zum Hauptinhalt
21 weiße Kreuze – aufgestellt am Ort des Schreckens auf dem alten Güterbahnhof von Duisburg.

© ddp

Duisburg: Der Stadt fehlen die Worte

Nach dem Drama auf der Loveparade: Bislang hat Duisburg keine Opferbetreuer losgeschickt – die Verwaltung wirkt wie zusammengebrochen. Heute findet die Trauerfeier statt.

Von Anna Sauerbrey

Duisburg ist nahe am Wasser gebaut. Topografisch schon immer, menschlich seit einer Woche. Fragt man etwa Frau Zimmermann auf dem Rathausvorplatz nach der Loveparade, steigen ihr sofort die Tränen in die Augen. „Wir haben davon in unserem Schrebergarten gehört. Unser Sohn und unsere Schwiegertochter waren dort“, sagt sie. „Eineinhalb Stunden hat es gedauert, bis wir endlich etwas von ihnen gehört haben.“ Diese Geschichte gibt es in Duisburg in diesen Tagen in unendlichen Varianten. Die Menschen tauschen sie aus, beim Bäcker, im Bus, auf der Arbeit. Es scheint, alle habe jeder der 500 000 Einwohner mindestens einen Bekannten oder Verwandten, der mittendrin war. In den Stunden nach dem Unglück hielt eine Stadt gemeinsam den Atem an. Nun versucht sie, mit dem Erlebten fertig zu werden.

Die Krankenhäuser werden bald die letzten Opfer der Loveparade entlassen. Am Freitag wurden nur noch fünf Personen stationär betreut. Die meisten der über 500 Verletzten konnten im Laufe der Woche die Krankenhäuser verlassen. Brüche und Quetschungen waren die häufigsten Verletzungen. Sie werden verheilen. Doch die seelischen Verletzungen, die Traumata, bleiben und suchen einen Ausdruck.

Vorerst ist die Unglücksstelle zum Pilgerort geworden. Dort standen auch am Freitag Menschen in der Warteschlange, um sich in das Kondolenzbuch einzutragen. Viele stehen auch einfach vor dem Zaun, der die Rampe absperrt, und blicken hinauf zu den Gebäuden des alten Güterbahnhofs. Der Ort ist symbolisch aufgeladen, ein Duisburger Traumort. Norman Foster soll hier Büro- und Wohngebäude schaffen. Etwas Glitzerndes, Modernes soll auf der alten Industriebrache entstehen. Nun ist der Ort vorerst der Trauer gewidmet.

„Es kommen täglich mehr Leute her“, sagt Diemut Meyer. Die Pfarrerin aus Mettmann und ihr Kollege Joachim Wolff aus Wesel sitzen in einem Container, den die Feuerwehr unweit des Unglücksortes aufgestellt hat. Sie tragen violette Jacke mit Reflektorstreifen, Notfallseelsorge steht auf dem Rücken. Seit dem Abend des Unglücks sind die beiden christlichen Kirchen vor Ort, in Zwei-Stunden-Schichten wechseln sich 50 Pfarrer ab. Auf dem Tisch steht ein Pappteller mit Süßigkeiten. Nervennahrung für die Helfer, die mit Trauernden sprechen, aber auch mit Traumatisierten.

Abends zünden Duisburger Kerzen an. Sie fühlen sich alleingelassen.
Abends zünden Duisburger Kerzen an. Sie fühlen sich alleingelassen.

© dpa

„Viele Hilfesuchende haben typische Symptome“, erzählt Joachim Wolff. Sie klagen über Schlaflosigkeit, werden von Schweißausbrüchen, von Ängsten und von Aggressionen geplagt. Die Menschen berichten den Seelsorgern davon, dass die Bilder unkontrolliert wiederkommen oder umgekehrt: dass sie geradezu süchtig sind nach den Bildern im Internet oder im Fernsehen. Viele, erklärt Notfallseelsorger Joachim Wolff, fühlten sich auch der Realität entrückt, könnten kaum an das eigene Überleben glauben. Andere fühlten sich leer und antriebslos. Die Pfarrer berichten auch von Menschen, die mit der Masse vorwärtsgedrängt wurden, die spürten, dass sie über am Boden liegende Körper traten. „Sie fühlen sich als Täter und Opfer zugleich, dass ist sehr schwer zu bewältigen“, sagt Diemut Meyer.

Doch während die Notfallseelsorger wenige Stunden nach dem Unglück vor Ort waren, hat die Stadt Duisburg bis heute keine weltliche Anlaufstelle für Hilfesuchende eingerichtet. Die Stadtverwaltung scheint gelähmt. „Wir müssen zunächst die Betreuung unserer eigenen Mitarbeiter gewährleisten“, sagt eine Sprecherin. Auf Initiative der Staatskanzlei wird nun zumindest bei der Übertragung des Gottesdienstes im Stadion des MSV Duisburg ein psychosozialer Dienst vor Ort sein. „Wie wir weiter verfahren, klären wir nächste Woche in einem Abstimmungsgespräch mit den Kirchen“, sagt die Sprecherin.

„Es ist gut, dass die Menschen schon ihren eigenen Ort der Trauer gefunden haben“, sagt Pfarrer Bernhard Lücking. Am Tag vor dem Gottesdienst sitzt er auf dem Sofa im Pfarrhaus von St. Joseph in der Duisburger Altstadt. Das Wohnzimmer sieht nach Besinnlichkeit aus, auf einer Kommode liegt eine aufgeschlagene Bibel. Doch das meditative Ticken der Pendeluhr an der Wand wird alle paar Minuten unterbrochen vom Telefon nebenan. Der katholische Pfarrer ist einer derjenigen, die die Trauer der Stadt organisieren. Gemeinsam mit einem Kollegen von der evangelischen Kirche wird er die Übertragung des Trauergottesdienstes im Fußballstadion der Stadt moderieren.

Wie viele Menschen kommen werden, mag er nicht schätzen. Es können 10 000, es können aber auch 100 000 sein. In der Salvatorkirche wird Angela Merkel erwartet und auch Christian Wulff, der seinen zweiten Auftritt als Präsident absolviert. Der ökumenische Gottesdienst wird vom Essener Ruhrbischof Franz-Josef Overbeck und dem rheinischen Präses Nikolaus Schneider gehalten und beginnt um 11 Uhr. Die alte Stadtkirche steht gleich neben dem Rathaus. ARD und WDR übertragen die Trauerfeier live, auch auf Leinwänden in zwölf Duisburger Kirchen wird der Gottesdienst übertragen.

Für die trauernde Stadt sei die Feier in der Kirche wichtig, sagt Bernhard Lücking, ein wichtiges Ritual, wie eine Beerdigung. Doch manches ist auch anders als bei anderen Katastrophen, berichten die Seelsorger. Sonst, sagt Notfallseelsorgerin Diemut Meyer, werde ihr oft die Frage gestellt, wie Gott das habe zulassen können. Diese Frage tauche in den Gesprächen dieses Mal nicht auf. Die Katastrophe der Loveparade, da sind sich die Duisburger einig, war Menschenwerk.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false