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Blass und abgekämpft. Amanda Knox am Montag im Gerichtssaal von Perugia.

© Reuters

Die Studentin von nebenan: Warum der Mordprozess gegen Amanda Knox die Welt bewegt

Der Berufungsprozess um die US-Studentin Amanda Knox ist einer der spektakulärsten Kriminalfälle Italiens. Gemeinsam mit einem Komplizen soll sie ihre Mitbewohnerin bei Sexspielen getötet haben.

Sie lächelt jetzt nicht mehr. Wenn die amerikanische Studentin Amanda Knox in den Gerichtssaal in Perugia geführt wird, strahlt sie nicht in die unzähligen Kameras, wie noch vor zwei Jahren. Da stand sie das erste Mal wegen Mordes an ihrer Mitbewohnerin Meredith Kercher vor Gericht, wurde zu 26 Jahren Haft verurteilt. Blass und abgekämpft wirkt die 24-Jährige dieser Tage in ihrem schwarzen Dufflecoat, das brünette Haar fällt strähnig ins Gesicht. Auch ihrem Ex-Freund und Mitangeklagten Raffaele Sollecito sieht man an, dass er fast vier Jahre in Haft ist. Der 27-Jährige ist schmal geworden, das Haar ist kurz geschoren. Still und ernst sitzen die beiden auf ihren Stühlen, Sollecito wie versteinert, Knox hält sich die Hände vor den Mund. Als hätten die beiden erst jetzt begriffen, wie ernst alles ist.

Vergangene Woche hat die Staatsanwältin in ihrem Plädoyer gefordert, dass die beiden abermals verurteilt werden. Sie hat Knox und Sollecito nie beim Namen genannt, sondern immer nur Assassini, Mörder. Dieser Tage ist die Nebenklage an der Reihe. Die Anwälte der Familie Kercher, die nicht müde werden, an die Studentin Meredith zu erinnern. Eine so lebenslustige wie ernsthafte junge Frau, die als Erasmus-Studentin in Perugia war. Als sie ermordet wurde, war sie kurz davor, ihre Familie in London zu besuchen. Im Koffer war schon die Schokolade, die sie mitbringen wollte.

Bevor Anfang Oktober das Urteil in einem der spektakulärsten Kriminalfälle Italiens fallen wird, liegt vieles noch immer im Dunkeln. Warum etwa „zwei junge Leute, die aneinander genauso interessiert waren wie an intellektuellen und kulturellen Dingen“ sich für „das Böse“ entschieden haben, wie es der Richter des ersten Prozesses formulierte. Knox und Sollecito leugnen die Tat bis heute, behaupten, in der Mordnacht in Sollecitos Wohnung gewesen zu sein. Man habe gekifft, Sex gehabt und auf dem Computer einen Film geschaut, „Die fabelhafte Welt der Amelie“.

Fest steht, was „das Böse“ war: Meredith Kercher wurde Allerseelen 2007 in ihrem Zimmer gefunden, halb nackt unter einer Decke. Ihre Kehle war durchschnitten, der Körper übersät mit Messerstichen. Auch Spuren sexueller Gewalt wurden festgestellt. Sollecito und Knox sollen Kercher mit mehreren Messern getötet haben, gemeinsam mit ihrem Bekannten Rudy Guede. In einer „Eskalation aus Gewalt mit sexuellen Zielen“. So hat es der Oberste Gerichtshof ins Urteil gegen Rudy Guede geschrieben.

Guede, ein 24-jähriger Ivorer, der von einer italienischen Familie adoptiert wurde, ist inzwischen rechtskräftig verurteilt. Er hat zugegeben, am Tatort gewesen zu sein. Er habe mit Kercher ein Date gehabt. Als er ins Badezimmer gegangen sei, hätten Unbekannte die Studentin erstochen. Später sagte er, die Unbekannten seien Knox und Sollecito gewesen. Er bekam 16 Jahre, weil er ein abgekürztes Verfahren gewählt hatte, eine Besonderheit der italienischen Strafprozessordnung.

Das ist auch der Berufungsprozess. Denn anders als in Deutschland, wo die meisten Revisionsanträge scheitern, geht in Italien ein Prozess fast automatisch in die zweite Instanz. Und auch in die dritte, zum Kassationsgericht, „wo die Gesetzmäßigkeit überprüft wird“, wie der Bozener Anwalt Karl Pfeifer sagt, dessen Kanzlei Brandstätter auf den deutsch-italienischen Rechtsverkehr spezialisiert ist. Der Weg durch die Instanzen muss in Italien also nicht damit zu tun haben, dass im ersten Prozess Rechtsfehler gemacht wurden.

Lesen Sie weiter auf Seite 2, warum die DNA-Spuren offenbar wertlos sind

Das sehen Knox’ und Sollecitos Verteidiger anders. Sie glauben, dass geschlampt wurde, und haben die DNA-Gutachten aus dem ersten Prozess angefochten. Da wäre das Tatmesser, das Spuren von Amanda Knox auf dem Schaft und von Meredith Kercher an der Klinge trug. Und der BH des Opfers, an dessen Schnalle der genetische Fingerabdruck Sollecitos gefunden wurde. Knox und Sollecito sollen Kercher erst festgehalten und mit Messern bedroht haben, damit Guede sie vergewaltigen kann. Dessen Spuren wurden in Kerchers Körper gefunden. Als Kercher Gegenwehr leistete, sollen Knox und Sollecito zugestochen haben.

