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Panorama: Die Opfer vom Dorf

Justiz prüft Hetzrede eines Anwalts gegen missbrauchte Frauen in Eschenau – die Situation in dem Ort eskaliert

Eschenau - „Vorsicht Kinder“ steht auf dem Plakat, das jemand in einem Eschenauer Vorgarten aufgehängt hat. Es wirkt wie eine Warnung, dieses Dorf zu betreten. Seit den 60er Jahren wurden hier mindestens fünf Mädchen missbraucht. Das steht gerichtlich fest. Einer der Täter wurde in der vergangenen Woche zu viereinhalb Jahren Haft verurteilt, der zweite Beschuldigte nahm sich das Leben.

Jetzt sucht die Staatsanwaltschaft Bamberg nach einem dritten Vergewaltiger. Die Stimmung ist gereizt in dem 188-Seelen-Ort in Bayern. Und droht nun zu eskalieren. Schuld daran, da ist sich die Mehrheit der Bewohner einig, sind nicht etwa die Täter, sondern die Opfer, die im Frühjahr nach jahrzehntelangem Schweigen ihre Peiniger anzeigten. „Man will mich zum Schweigen bringen“, sagt Heidi M.. Die Lehrerin floh vor 35 Jahren aus dem Steigerwald-Dorf in die USA. Elf Jahre lang war sie von zwei Nachbarsjungen sexuell missbraucht worden. „Am Ende habe ich mich nur noch gefügt und bin gefolgt, wenn man mich gerufen hat“, erinnert sich die 50-Jährige. „Die hatten ein Verhältnis miteinander, das war nie und nimmer eine Vergewaltigung“, sagt Rechtsanwalt Heinz Veauthier. Er vertritt die Familie des Landwirts, der sich nach ersten Vorwürfen das Leben nahm.

„Ich werde nicht büßen für Dinge, die ich nicht getan habe“, hatte der 53-Jährige in seinem Abschiedsbrief geschrieben. Nun sollen Heidi M. und ihre ebenfalls missbrauchte Schulfreundin Irmgard M. büßen für das, was sie dem Dorf angetan haben. „Ohne ihr Verhalten wäre dieser Ehemann noch am Leben“, sagt Anwalt Veauthier. Er nutzte eine Versammlung im Pfarrsaal der Gemeinde, um vor laufender Kamera eines Teams des Bayerischen Fernsehens eine Hetzrede gegen die „vermeintlichen Opfer“ zu halten. „Der zog richtig vom Leder, das habe ich als Journalist noch nie erlebt“, sagt Redakteur Ulrich Hagmann, der den Abend für die BR-Sendung „Quer“ mitverfolgte. Nachdem sein Team bei Dreharbeiten zuvor in Eschenau bereits heftig angefeindet wurde, war er überraschend zu der Zusammenkunft eingeladen worden. Nun ist sein Material Gegenstand staatsanwaltschaftlicher Untersuchungen. Denn Anwalt Veauthier zitierte aus der vertraulichen Vernehmung von Heidi M. bei der Polizei – und leitete daraus die Feststellung ab, dass ihre Vorwürfe gegen den ehrenwerten Eschenauer Mitbürger erlogen seien. „Wir prüfen von Amts wegen, ob sich der Anwalt mit der Veröffentlichung der Aussage eines Opfers aus den Akten strafbar gemacht hat“, sagt Bambergs Oberstaatsanwalt Joseph Düsel.

Sicher ist: Nach Veauthiers Auftritt eskalierte die Situation in dem Dorf. „Heidi M. und Irmgard M.“ – er nannte die vollen Namen – „haben ein Komplott geschmiedet, um den größten Bauern im Dorf fertigzumachen“, sagte der Jurist. „Jetzt sind die freigegeben“, soll ein Teilnehmer der Sitzung im Pfarrsaal gedroht haben.

Ursula L. lebt nun in Angst. Auch ihre Tochter Beate wurde missbraucht: „Nun sollen wir zu Tätern gemacht werden. Hier ist das Leben nicht mehr lebenswert.“ Heidi M. wird bis Ende der Woche Deutschland wieder verlassen. Bis dahin versucht Rechtsanwalt Veauthier ihr noch eine Klage wegen Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener zustellen zu lassen. Unmittelbar vor ihrer Zeugenaussage im Bamberger Landgericht hatte er ihr per Gerichtsvollzieher eine Unterlassungsverfügung ins Zeugenzimmer überbringen lassen. Er wollte verhindern, dass sie ihre belastenden Aussagen gegen den Landwirt wiederholt. Doch sie ließ sich nicht einschüchtern. „Ich habe gedacht, mit dem Urteil wäre dieses Kapitel abgeschlossen. Aber anscheinend geht es jetzt erst richtig los.“ ddp

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