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Panorama: Ehre der Provinz

In Frankreich wird kaum noch auf dem Dorf entbunden – eine Initiative will, dass der Wohnort in den Geburtsurkunden stehen darf.

Berlin - Seit den fünfziger Jahren in Frankreich kommt fast kein Kind mehr in einem Dorf auf die Welt: 99 Prozent der Geburten finden in der nächsten Klinik mit Entbindungsstation statt. Daher gehen die Dörfer kaum noch als Geburtsorte in die Register ein. Eine Initiative fürchtet um die dörfliche Ehre.

Villers-Cotterêts, Jarnac oder noch Montboudif – Städtchen oder Dörfer wie diese wären weniger bekannt, wenn nicht dort prominente Menschen das Licht der Welt erblickt hätten. Auf dem Dorfplatz von Villers-Cotterêts steht heute noch die Statue von Alexandre Dumas. In dieser Gemeinde nordöstlich von Paris kam der berühmte Schriftsteller 1802 zur Welt. In François Mitterrands Geburtsort Jarnac in Westfrankreich gibt es ein Museum dem ehemaligen Präsidenten zu Ehren.

Genauso ist es auch in dem 186 Einwohner zählendem Geburtsort Georges Pompidous, Montboudif in der Auvergne. Heutzutage hätte Madame Pompidou wohl im nahe gelegenen Aurillac entbunden – in Montboudif wäre nie ein Pompidou-Museum entstanden und das Geburtsdorf des ehemaligen französischen Präsidenten hätte nicht seinen ehrenvollen Ruf. So jedenfalls sieht es der Rechtsanwalt Jean-Pierre Versini-Campinchi. Sein erklärtes Ziel ist es, die „Ehre der Wurzeln“ zu retten.

Mehr als 36 000 Städte und Gemeinden gebe es in Frankreich, jedoch nur 540 Kliniken mit Entbindungsstation, sagt Versini-Campinchi. Die meisten Orte tauchen deshalb nicht mehr in den Geburtsregistern auf. Das war anders, solange Hausgeburten noch nichts Ungewöhnliches waren. „Es geht nicht darum, dass Frauen wieder zu Hause entbinden sollen“, erklärt der Jurist. Der 74-Jährige hat mit Jean-Cyril Spinetta, Exchef von Air France-KLM, den „Verein zur Wiederbelebung der Dörfer“ gegründet und einen illustren Kreis von Mitstreitern um sich geschart. „Geburtsorte sind etwas sehr Symbolisches“, sagt er. „Das dürfen wir nicht verlieren.“

Die Dorf-Retter wollen, dass künftig Eltern frei wählen dürfen, ob der Geburtsort oder der Wohnort in den Urkunden stehen soll. Dass Geburtsangaben dann unter Umständen nicht ganz korrekt wären, stört Versini-Campinchi nicht weiter. Neben dem Symbolwert von Geburtsorten sehen die Initiatoren auch die Arbeit von Ahnenforschern und Historikern in Gefahr, die sich bei der Herkunftssuche oft auf die Register der Gemeinden stützen. Damit die „Wiederbelebung der Dörfer“ eine Sache von öffentlichem Interesse wird, haben ihre Initiatoren beim Meinungsforschungsinstitut Ifop eine Umfrage in Auftrag gegeben: 80 Prozent der Befragten befürworten die Reform, besonders gut kommt sie bei Anhängern der Linken an. „Ein Beweis, dass meine Idee nicht so reaktionär ist“, freut sich der Rechtsanwalt. Mélanie Gonzalez

Mélanie Gonzalez

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