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Panorama: "Die Cellospielerin": Zu Ende ist es mit der Kunst

Die Dronte ist ein flugunfähiger, vom Aussterben bedrohter, also ein nutzloser Vogel. Vor einigen Jahren lieh sie einem Gedichtband von Michael Krüger ihren Namen.

Die Dronte ist ein flugunfähiger, vom Aussterben bedrohter, also ein nutzloser Vogel. Vor einigen Jahren lieh sie einem Gedichtband von Michael Krüger ihren Namen. Dem schien die Lage des seltenen Tieres und die des Künstlers vergleichbar zu sein. Künstlerexistenzen galt die Aufmerksamkeit Krügers seitdem immer wieder: scheiternden Intellektuelle, Malern oder Autoren, die am "Ende des Romans" laborieren. Auch Krügers jüngster Roman "Die Cellospielerin" ist, wenn man so will, ein Künstlerroman; hier komponiert sein Protagonist.

Anders aber als das Schicksal des wohl bekanntesten Tonsetzers der deutschen Literatur, Thomas Manns Adrian Leverkühn, kommt dieses Künstlerleben nicht diabolisch und tieftragisch daher, sondern eher als zynisch-lakonische Reflexion über das Ende der Kunst. Auf die eine oder andere Weise sind alle Künstler, Kritiker und Theoretiker, die diesen Roman bevölkern der Kunst überdrüssig. Das Ende der großen Theorien vom Marxismus bis zur Psychoanalyse und das Ende der politischen Indienstnahme von Kunst, führt nicht, wie man erwarten durfte, zu ihrer Befreiung, sondern zu einer verzweifelten Gleichgültigkeit, mit der man ihr begegnet.

Selbstgefällige Klagen

Auch die Kritik dieses Zustandes erspart dem namenlosen Komponisten Krügers nicht, dass er etwas orientierungslos zwischen modischem "Theoriedesign", vulgärmaterialistisch verkorksten Theoretikern und selbstgefälligen Ende-der-Kunst-Klagen umherstolpert. Die Kommerzialisierung von Kunst, an der er sich auf Anraten eines Herrn Grützmachers als Komponist von Filmmusiken beteiligt, sorgt endgültig für den Kunstfrust, der am Künstler nagt. Der Grund seines Leidens ist das Paradox, dass Kunst, sobald sie keinen ideologischen Verpflichtungen mehr folgt, weniger frei als irritiert ist.

Mit dem Gegenstand seiner letzten großen Oper über den 1938 auf dem Weg in die Verbannung verstorbenen russischen Dichters Ossip Mandelstam kehrt der Komponist an diesen Grund zurück. Mandelstam wurde zum Opfer Stalins, weil er sich der politischen Indienstnahme von Kunst widersetzte. Aber nur weil er als Künstler zum politischen Opfer wurde, wird er für den Komponisten, der weitgehend von derart politischen Zumutungen befreit zu sein glaubt, zum Gegenstand seiner Kunst.

Mit seinem Roman über einen Komponisten, der über einen Lyriker eine Oper schreibt, verdoppelt Krüger trickreich die Reflexion über das Verschwinden von Kunst, sei es in den Lagern der Diktatoren, sei es im Klima bundesdeutscher Beliebigkeit. So erweist sich das Unternehmen der Mandelstam-Oper vor allem als Erinnerung an Kunst. Zwar wird anders als in Krügers Novelle "Das Ende des Romans", in dem der Autor, beim letzten Satz beginnend, den eigenen Roman demontiert, das Werk hier fertiggestellt. Die Fertigstellung aber gerät auch hier zur Nebensache der Erzählung und beansprucht auf den 250 Seiten des Romans schließlich nur wenige Zeilen.

Neben diesen eher abstrakten Irritationen drängt sich zwischen den Komponisten und sein Werk eine junge Frau - die Cellospielerin. Judit, die Tochter der ungarischen Opernsängerin Maria, die der Erzähler über zwanzig Jahre zuvor in Budapest geliebt hatte, steht eines Tages vor dessen Münchner Wohnungstür und behindert das Weiterkomponieren der Oper; mit ihren kleinlichen Bemühungen um einen geregelten Alltag des Komponisten, mit den Besuchen ihrer ungarischen Großfamilie, deren schrullig-sympathische Mitglieder die Wohnung des Komponisten besiedeln; oder mit der Verwirrung, die das seinem Status nach unklare Verhältnis des Komponisten und der Cellospielerin hervorruft.

In der misslungenen Beziehung erschöpft sich das erzählerische Anliegen, das Krüger mit der Figur Judits verfolgt, keineswegs. Judit, die als Person kaum Kontur gewinnt und schließlich bemerkenswert unspektakulär mit einem Nervenzusammenbruch und einem neuen Liebhaber aus dem Leben des Komponisten verschwindet, provoziert vielmehr die Erinnerung an die Begegnung mit Maria im kommunistischen Ungarn der sechziger Jahre, an den Verlust von Freunden, die 1956 dort ihr Leben verloren hatten, an die Atmosphäre alltäglicher Bespitzelung, an die Bemühungen um eine kommunistische Ästhetik und die damit verbundene Allgegenwart Georg Lukács.

So bilden die gegenwärtige ästhetische Unsicherheit des Komponisten und die Vergangenheit der politischen Gewissheiten über Kunst, die für manche tödlich endeten, einen größeren historischen Spannungsbogen. Auf drei Stationen - Mandelstam, Ungarn nach 1956, Deutschland heute - eröffnet Krüger einen Blick auf die politischen Bedingungen von Kunst im 20. Jahrhundert und bündelt diesen Blick in der Biografie des Komponisten. Umso bedauerlicher, dass die Erlebnisse in Ungarn gelegentlich die Physiognomie des stolz die Nase rümpfenden westlichen Touristen tragen. Solche Überlegenheitsgesten verkleinern den Gegenstand der eigenen Erzählung.

Am Ende scheint es, als verschenke Krüger einen guten Teil des Reflexionsspielraums, den er sich mit der souveränen historischen Perspektive seines Romans eröffnet hatte ebenso wie die Möglichkeit, deren konkrete Auswirkungen auf das musikalische Werk seines Komponisten zu gestalten. Solange die Verwicklung der historischen Konstellation und der kompositorischen Arbeit mit Mandelstam allein inhaltlich Konsequenzen hat, muss man sich fragen, warum der Komponist nicht ebensogut Schriftsteller oder Maler hätte sein können.

Stephan Pabst

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