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Panorama: Drakonische Strafe für Musikpiratin

Mittellose alleinstehende Mutter muss 1,9 Millionen Dollar zahlen – die Industrie jubiliert

Das hatte sie nicht erwartet. Mit gleichmütiger Miene saß Jammie Thomas-Rasset vor Gericht. Doch dann bei der Urteilsverkündung vor dem Bundesgericht in Minneapolis im Bundesstaat Minnesota gingen ihre Augenbrauen in die Höhe. Hatte sie richtig gehört? 1,9 Millionen Dollar Strafe für das Downloaden und Bereitstellen von 24 Songs auf der Internettauschbörse Kazaa?

Sie hatte richtig gehört. Die Geschworenen kannten schon beim ersten Verfahren gegen die 32-Jährige keine Gnade und verurteilten sie im Oktober 2007 zur Zahlung von 220 000 Dollar an die Musikindustrie. Da das erste Urteil wegen eines Fehlers verworfen wurde, kam es zu einem neuen Verfahren. Nun verdonnerten sie Thomas-Rasset zu einer erheblich höheren Strafe – 80 000 Dollar pro Song. Rechtmäßig hätte jeder Titel 99 Cents gekostet. Es hätte freilich noch schlimmer kommen können: 150 000 Dollar Strafe pro Titel wären möglich gewesen. Das Geld wurde sechs Plattenfirmen zugesprochen, darunter Sony BMG Music und Warner Bros.

„Die Urteilshöhe ist etwas lächerlich“, sagte die Frau. „Ich bin eine alleinstehende Mutter, ich habe nur wenig Einkommen, deshalb werde ich mir erst einmal keine Sorgen machen.“

Die US-Musikindustrie hat gegen Zehntausende Klagen wegen der Verletzung des Urheberrechts eingereicht. Thomas-Rassets Fall ist der einzige, der bislang verhandelt wurde. Die meisten anderen Beschuldigten, die ins Visier der Plattenindustrie gerieten, einigten sich mit der Branche auf eine außergerichtliche Zahlung zwischen 3000 und 5000 Dollar. Das war auch der Alleinerziehenden von vier Kindern angeboten worden. Doch sie hatte abgelehnt.

Das Urteil ist der vorläufige Höhepunkt eines weltweiten Kulturkampfs zwischen Musikkonzernen und Musikfans. Die Musikkonzerne, die seit Jahrzehnten die Preise für Musik bestimmt haben, werden zunehmend von einer neuen Generation herausgefordert, die diese einseitige Machtverteilung nicht akzeptiert und sich im Gegenzug die Musik illegal und kostenlos aus dem Internet runterläd. Ein Ausdruck des Kampfes ist das außergewöhnliche Abschneiden der Piratenpartei bei den Europawahlen in Schweden und Deutschland. Die Piratenpartei, die gegen die Musikkonzerne kämpft, verlangt, dass es zwischen der Industrie und den Musikfans zu einem fairen Ausgleich kommt. Sie erhielt in Schweden über 7 Prozent der Stimmen, in Deutschland 0,9 Prozent. In Berlin lag der Wert bei 1,4, in einigen Bezirken bei über 3 Prozent. In Deutschland müssen die Musikpiraten jetzt als Schuldige dafür herhalten, dass die Musikmesse Popkomm nicht stattfindet (Siehe Berlin-Teil).

Bei dem Urteil in den USA hatte die Angeklagte unter Tränen an die Väter und Mütter unter den Geschworenen appelliert. Aber die rührselige Selbstverteidigung der Frau, die für den Indianerstamm der Ojibwe arbeitet, beeindruckte die Geschworenen wenig. Die Musikindustrie jubilierte derweil. Cara Duckworth, Sprecherin des Verbandes der Plattenindustrie, begrüßte, dass das Gericht den Verstoß gegen Urheberrechte ebenso ernst nehme wie die Musikindustrie. Gleichzeitig erklärte sie, dass man weiterhin zu einer gütlichen Lösung bereit sei, wollte jedoch eine Geldsumme nicht nennen. Andere haben Zweifel, ob die hohe Strafe gerechtfertigt ist. „Die unverhältnismäßige Höhe der Strafe wirft verfassungsrechtliche Fragen auf“, sagte Fred von Lohmann, Anwalt der Verbraucherorganisation Electronic Frontier Foundation.

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