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Panorama: Ein Dorf wird präpariert

Gunther von Hagens zieht es in den Osten – in Polen löst das Angst und Widerstand aus

Ein Zettel am Fenster des ehemaligen Pförtnergebäudes zerstreut alle Zweifel: „von Hagens Plastination Company Sieniewa“, steht darauf. Der umstrittene Leichenpräparator, der mit seiner Ausstellung „Körperwelten“ in Berlin, München und anderen Städten die Gemüter erhitzte, will sich im Nachbarland Polen engagieren und dort eine Fertigung von tierischen und menschlichen Präparaten in großem Stil aufziehen. Seit den ersten Berichten polnischer Zeitungen über die Pläne des selbsternannten „Plastinators“ schlagen dort die Emotionen hoch. Es werden auch absonderliche Vergleiche zwischen der Arbeit von Hagens und dem „industriellen Töten und Verarbeiten von Leichenteilen zu Lampenschirmen und Seife in den KZ“ hergestellt. Andere fordern eine generelle Leichenruhe und fragen sich, warum eine solche Fabrik ausgerechnet in Polen und nicht in Deutschland gebaut werde.

Zwei Stunden dauert die Autofahrt von Berlin ins kleine Dorf Sieniewa, das 20 Kilometer hinter der Grenzbrücke über die Neiße liegt. Höchstens 1000 Menschen wohnen hier. Neue Villen stehen zwischen grauen Bauern- und Wohnhäusern, die vor 60 Jahren von ihren deutschen Bewohnern aufgegeben werden mussten. Arbeit gibt es hier kaum. Die Ställe der einstigen Genossenschaft sind seit zehn Jahren verwaist und dem Verfall preisgegeben. Am östlichen Ortsrand steht die alte Maschinenfabrik. Ein Anschlussgleis führt von der Hauptstrecke Berlin-Breslau ins weitläufige Fabrikgelände. Die Hallen bieten offensichtlich genügend Platz für die von Gunther von Hagens in Aussicht gestellten 300 Arbeitsplätze.

Der Professor, der gestern verkündete, für einen Zoo im Saarland eine tote Elefantenkuh plastinieren zu wollen, ist selbst nicht vor Ort. Stattdessen soll sein Vater Gerhard Liebchen die Produktion vorbereiten. Vor allem muss er die Zustimmung durch die Gemeindevertretung sichern. Da stören Journalisten: „Papparazi“, schimpft der 89-Jährige mit abfälligen Blicken: „Ihr verdreht ja doch alles.“ Mit seinem Angestellten unterhält er sich fließend polnisch. Liebchen lebte vor dem Krieg in Polen. Am 10. Januar 1945 kam sein Sohn in der Nähe von Posen als Gunther Gerhard Liebchen auf die Welt.

Der Senior kramt dann doch eine Erklärung seines Sohnes hervor, mit der das Gemeindeparlament von seinen Plänen überzeugt werden soll: Demnach plant er nicht, seine Leichenpräparationen von China nach Polen zu verlagern. In dem chinesischen Ort Dalian seien 200 Mitarbeiter, darunter 100 Ärzte, „mit asiatischer Geschicklichkeit und Geduld“ mit der Herstellung von Ausstellungspräparaten beschäftigt. „In China habe ich bis heute 12 Millionen Euro investiert“, schreibt von Hagens. Das dort erreichte Niveau rechtfertige keinen Standortwechsel.

Im polnischen Sieniewa will er also seine Utensilien für die „Körperwelten“ lagern und reparieren. Später sollen hier aus Heidelberg gelieferte und bereits plastinierte tierische und menschliche Präparate mit Kunststoff imprägniert und beschichtet werden. Fünf bis 15 Millionen Euro würde diese Fertigungsstätte kosten. Sorgen um die Rendite macht sich der promovierte Mediziner nicht: „Der Bedarf an konservierten Gewebescheiben an Universitäten und Lehrkrankenhäusern ist unbegrenzt“, versichert von Hagens. Außerdem besitze er das weltweite Know-how-Monopol an dieser Technik.

Hagens macht Druck auf die Bürgervertretung: Noch sei nicht klar, wo die Endfertigung der Gewebescheiben nun erfolgt – zur Auswahl stünden außer Sieniewa und Heidelberg auch China, Kirgisien oder New York. Die Entscheidung hänge „in hohem Maße von der Akzeptanz meiner Arbeit sowohl bei den lokalen Behörden als auch bei der ortsansässigen Bevölkerung ab“.

In Sieniewa und in der Nachbarstadt Zary, mit der das Dorf eine Verwaltungsgemeinschaft bildet, sind die Menschen skeptisch. Von der „Körperwelten“-Ausstellung haben die wenigsten etwas gehört. „Ich verlasse mich auf das, was in den Zeitungen steht“, sagt ein junger Mann am Bahnhof. „Da will also tatsächlich jemand menschliche Leichen bei uns zerlegen und präparieren“, schüttelt er den Kopf. „Ich empfinde das als eine Verhöhnung der KZ-Opfer.“ Andere Passanten reagieren auf das Thema knapp und deutlich – „abscheulich“, „widerlich“, „in Polen unvorstellbar“ und „ab damit nach Deutschland!“ Zwei Frauen sehen auch die Chancen: „Die Arbeitsplätze wären ein Segen für unsere Region“, meinen sie, „30 Prozent sind bei uns ohne Job.“ Gunther von Hagens wehrt sich gegen eine „konstruierte Parallelität zwischen der Ausstellung und dem Massenmord an den Juden und Opfern anderer Volksgruppen“. Die Ausstellung „Körperwelten“ sei im Gegenteil ein Kontrast zum Horror des Massenmordes und der Leichenberge in deutschen Konzentrationslagern: „Damals wurden Menschen selektiert und ermordet, heute stellen sich Menschen ganz bewusst nach ihrem Tod in den Dienst gesundheitlicher Aufklärung.“

Die Bürgermeisterin von Sieniewa, Krystyna Korzeniowska, hält sich nach dem ersten Medienrummel mit Aussagen zurück. Man müsse jetzt zuerst genau prüfen und dann entscheiden, sagt sie. Der Körperwelten-Macher hat zur Unterstützung der Entscheidungsfindung schon drei Mitglieder des Gemeinderates zu einem Besuch der Ausstellungen in Los Angeles und Chicago und in sein Institut in Heidelberg eingeladen.

Sein Vater nennt den Hauptgrund für die Fabrik-Pläne in Polen: „Warum gehen deutsche Firmen in den Osten? Natürlich, weil die Produktion hier viel billiger ist“, sagt Gerhard Liebchen. „Im Nachbarort Zary buhlen Lidl, Netto und Plus um die Kunden. Da regt sich niemand auf. Nur um uns wird so ein Geschrei gemacht.“

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