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Panorama: Ein guter Mensch werden

Zum neuen Jahr nehmen sich viele vor, endlich einmal aufzuräumen. Aber so richtig

Entrümpeln! Es gibt viele Möglichkeiten, einen großen Bogen um dieses Wort zu machen. Man stellt sich einen Dachboden vor mit romantischen Installationen aus spinnwebenumsäumten Stummen Dienern, die Opa einst als Kleiderablage gedient haben, mit verstaubten Geigen und antiken Lattenrosten. Aber glücklicherweise hat man weder einen Dachboden noch einen Opa, der Stumme Diener mochte. Überhaupt, denkt man sich, entrümpeln, das ist doch eher eine klassische Frühjahrstätigkeit. Geht einher mit dem alljährlichen Hausputz. Hat also Zeit bis April. Mindestens.

Die Leichtigkeit, mit der die Menschen sich gerade bei diesem Thema betrügen, ist eigentlich ein Fall für die höhere Physik. Es ist nämlich so, dass im Frühjahr, wenn die Sonne scheint und allüberall die Blüten von den Bäumen rieseln, kein Mensch mehr daran denkt, zu Hause Staub zu atmen. Dann muss es raus an die frische Luft, egal, ob die Schränke gerade unter überflüssigem Krempel kollabieren. Gerade deshalb ist es wichtig und richtig, einzusehen, dass diese Jahreszeit die allerbeste zum Entrümpeln ist. Jetzt, wo es draußen lange dunkel ist, wo es nieselig kalt ist, kann man es sich aufs nützlichste gemütlich zu Hause machen. Noch einmal die alten Sachen angucken – und dann weg damit. Sehr schön eignen sich die ersten Januartage, wenn gute Vorsätze noch knospenfrisch sind und begierig darauf, zu großer Blüte zu explodieren. Warum sollte man sie nicht mit ein paar Vorschussleistungen anfüttern? Das macht den Neujahrstag dann umso überschäumender. Um eine gesunde Einstellung zum Entrümpeln zu entwickeln, muss man sich erst mal in die Lage versetzen, Gerümpel als solches zu erkennen. Nur in großen Ausnahmefällen wirbt es mit Spinnweben und solchem Brimborium. Allermeistens versteckt es sich mit Unschuldsmiene im Schrank und sagt: „Ich bin doch dein guter alter Ausgehanzug. Okay, im Moment kneife ich ein bisschen, du hast mich auch schon seit drei Jahren nicht getragen, und so richtig in ist mein Schnitt im Moment auch nicht. Aber jeder weiß doch, dass man ganz leicht auch wieder dünner wird, wenn die Mode von vorgestern wiederkommt.“

Gerümpel steckt im Bücherschrank und flüstert: „Du hast mich zwar von der superblöden Tussi geschenkt bekommen, hast mich auch nicht gern gelesen, eigentlich sogar fast ungelesen beiseitegelegt. Aber du weißt ja, es ist ein Sakrileg, Bücher wegzuwerfen.“

Es verstopft Schubladen, getarnt als Visitenkartenschachtel mit Werbeaufdruck oder defekter Walkman und lügt: „Vielleicht freut sich ja mal irgendjemand über so lustiges Spielzeug. Vielleicht kann man das Teil ja noch reparieren.“

Gerümpel sieht aus, wie ganz normale Sachen.

Deshalb heißt eine der nützlichsten Neuerscheinungen dieses Jahres „Entrümpeln mit dem inneren Schweinehund“ von Marco von Münchhausen. Der Titel macht zwar nicht an, ist aber insofern präzise, als er signalisiert, dass Entrümpeln nichts Einfaches ist und dass es jede Menge innerer Barrieren gibt, die dem entgegenstehen. Das ist ein Vorzug: Die Menschen werden nicht, wie sie es selber gern tun, besser eingeschätzt, als sie tatsächlich sind. Sondern realistisch.

Man soll sich nach dieser Anleitung eine Ecke vornehmen und einen Termin festlegen, wann sie entrümpelt wird. Die meisten Menschen sind es gewohnt, ihre Terminkalender mit Disziplin abzuarbeiten. Aber natürlich käme kaum jemand von selbst darauf, eine schräge Tätigkeit wie das Entrümpeln in einen veritablen Terminkalender einzutragen. Wo doch jeder weiß, dass das „irgendwann im Frühjahr“ dran ist. Am 1. Januar zwischen 10 und 12 Uhr schlägt aber auf diese Weise tatsächlich die bittere Stunde allen überflüssigen Krempels im Badezimmerschrank. Und dann geht es zügig weiter: defekte Küchengeräte, die man nie braucht, schäbige Dekorationen, alte Handys, Möbel, die unnötig viel Platz wegnehmen, Autoatlanten, die älter sind als drei Jahre … Marco von Münchhausen hat einige gute psychologische Tipps parat, zum Beispiel den „dreimal Ja-Test“. Man räumt einen Schrank ganz aus und fragt sich bei jedem Teil, bevor man es wieder einräumt, ob man es wirklich mag, ob man es in den letzten zwölf Monaten nützlich gefunden hat, ob man es in fünf Jahren vermissen würde, wenn man es jetzt aussortiert. Es gibt auch jede Menge Tipps, wie man sich vor dem Anhäufen von Gerümpel schützt. Produktfasten gehört ebenso dazu wie eine Strategie gegen Spontankäufe und eine Wunschliste bei einem professionellen Buchversender, damit die Freunde wissen, was sie zum Geburtstag schenken sollen.

Im Grunde wird aber ganzheitliches Entrümpeln empfohlen. Nicht nur Schränke und Schubladen sollen befreit werden, sondern auch Kopf und Seele. Dazu gibt es Tipps zum Schaffen einer inneren Ordnung. Die sehen zum Beispiel vor, dass man es lernt, anderen Menschen zu verzeihen, dass man sich aber auch vor Energieräubern schützt und vor Menschen, die einem Zeit stehlen, obwohl sie nicht mal besonders sympathisch sind.

Wenn man dann am Ende ein wirklich guter Mensch geworden ist, wird man wohl auch freiwillig dem Ratschlag folgen, der da lautet: Jede Woche sollst du dir zwei Stunden zum Entrümpeln reservieren, am besten immer zum gleichen Termin. Wer da nicht spätestens im Frühsommer schwänzt, macht aber auch etwas falsch. Nette Menschen sind meistens auch etwas chaotisch. Und Spinnweben können tatsächlich malerisch sein.

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