Doch diese DNA-Spuren sind offenbar nicht viel wert. Die Testgröße sei zu klein gewesen, auch hätte eine Verunreinigung im Labor stattfinden können, stellten Sachverständige jetzt fest. Deswegen steht Luciano Ghirga, Knox’ grauhaariger Verteidiger, der ihr im Prozess gerne die Backe tätschelte, derzeit immer wieder vor dem steinernen Gerichtsgebäude der Altstadt und sagt, ein Freispruch sei nahe. Um ihn herum unzählige Kameras, der Fall ist ein globaler Krimi. Vor allem online. Es gibt unzählige Websites und Foren zum Fall, solche, die Knox für unschuldig halten, und solche, die in Knox eine Psychopathin sehen, die eifersüchtig auf ihre erfolgreiche Mitbewohnerin war. Auf der Wikipedia-Seite zum Mord an Kercher fetzte man sich derartig heftig, dass Wikipedia-Gründer Jimmy Wales einschreiten musste.

Jede von Knox’ Gesten wird getwittert, im Netz sind die Urteilsbegründungen zu finden, genau wie Youtube-Filme von Amanda Knox. Wie sie sturzbetrunken etwas in die Kamera eines Kommilitonen lallt. Oder ihr Auftritt vor Gericht 2009. In einem grünen Mantel stand sie vor den Geschworenen und sagte: „Ich habe Angst, dass die Maske des Mörders über mein Gesicht gezogen wird.“ Was O. J. Simpson für das Fernsehen war, ist Amanda Knox für das Internetzeitalter.

In der Nähe der Journalisten ist immer auch die Familie von Knox. Vater Curt Knox, leitender Angestellter aus Seattle, die Mutter Edda Mellas, Lehrerin, inzwischen in zweiter Ehe verheiratet. Ein typisches Mittelklasse-Elternpaar, das sich für die Ausbildung ihrer Kinder abrackerte. Amanda Knox besuchte gute Schulen, spielte in einer Fußballmannschaft, heimste Auszeichnungen an der Uni ein. Ein amerikanisches Girl next door. Sie lernte Sprachen, nebenbei jobbte sie in einem Coffeeshop. Vielleicht ist das auch der Grund, warum dieses Verbrechen eine so große Öffentlichkeit beschäftigt. Jeder kennt jemanden wie Amanda Knox und Raffaele Sollecito. Die beiden könnten Studienkollegen sein oder die eigenen Kinder. Knox ist inzwischen ein Star, eine Art Anti-Ikone der Jugend. Es gibt einen Film über sie, mit Hayden Panettiere in der Titelrolle. Der italienische Abgeordnete Rocco Girlanda hat Knox im Gefängnis besucht und seine Eindrücke in dem kitschtriefenden Buch „Io vengo con te“ verarbeitet, „ich komme mit dir“. Nach dem Urteil 2009 wurde sogar Hillary Clinton auf den Fall angesprochen. Die versprach, sich mit dem Fall zu beschäftigen.

Vor allem in den USA ist man von Knox’ Unschuld überzeugt. Die „New York Times“ sprach von „Hexenprozess“. Knox – Opfer eines machtgierigen Staatsanwaltes, so lautet der Tenor. Den Mord habe Rudy Guede alleine begangen. Dem steht allerdings das Urteil der ersten Instanz entgegen. Auf 427 Seiten sind die Indizien aufgeführt. Es sind unzählige, und sie sind verheerend, selbst wenn man die Spuren am Messer und am BH weglässt: Ein Fußabdruck Sollecitos im Blut des Opfers. DNA-Spuren von Amanda Knox in Blutstropfen von Kercher im Badezimmer. Die Handy-Protokolle, denen zufolge die beiden nicht bei Sollecito waren, wie sie behauptet hatten. Ein Zeuge, der die beiden in der Nähe des Tatorts beobachtet hatte. Die Wunden, die Kercher nicht von einer Person allein zugefügt werden konnten. Die Tür zu Kerchers Zimmer, die nach dem Mord abgeschlossen worden war. Wo der Zimmerschlüssel war, wussten aber nur die Mitbewohnerinnen. Zwei von ihnen waren zur Tatzeit weg – da blieb nur mehr Amanda Knox.

Es gab einen vorgetäuschten Einbruch, um Spuren zu verwischen, und das Haus war nach der Tat akribisch geputzt worden. Das deutete ebenfalls auf die Angeklagten, genau wie deren wechselnde Alibis. Sollecito sagte erst, er sei auf einer Party gewesen. Dann sagte er, er habe den Abend mit Knox verbracht. Am Ende nannte er alles einen „Sack voll Lügen“ und beschuldigte Knox, alleine am Tatort gewesen zu sein. Die tischte auch mehrere Versionen auf, eine davon: Sie sei am Tatort gewesen und habe Kercher schreien gehört. Der Täter sei der Besitzer der Bar gewesen, in der sie jobbte. Der saß deswegen zwei Wochen unschuldig in Haft, am Ende war seine Existenz ruiniert.

Im Gefängnis sagte Knox später zu ihrer Mutter: „Ich war dort, das kann ich nicht bestreiten.“

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