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Panorama: „Ein Friedhof für 3000 Menschen“

Die polnische Marine hat die „Steuben“ entdeckt. Doch das Wrack kann noch nicht begutachtet werden

Warschau/Gdingen Die polnische Marine hat bei Vermessungsarbeiten in der Ostsee ein Wrack gefunden, bei dem es sich sehr wahrscheinlich um das 1945 gesunkene Flüchtlingsschiff „General von Steuben“ handelt. „Wir sind zu 99,5 Prozent überzeugt, dass es die ’Steuben’ ist“, sagte Henryk Mitner, Leiter der Abteilung für Hydrographie der polnischen Marine in Gdingen, am Freitag. Er bestätigte damit einen entsprechenden Artikel in dem Fachmagazin „National Geographic“. Endgültige Gewissheit könne aber erst eine Unterwasser-Untersuchung mit Tauchern bringen, die bisher wegen schlechter Wetterbedingungen in der Ostsee nicht möglich war. Mitner hofft, dass sich die Bedingungen bald zum Guten ändern und noch in diesem Jahr Klarheit darüber geschaffen werden kann, ob es sich tatsächlich um die „General von Steuben“ handele.

Ein Vermessungsteam der Marine hatte schon im Mai mehrere Stellen untersucht, an denen die Wissenschaftler Wracks vermutet hatten. Über die Lage der „Steuben“, die mit mehr als 4000 Menschen an Bord nach sowjetischem Torpedobeschuss sank, gibt es unterschiedliche Theorien. Der Untergang des Schiffes gilt nach Expertenmeinung als drittgrößte Schiffskatastrophe der Welt. Lediglich bei den ebenfalls in der Ostsee versenkten Flüchtlingsschiffen „Wilhelm Gustloff“ im Januar 1945 und „Goya“ drei Monate später waren noch mehr Menschen umgekommen.

Die „Steuben“ hatte nach Angaben von Zeitzeugen am 9. Februar 1945 den Hafen von Pillau in Ostpreußen verlassen. Nur 630 Menschen überlebten den Untergang. Bereits 2002 hatte der Paderborner Wracktaucher Ulrich Restemeyer behauptet, die „Steuben“ in einer Tiefe von 23 Metern etwa 16 Seemeilen vor der polnischen Stadt Stolp entdeckt zu haben. „Ich habe nie behauptet, es gefunden zu haben, und ich wollte auch nie der Erste sein“, sagte Restemeyer. Ihm sei klar gewesen, dass die Wahrscheinlichkeit nur „bei 85 Prozent“ gelegen habe. „Es hätte halt alles gepasst – die Ausmaße, die Form der Schiffsschrauben, der Anker, die Bullaugen – aber den Schriftzug ’Steuben’ haben wir ja nie gesehen“, betonte Restemeyer. Es sei durchaus denkbar, dass baugleiche Schwesterschiffe in der Ostsee lägen. Insgesamt wurden zum Ende des Zweiten Weltkrieges 73 Schiffe im Meer versenkt.

Die neue Fundstelle der „Steuben“ liegt Mitner zufolge nun in der Nähe der „Wilhelm Gustloff“. Weil die Forscher Angst vor so genannten Wrackräubern hätten, werde der genaue Fundort noch geheim gehalten. Ultraschallaufnahmen der Marine zeigten an der Fundstelle ein sehr großes und intaktes Wrack. Nach der Analyse der Fotografien und dem Vergleich mit historischen Aufnahmen der „Steuben“ wie auch nach Konsultationen mit Experten des Meeresmuseums in Danzig verfestigte sich die Überzeugung der Wissenschaftler, dass die Marine das Schiff tatsächlich gefunden hat.

„Wir sehen diesen Ort auch als Friedhof für mehr als 3000 Menschen“ sagte der Hydrograph Henryk Mitner – nur 630 Passagiere konnten beim Untergang der „Steuben“ gerettet werden. Deshalb sei es für die polnische Marine wichtig, dass das Wrack auf den Seekarten entsprechend markiert werden könne. Vermeiden wolle der Forscher, dass nach der Entdeckung des Wracks jetzt eine Art Unglücks-Tourismus entsteht und Wracktaucher sich „Souvenirs“ sicherten. „Es regt uns auf, wenn kommerzielle Firmen kommen und mit ihren Tauchgängen die Würde eines solchen Ortes verletzen“, sagte Henryk Mitner.

In der Schlussphase des Zweiten Weltkriegs flüchteten rund 2,5 Millionen Menschen an Bord von 1100 Schiffen aus den damaligen deutschen Ostgebieten über die Ostsee. dpa

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