 6.7 auf 7.4 auf der Richterskala korrigierte - und sich damit den Berechnungen weit entfernter ausländischer Institute anschloß. "Die Menschen sind zu allen Opfern bereit, aber die Bürokratie ist zu schwerfällig", bilanzierte Meinungsführer "Hürriyet".

"Die Straßen sind doch schon unter normalen Umständen völlig zerrüttet", beschwerte sich "Cumhuriyet" in einem Vorgeschmack auf den Dammbruch, angesichts der türkischen Kritikwilligkeit. Tatsächlich sind viele Probleme, die jetzt tödliche Ausmaße annehmen, im Ansatz schon im türkischen Alltag vorhanden. In der Türkei gibt es auch zu normalen Zeiten so viele Unterbrechungen in der Versorgung mit Wasser und Elektrizität, dass viele Wohnhäuser ihren eigenen Wassertank und viele Bürohäuser ihren eigenen Generator für Notfälle haben. Die Ausfälle nach dem Beben verlangten aber selbst den Türken viel ab. Selbst in Istanbul fiel zwei Tage nach dem Beben noch zeitweise der Strom aus; die Telefonverbindungen waren ständig überlastet; weite Teile des besonders schwer getroffenen Gebietes am Ostufer des Marmara-Meeres hatten am Donnerstag noch keinen Strom und kein Wasser.

Auch die Kritik am schleppenden Fortgang der Reparaturen im Erdbebengebiet traf nicht immer ins Schwarze. So waren die Elekrizitätswerke mancherorts am Donnerstag zwar wieder funktionstüchtig; die Behörden wollten aber deshalb noch nicht ans Netz gehen, weil das weitere Lebensgefahr für viele Verschüttete durch Stromschläge und Brände bedeutet hätte. Und ein Provinzgouverneur, der wegen seiner Zurückweisung von Lebensmittelspenden angegriffen wurde, wies darauf hin, daß der gespendete Joghurt beim Transport in der herrschenden Hitze noch vor Ankunft verdorben wäre.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false