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Panorama: Die verlorenen Töchter

Seit der Frauen-WM in Berlin sind die Kameruner Spielerinnen spurlos verschwunden – ihr Trainer glaubt, dass sie sich prostituieren

Es war der Ruf der reichen Welt, dem die Frauen nicht widerstehen konnten. Diese Welt lockt viele Menschen, die auf jenem Kontinent leben, auf dem gerade Millionen der Hungertod droht. Afrika.

Gladys und Modester-Frix, Janet und Agnes-Vincent, Ebot und die anderen Fußballerinnen des Teams Kamerun hatten einmal im Leben die Chance, das reiche Europa mit eigenen Augen zu sehen. Der Reiz war so groß, dass sie blieben. Sie alle sind wie vom Erdboden verschluckt. „Ich glaube, das war eine spontane Entscheidung, nachdem sie die Schönheit und Vorzüge in Europa und speziell in Berlin gesehen haben“, sagt Tambe Dickson Ashu, der Trainer der Afrikanerinnen, die zur Frauenfußball-WM ihren Kontinent ausnahmsweise verlassen durften. „Aber ich bezweifle, dass sie ihr Leben bei euch managen werden, in der Eiseskälte, ohne Geld für warme Kleidung, für Lebensmittel und Medikamente.“

Die 18- bis 34-Jährigen vom Team „Nelo Mamfe“ vertraten ihr Land während der Fußball-WM der Frauen. Die Elf aus der 100 000-Einwohner-Stadt Mamfe lief in Berlin auf, beim WM-Rahmenprogramm, dem Frauenfußballturnier „Discover Football“ mit Teams auch aus Asien und Südamerika. Theo Zwanziger hatte es eröffnet. Die Mannschaften aus Kamerun und Brasilien und Ruanda hatten sogar Termine im Bundeskanzleramt, das Auswärtige Amt unterstützte das Ereignis.

Dann kam der Tag des Abflugs Anfang Juli. Seitdem ist nichts mehr, wie es war. „In der Nacht, bevor es in Tegel nach Hause gehen sollte, waren die Hotelzimmer um 23 Uhr 30 leer“, sagt der Kameruner Trainer. Er betreut das Elena-AidsHIV-Sozialprojekt, zu dem das Team gehörte. „Viele Leute bemitleiden mich, dass ich mein komplettes Team verloren habe, und die gesamte Ausrüstung.“ Nur eine einzige Spielerin, Ashu Palvin Ayuk, und die Präsidentin der Mannschaft stiegen in die Air-France-Maschine ein. Wer in Kamerun überhaupt das Glück hat, wegen der Gebühren zur Schule gehen zu können, „verdient bei einem gut bezahlten Job 80 bis 120 Euro im Monat“, sagt der Trainer ohne Team. 120 Euro, das ist allein die Summe, die man im Monat für Aids-Medikamente braucht. Wer genau von den Mädels infiziert ist, weiß Ashu nicht. Er weiß nur eines: „Ich sehe es vor mir, dass die Mädchen sexuell ausgebeutet werden.“

Prostitution also. Wie anders könnten sich die Illegalen hier in Berlin durchs Leben schlagen? Sie konnten sich ja noch nicht mal ein Sweatshirt leisten, als sie im Sommer bibbernd vom Willy-Kressman-Stadion zur U-Bahn liefen. In Flipflops und mit umgehängten Fleecedecken. Wo leben sie, was essen sie, was machen sie hier überhaupt? Ohne Familie, allein in der Fremde? Wissen die französischsprachigen Frauen zum Beispiel, dass es die Malteser-Migranten-Medizin gibt, die Illegale gratis behandelt?

Der Trainer der verlorenen Töchter macht sich Sorgen, er ist auch sauer. „Wir konnten ihre teure Sportausrüstung nicht mitnehmen.“ Keiner konnte sich Übergepäck leisten. Die „13 Paar Fußballschuhe, zwei Flaggen („Cameroon and Germany“), drei Fußbälle, drei komplette Trikot-Sätze“ und vieles mehr soll bei der Air France in Paris lagern. „Dazu zwei brandneue Bälle und ein kompletter Satz Trikots, Strümpfe und Schuhe.“

Der Trainer schildert, wie die Frauen in Kamerun gelebt haben. In Mamfe haben sie in den Hütten teils zu zehnt nebeneinander auf der Erde geschlafen. Da fühlten sich die Federbetten im Berliner Hotel wohl anders an.

Tambe Dickson Ashu wollte sein Zuhause, wo er mit dem wohltätigen Aids-Projekt seine Ideale pflegt, nicht für den westlichen Wohlstand opfern. „Ja, Afrikaner glauben an Materialismus, und ziehen Glück daraus“, sagt er. „Denn nicht nur die medizinische Versorgung ist bei euch besser, die westliche Welt ist generell effizienter organisiert in Bezug auf Recht und Gesetz und soziale Sicherheit.“

Doch auch Kamerun hat seine Gesetze. „Wenn sie geschnappt werden“, sagt der verlassene Trainer, „drohen ihnen fünf Jahre Gefängnis wegen Verstoßes gegen Immigrationsgesetze, und weil sie den Ruf des Landes beschmutzt haben.“ Jede musste einen Vertrag unterschreiben, dass sie 5741 Euro für den Deutschlandaufenthalt zahlen muss, falls sie sich absetzen sollte. Das Gehalt eines Lebens.

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