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Schön und gefährlich. Das Lagginhorn in den Schweizer Alpen.

© dapd

Drama in den Alpen: Der Berliner Vater sah, wie seine Kinder in die Schlucht stürzten

Fünf Deutsche sterben in den Schweizer Alpen – zwei stammen aus Berlin. Es sind Geschwister aus Frohnau. Der Vater überlebte, weil ihm unterhalb des Gipfels schlecht wurde und er deshalb zurückblieb.

Es ist eine der fürchterlichsten Tragödien in den Alpen in den vergangenen Jahren. Am Dienstag stürzten fünf deutsche Bergsteiger an dem Viertausender Lagginhorn im Kanton Wallis in den Tod. „Dieser Unfall war selbst für uns erfahrene Retter außergewöhnlich schrecklich“, sagte der Bergführer Rolf Trachsel in Saas Fee, er leitete die Rettungsaktion. „Die Gruppe war ganz alleine ohne Bergführer unterwegs, und sie waren nicht angeseilt.“ Zwei der Opfer stammen aus Berlin, ein 14-jähriges Mädchen und ihr 19-jähriger Bruder. Der Vater, der mit auf der Bergtour war, aber vor dem Gipfel nicht mehr weiterkonnte, sah offenbar, wie seine Kinder in den Tod stürzten.

Die beiden Berliner Geschwister stammen aus dem Ortsteil Frohnau. Der 20-jährige Maximilian S. hatte in diesem Jahr das Abitur an der Evangelischen Schule Frohnau abgelegt, seine 14 Jahre alte Schwester Marie Claire besuchte die gleiche Schule. Beide waren sehr sportlich, Maximilian hat auf seiner Facebook-Seite mehrere Bilder vom Bergsteigen in den Schweizer Alpen eingestellt, darunter auch eines mit Pickel am Seil. In einem vorangegangenen Urlaub war die Familie an der Bettmeralp im Kanton Wallis klettern, unweit der Absturzstelle von Dienstag. Als Lieblingsbuch nennt Maximilian „In eisige Höhen“. Der Bestseller beschreibt, wie 1996 am Mount Everest mehrere Bergsteiger nach plötzlichem Wetterumschwung durch Erschöpfung, Erfrieren und Abstürze ums Leben kamen.

Ein weiterer tödlich verunglückter Mann, 44 Jahre alt, und sein ebenfalls gestorbener 17-jähriger Sohn lebten in Bad Kreuznach. Das fünfte Bergopfer, ein Mann von 21 Jahren, wohnte laut Walliser Kantonspolizei in Börlinghausen in Nordrhein-Westfalen.

Wie der Bergführer Rolf Trachsel erzählt, muss sich die Bergkatastrophe so abgespielt haben: Die sechs Deutschen erreichen am Montag die Weissmieshütte in über 2700 Metern, oberhalb von Saas Grund. Die Deutschen sind alle am Abend zur rechten Zeit ins Bett gegangen und sind dann um 4 Uhr 30 am Morgen zum Lagginhorn-Gipfel aufgebrochen, heißt es von dem Hütten-Personal. „Alles war ganz normal, die waren sehr guter Dinge“, sagte ein Mitarbeiter der Hütte. Der Anstieg dauert mehrere Stunden. Die Gruppe bewegt sich offensichtlich auf der Normalroute. Rettungschef Trachsel: „Gegen Mittag zogen Quellwolken auf, es regnete.“ Der Schnee auf dem Berg ist weich und matschig. Rund 100 Meter unterhalb des Gipfels bricht ein Bergsteiger die Tour ab, er klagt über Übelkeit. Es ist der Vater der beiden Berliner Opfer. Seine Schwäche rettet ihm das Leben. Seine beiden Kinder und die drei anderen Abenteurer erklimmen den Gipfel. Kurz nachdem sie den Gipfel verlassen, geschieht es. Die ganze Gruppe stürzte von einer Bergflanke rund 400 Meter in die Tiefe, an einer Stelle, die Rettungschef Trachsel als „sehr, sehr steil“ bezeichnet. Der zurückgebliebene Vater der zwei Abgestürzten ist geschockt, er alarmiert sofort die Walliser Rettungsorganisation. Doch es ist zu spät. Die Retter fliegen mit Helikoptern ein, sie finden nur noch die Leichen.

Renato Kalbermatten von der Kantonspolizei bestätigte: „Die Bergsteiger waren sofort tot.“ Es wäre einem Wunder gleichgekommen, hätte auch nur einer der Alpinisten den Absturz überlebt. Die genaue Ursache der Tragödie muss noch geklärt werden. Die Staatsanwaltschaft Oberwallis leitet die Ermittlungen.

Hätten die Deutschen einen Bergführer haben müssen? Hätten sie angeseilt sein müssen? „Es ist jedem selbst überlassen, wie er sich absichert und ob er sich einem Bergführer anvertraut“, betont Renato Kalbermatten von der Kantonspolizei. „Die Berge sind für jedermann zugänglich.“ Rolf Trachsel, der die Rettungsaktion koordinierte, will nicht kommentieren, ob die deutschen Bergsteiger fahrlässig handelten: „Das wäre Spekulation“, sagt er.

Zum Zeitpunkt des Unglücks hatte es am Lagginhorn geregnet. Oben auf dem Gipfel in 4010 Metern Höhe hat es vermutlich geschneit. Es könnte sein, dass sie weggerutscht sind, weil Eis unter der Schneedecke war.

Ersten Ermittlungen zufolge waren sie nicht angeseilt.

Ob der Berliner Vater wirklich mit angesehen hat, wie seine Kinder und die anderen Mitglieder der Gruppe plötzlich abstürzten, in eine 400 Meter tiefe Schlucht, wird zunächst nicht eindeutig bekannt. Jedenfalls greift er zum Handy, ruft in der Weissmieshütte und bittet verzweifelt um Hilfe für die Vermissten. „Er war unter Schock“, sagt Norbert Burgener, der Koch und diensthabende Hüttenwart, der den Anruf entgegennahm, gegenüber dpa. „Das war 5 Minuten vor 13 Uhr, da bekam ich einen Anruf von dem Überlebenden, dass fünf von seiner Sechserseilschaft abgestürzt sind“, schildert Burgener. „Darauf habe ich sofort Alarm ausgelöst für die Rettungskräfte von der Air Zermatt.“

„Einfach alle, die das erfahren, sind schockiert“, sagt Hüttenwart Arthur Anthamatten der dpa. „Ewig lange“ sei in der malerischen und bei Touristen aus aller Welt so beliebten Walliser Bergen kein wirklich großes Unglück mehr passiert. Doch dann zwei Tragödien innerhalb weniger Monate. Am 13. März rast ein Bus mit belgischen Schulkindern, die im Wallis Skiferien verbrachten, gegen eine Wand des Autobahntunnels bei Siders. 28 Menschen sterben, die meisten von ihnen Kinder. Der Ort dieser Katastrophe ist nur rund 60 Kilometer vom Schauplatz der jüngsten Tragödie entfernt.

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