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„100 Peitschenhiebe, wenn Sie nicht vor Lachen tot umfalllen.“ Das Cover der umstrittenen Ausgabe.

© AFP

Update

Droh-Mails und Brandsätze: Anschlag auf französisches Satireblatt nach Scharia-Sonderheft

In Paris ist die Redaktion eines Satire-Blattes Ziel eines Brandanschlags geworden. Die Zeitschrift hatte ein Sonderheft zum Wahlerfolg der Islamisten in Tunesien herausgebracht.

An einem ungewöhnlichen Ort musste Stéphane Charbonnier, Chefredakteur der satirischen Wochenzeitung „Charlie Hebdo“, am Mittwoch mit den Redakteuren des Blattes zur wöchentlichen Konferenz zusammentreten: auf dem Gehsteig vor dem Gebäude im 20. Pariser Arrondissement, in dem Redaktion und Verlag untergebracht sind. Unbekannte hatten in der Nacht einen Brandanschlag auf die Redaktionsräume verübt, die verwüstet wurden, das elektronische Gerät wurde zerstört und zahlreiche Dokumente vernichtet. So tagte man neben den auf die Straße beförderten verkohlten Resten der Einrichtung. Chefredakteur Charbonnier ist davon überzeugt, dass es sich um einen Terrorakt radikaler Islamisten handelt.

Denn für die aktuelle Ausgabe hatte sich die Redaktion einen besonderen Gag ausgedacht, um den Sieg der Islamisten-Partei Ennahda in Tunesien und die mögliche Einführung der Scharia in Libyen auf satirische Weise zu würdigen. Dem Blatt hatte sie den Titel „Scharia Hebdo“ gegeben, die erste Seite mit einer Karikatur des Propheten Mohammed geschmückt und ihn als „Chefredakteur“ dieser Sonderausgabe präsentiert. In einer Sprechblase legte sie ihm die Worte in den Mund: „100 Peitschenhiebe, wenn Sie sich nicht totgelacht haben.“

Das ging wohl manchen zu weit. „Unbekannte zertrümmerten ein Fenster und schleuderten einen Molotowcocktail ins Innere“, sagte Charbonnier in einem Rundfunkinterview. Zum Glück sei die Feuerwehr rasch zur Stelle gewesen und habe eine Ausbreitung der Flammen verhindert. Verletzte hat es keine gegeben.

„Charlie Hebdo“, neben der Wochenzeitung „Le Canard enchaîné“ das zweite große französische Satireblatt, hatte bereits seit mehreren Tagen über Twitter und Facebook Warnungen erhalten. Es habe Aufforderungen gegeben, „unsere Zeitung aufzukaufen und zu verbrennen“, berichtete Charbonnier. Gesehen hatte die neue Ausgabe, die erst am Mittwochmorgen ausgeliefert wurde, bis dahin noch niemand. „Charlie Hebdo“ hatte indes wie immer vor dem nächsten Erscheinungstag an Redaktionen und andere Multiplikatoren Kommuniqués mit Hinweisen auf den Inhalt verschickt, darunter auf einen „Leitartikel“ Mohammeds mit der Überschrift „Halal-Aperitif“ oder auf eine Karikatur des Propheten mit einer Clownsnase und dem Satz: „Ja, der Islam ist mit Humor vereinbar.“ Radikale Islamisten scheinen so viel Spaß nicht zu verstehen. Unter den Mails, welche die Redaktion erhielt, seien auch Todesdrohungen gewesen, sagte Charbonnier.

Neuer Karikaturenstreit. Die Redaktion der Satirezeitschrift „Charlie Hebdo“ in Paris nach dem Anschlag. Das aktuelle Titelblatt zeigt den Propheten Mohammed.
Neuer Karikaturenstreit. Die Redaktion der Satirezeitschrift „Charlie Hebdo“ in Paris nach dem Anschlag. Das aktuelle Titelblatt zeigt den Propheten Mohammed.

© Reuters

Die französische Öffentlichkeit verurteilte den Brandanschlag. Von Premierminister Francois Fillon bis zum Präsidentschaftskandidaten der Sozialisten, Francois Hollande, ist sich die politische Klasse darin einig, dass ein solcher Angriff auf die Meinungsfreiheit durch nichts zu rechtfertigen sei. Zwiespältig äußerte sich Hassan Mouassoui, der Präsident des Islamrats. „Wir verurteilen den Gewaltakt“, sagte er, „aber auch den Akt von ,Charlie Hebdo’.“ Es ist nicht das erste Mal, dass das Satireblatt sich mit Islamisten anlegt. 2006 übernahm „Charlie Hebdo“ einige der Mohammed-Karikaturen aus der dänischen Zeitung „Jyllands Posten“. Es war die einzige französische Zeitung, die so weit ging, auf diese Weise Solidarität mit den dänischen Kollegen in der Auseinandersetzung mit Islamisten zu demonstrieren. Das brachte der Zeitung Klagen der Großen Moschee von Paris und des französischen Muslimrats wegen „rassistischer Hetze“ ein, von denen sie 2008 auch in zweiter Instanz freigesprochen wurde.

Der Kampf gegen Radikale jeder Art, ob religiös oder politisch, ist neben der Aufdeckung von Skandalen der Stoff, den das Blatt seinen etwa 50 000 Lesern wöchentlich bietet. Es ging aus dem 1960 gegründeten Protestblatt „Hara Kiri“ hervor und überlebte dank hervorragender Zeichner manche Krise. Auch jetzt sieht Chefredakteur Charbonnier keinen Grund, das Terrain den Fundamentalisten zu überlassen. Sorge um die unmittelbare Zukunft des Blattes muss er sich auch nicht machen. Gleich mehrere Pariser Zeitungen boten seiner Redaktion vorübergehend Unterschlupf zum Erarbeiten der nächsten Ausgabe an.

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