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Seltenes Bild: Joaquin Guzmán im Gefängnis von La Palma in Mexiko. Seit seiner spektakulären Flucht fehlt von dem Drogenbaron jede Spur. Sogar der Gefängnisdirektor stand auf seiner Lohnliste.

© dpa

Drogenkartelle: Mörder, Gesetzloser, Wohltäter

Nach der Erschießung Bin Ladens ist er der “World's Most Wanted Man”. Milliardär, Staatsfeind der USA und kaum 1,55 Meter groß. “El Chapo”, “der Kurze”, ist der mächtigste Drogenhändler der westlichen Hemisphäre. Nun wird sein Aufstieg in einer Serie verfilmt - und das noch zu Lebzeiten.

„El rey del narco“ nennen sie ihn: König der Drogenhändler. Sein bürgerlicher Name ist Joaquin Guzmán, geboren 1957 auf einer Ranch im ärmlichen Sinaloa, Nordwestmexiko. Joaquin ist das siebte Kind eines Viehzüchters, der ein wenig Schlafmohn anbaut. Früh übt sich Joaquin in dem Beruf des Drogenhändlers. Seinem Vater hilft er bei dem Anbau des Mohns, schmuggelt ein paar Kilo über die Grenze in die USA. Die Schule bricht er im Alter von sieben Jahren ab. Nach und nach steigt er in der Hierarchie der Drogenkuriere auf. Am Beginn der 80er Jahre wird er Logistikchef in der Mafiaorganisation Sinaloa. Bereits zehn Jahre später ist der kühle Stratege zum Boss des westmexikanischen Kartells aufgestiegen.

Synthetische Drogen bringen mehr Rendite

Eine Position, die man im Durchschnitt nicht länger als fünf Jahre überlebt. Guzmán kontrolliert nun die gesamte nördliche Westküste Mexikos. „El Chapo“ nennen sie den Mann von 1,55 Metern Körpergröße. Den „Kurzen“, der alle anderen überragt. Heroin, kolumbianisches Kokain und vor allem billiges Amphetamin lässt er über die Grenze in die USA bringen. Die synthetischen Drogen versprechen bessere Renditen. Billige Ausgangsstoffe und ein Labor braucht „El Chapo“. Kokain-Produzenten aus Kolumbien müssen nicht mehr bezahlt werden. Guzmán etabliert sich als Regionalfürst. In Guatemala lagert er viele seiner Drogen, bevor sie weitergereicht werden. Doch als bei einer Schießerei 1993 ein Kardinal stirbt, ist die trügerische Ruhe vorbei. Guzmán wird in Guatemala verhaftet, nach Mexiko ausgeliefert und dort zu 20 Jahren Haft verurteilt. Das Hochsicherheitsgefängnis Puente Grande in Jalisco ist sein neues Heim. Schnell hat der kleine Mann einen Ruf im Gefängnis: Er gilt als einer der brutalsten Insassen.

Guzmán entkommt in einem Wäschewagen

Doch 20 Jahre sind eine lange Zeit. Zudem droht eine Auslieferung in die USA. Guzmán beschließt zu flüchten. Er beginnt Wachleute zu bestechen. Auf 2,5 Millionen werden Ermittler das Schmiergeld später beziffern, das Guzmán seinen Wärtern zusteckt. Am 18. Januar 2001 öffnet Francisco „El Chito“ Camberos Rivera, ein Gefängnisaufseher, Guzmáns elektronisch gesicherte Zellentür. „Der Kurze“ steigt in einen Wäschewagen, den Camberos durch mehrere Sicherheitstüren und den Haupteingang rollt. Keiner kontrolliert sie. Jeder weiß, wer da gerade aus einem Bundesgefängnis ausbricht. Selbst der Gefängnisdirektor und die örtliche Polizei stehen auf Guzmáns Gehaltsliste. 24 Stunden werden sie verstreichen lassen, bevor sie die Verfolgung aufnehmen. Der Wäschekorb mit dem Drogenboss wird in den Kofferraum eines Lastwagens verladen. Francisco Camberos, der korrupte Wärter, sitzt am Steuer. Doch die letzte Zahlung an seinen Fluchthelfer hat Guzmán noch nicht beglichen. Eine abenteuerliche Geschichte hat er Camberos aufgetischt: Gold, das er in einem Stein aus dem Häftlingsbetrieb gefunden habe, wolle er in Freiheit verkaufen und ihn, Camberos, damit auszahlen. Camberos glaubt ihm. Doch als er an einer Tankstelle hält und tankt, entflieht Guzmán. Bis heute. „El Chapo“ geht in den Westen Mexikos. Dort ist sein Kartell mächtiger als der Staat. Obwohl von Polizei und Militär gesucht, heiratet er in aller Öffentlichkeit im Juni 2007 eine 18-jährige Dorfschönheit, die für die Krone der „Kaffeekönigin“ kandidiert. Das Militär traut sich angesichts Guzmáns Armee von Leibwächtern nicht einzugreifen.

