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Panorama: Die seltsamen Wege der US-Justiz

O. J. Simpson ist des bewaffneten Raubüberfalls schuldig gesprochen – bekommt er jetzt lebenslänglich?

Ein tiefer Seufzer entfuhr O. J. Simpson, als in der Nacht zum Samstag in Las Vegas zwölfmal „schuldig“ erklang. Eine Jury aus neun Männern und drei Frauen hatte ihn nach 13 Stunden Klausur des bewaffneten Raubüberfalls, der Entführung und in zehn weiteren Anklagepunkten für schuldig befunden. Mit leicht gesenktem Haupt wurde der ehemalige US-Footballstar in Handschellen aus dem Gerichtssaal geführt. Richterin Jackie Glass hat eine Freilassung auf Kaution bis zur Strafmaßverkündung am 5. Dezember abgelehnt.

Der Simpson zur Last gelegte Überfall spielte sich am 13. September 2007 in einem Kasino-Hotel in Las Vegas ab. Simpson hatte mit fünf Freunden das Zimmer zweier Andenkenhändler gestürmt und die Herausgabe persönlicher Erinnerungsstücke im Wert von 100 000 Dollar gefordert. Dabei sollen Schusswaffen im Spiel gewesen sein, was Simpson bis zum Schluss bestritt. Jetzt droht ihm lebenslange Haft.

Auf den Tag genau vor 13 Jahren war das Schicksal gnädiger. Damals war Simpson in einem spektakulären Prozess vom Vorwurf freigesprochen worden, seine Frau Nicole Brown und deren Freund Ron Goldman brutal ermordet zu haben.

Simpson schien diesmal mit dem Schuldspruch fast gerechnet zu haben. Bei einem Gespräch mit einem AP-Reporter vor der Urteilsverkündigung äußerte er sich melancholisch. „Ich fürchte, dass ich bei der Abschlussfeier meiner Kinde fehlen könnte, nachdem ich es geschafft habe, sie durchs College zu bringen.“

Keines der beiden Kinder war in Las Vegas anwesend. Nur Simpsons Schwester Carmelita Durio brach in Tränen aus und schluchzte in den Armen von Simpsons Freund Thomas Riccio, mit dem das letzte Kapitel in der Saga um den tief gefallenen Sport- und Filmstar begonnen hatte.

Denn Riccio hatte das Treffen zwischen den Andenkenhändlern und Simpson in Las Vegas arrangiert. Riccio war es auch, der die Auseinandersetzung auf Band aufnahm, dieses für 210 000 Dollar an die Boulevard-Website TMZ:com verhökerte und 20 000 für ein Büchlein über den Zwischenfall kassierte. „Mit Freunden wie ihm“, so zitierte ein Beobachter des dreiwöchigen Prozesses ein amerikanisches Sprichwort, „braucht man keine Feinde.“

Die Verurteilung Simpsons könnte das Schlusskapitel eines Lebens sein, das wenig vielversprechend begann, doch aus dem 1947 in San Francisco Geborenen eine Football-Legende machte. Simpson wuchs, vom Vater als Fünfjähriger verlassen, in ärmlichen Verhältnissen auf. Er litt unter Knochenweiche, Kalzium- und Vitaminmangel, was seine Beine verkrümmte. Nur die unorthodoxen Behandlungsmethoden seiner Mutter und die Begegnung mit Baseball-Star Willie Mays machten aus ihm einen Sportler, der schließlich zu einem der meistbewunderten Stars aufstieg. Am Ende seiner Karriere wurde er Sportkommentator, Schauspieler und hochbezahlte Werbefigur.

Sein Abstieg kulminierte in dem spektakulären Mordprozess 1995. Zwei Jahre später verurteilte ihn ein Zivilgericht dazu, den Hinterbliebenen der Opfer 33,5 Millionen Dollar Schadenersatz zu zahlen. Bis heute haben diese keinen Cent gesehen. Denn Simpson zog nach Florida, wo seine monatliche Pension in Höhe von 12 000 Dollar nicht angetastet werden darf.

Sein Anwalt Yale Galanter will Berufung einlegen. Denn, so sagt Galanter, „die Juroren hatten sich schon vorher eine Meinung über Simpson gemacht“. Der Vorwurf eines rassistisch motivierten Urteils war auch dieses Mal zu hören. Denn die 12 Juroren waren allesamt weiß. Vor 13 Jahren waren sie alle schwarz. Hängt es in den USA von solchen Faktoren ab, ob ein Angeklagter verurteilt wird oder nicht? Im Fall Simpson offensichtlich ja. Vor 13 Jahren wurde er trotz einer erdrückenden Beweislast freigesprochen. Und jetzt scheint er wegen eines merkwürdigen Streits um alte Sportdevotionalien lebenslang hinter Gitter zu kommen. Hat ihn die Jury in Wirklichkeit für das alte Verbrechen schuldig gesprochen? Recht kann einen langen Atem haben.

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