Nach Bin Laden ist Guzmán der meistgesuchter Mann der Welt

Das Kopfgeld, das FBI und der mexikanische Staat auf ihn ausgesetzt haben, summiert sich bald auf sieben Millionen Dollar. Ein Betrag, den Guzmán selbst leicht bestreiten könnte. Das „Forbes“-Magazin listet ihn 2012 auf Platz 67 der reichsten Menschen und nennt ihn den „mächtigsten Drogenhändler“ weltweit. Sein Vermögen schätzt das Magazin auf eine Milliarde US-Dollar. Das „Time“-Magazin zählt ihn zu den 50 einflussreichsten Männern und die US-Regierung führt ihn zeitweise als den zweiten der meistgesuchten Männer der Welt – nach Osama bin Laden. Das Sinaloa-Kartell steigt zum mächtigsten Mexikos auf und ist heute eine der zehn größten Verbrecherorganisationen der Welt. Neben Schmuggel, Menschenhandel und Produktpiraterie betreibt Guzmán auch legale Unternehmen.

Guzman wird "Staatsfeind Nr. 1" - eine Ehre, die nur Al Capone je verliehen bekam

Die Chicago Crime Commission erklärt ihn 2013 zum „Staatsfeind Nr. 1“ – eine Ehre, die zuvor nur Al Capone zuteil wurde. „Was Al Capone für Bier und Whiskey während der Prohibition war, ist Guzmán für Betäubungsmittel“, begründet Art Bilek, Vize-Präsident der Organisation, die Wahl. „Von den beiden ist Guzmán die viel größere Bedrohung. Er hat mehr Macht und finanzielle Möglichkeiten als Capone jemals hatte.“ „El Chapo“, „der Kurze“ ist nun der Größte in seinem Heimatland. Auf den Straßen Mexikos wird sein Name gesungen. Die verbotenen Folkpopsongs, die „Narcocorrido“, rühmen seine Flucht vor dem Militär. „El Chapo“, heißt es, „den wahren El Chapo, den seht ihr nie wieder.“ Und mit dem Mythos wächst die Verklärung. „Der Kurze“ trage immer ein vergoldetes AK-47-Sturmgewehr mit sich herum, und überhaupt, er sei unsterblich. Nicht nur einmal hofft die mexikanische Polizei, den Drogenboss in einem Feuergefecht getötet zu haben. Nicht nur einmal stellt sich das als trügerische Hoffnung heraus. Währenddessen wird „der Kurze“ zum Volkshelden. Er lässt Schulen und Krankenhäuser von seinem Drogengeld bauen, vergibt Stipendien und verteilt Hilfspakete, als 2011 in Mexiko die Erde bebt. Für viele Menschen ist „El Chapo“ ein Wohltäter, kein skrupelloser Drogenboss, der weit über tausend Polizisten, Journalisten, Politiker, Staatsanwälte und Richter ermorden lässt.

Ein Drogenlord, der mal Kokain, mal Medikamente verteilt

Gesetzloser, Wohltäter und Mörder – das Leben Joaquin Guzmáns ist voller Brüche; eine Geschichte des Aufstiegs aus dem Nichts und der großen Übel: Gewalt, Sucht und Gier. Ein Drogenlord, der mal Kokain, mal Medikamente verteilt, der Leben nimmt und verschont – wie es ihm gefällt. Der US-amerikanische Sender UniMás Channel hat nun angekündigt, das Leben „des Kurzen“ zu verfilmen. In einer Serie über mindestens 60 Episoden soll „The Drug Baron“ 2014 auf den US-amerikanischen TV-Markt kommen. Geschrieben wird das Script von einem, der Bescheid wissen muss. Andres Lopez, ehemaliges Mitglied des „Colombian Norte del Valle“-Kartells, verbrachte 20 Monate in einem US-Gefängnis wegen Drogenschmuggels. Heute ist er ein Bestseller-Autor in Lateinamerika. Nachdem er 2004 aus der Haftanstalt in Miami entlassen wurde, veröffentlichte Lopez mehrere Bücher über das Innenleben der Drogenorganisationen. Nun hat ihn UniMás Channel für „The Drug Baron“ verpflichtet.

Noch nie ist das Leben eines Drogenbarons zu Lebzeiten verfilmt worden

Ob die Serie eines Tages auch nach Deutschland kommt, ist derzeit noch unklar. Dabei laufen die Produzenten der Serie gleich zwei Mal Gefahr, an ihrem gewagtem Projekt zu scheitern. Noch nie ist das Leben eines Drogenbarons zu Lebzeiten verfilmt worden. Zeichnen die Macher ein zu stark romantisiertes Bild „El Chapos“, glamourisieren sie einen Mann, der an der Sucht Hunderttausender verdient und mit dem Leben von über tausend Menschen bezahlt hat. Stellt die Serie „den Kurzen“ jedoch zu kritisch dar, dürfte dies zumindest einem – äußerst mächtigen und gefährlichen – Zuschauer nicht gefallen: „El Chapo“.

Michel Penke

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