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Panorama: Ein Kunstwerk wird 50

Nina Hagens Karriere begann mit einem Farbfilm. Später suchte die Punk-Diva nach dem Sinn des Lebens

Die wunderbare Karriere der Nina Hagen hat 1974 begonnen, mit einem Lied, das angeblich immer noch 40 Prozent der Ostdeutschen mitsingen können: „Du hast den Farbfilm vergessen“. Ein Monsterhit in der DDR – da ist Nina Hagen noch der süße Fratz des Staatsfernsehens, trägt Blumenkleider und unerhörte Hüte, macht fast ein wenig auf Mireille Mathieu.

Am 11. März 1955 als Tochter des Drehbuchautors Hans und der Schauspielerin Eva-Maria Hagen geboren, wurde der Liedermacher Wolf Biermann schon bald ihr Stiefvater, was die Beobachtung der Familie Hagen zur Folge hatte. Auch Nina selbst eckt an – blutjunge Staatsfeindin und sozialistische Schlagerhoffnung zugleich. Obwohl sie bei der Aufnahme zur Schauspielschule durchfiel, stand sie am Anfang einer Defa-Filmkarriere, als Biermann im November 1976 ausgewiesen wurde. Die Mutter und Tochter Nina folgten ihm nach, und aus dem Leben mit „wenig Freiheit und viel Sex“ wurde ein Leben mit ziemlich viel von allem.

Nina Hagen verschlug es nach London, dort nahm sie der Regisseur Julien Temple 1977 mit zum Sex-Pistols-Konzert. Punk war die letzte Farbe, die Nina Hagen für ihre Palette noch brauchte. Nur ein Jahr später inkarniert sie sich auf dem Debütalbum „Nina Hagen Band“ als jene schrille Diva, als die man die nun 50-Jährige noch heute kennt. Das Catsuit, der Liza-Minelli-Clownslook, Fröhlichkeit und Frauenpower, der stimmgewaltige Wahnsinn. „Rangehen“, „TV-Glotzer“, „Unbeschreiblich weiblich“ – die Platte erschüttert die Republik, und „Die Welt“ glaubte gar, es müsse auf „die bundesdeutsche Reihenhaus-Idylle eine ähnliche Wirkung“ entfalten wie 20 Jahre früher Bill Haleys „Rock around the Clock“. Doch so stilbildend wie Haley ist sie nicht geworden. Schon beim zweiten Album „Unbehagen“ (1979) hatte sie sich heillos mit ihrer Band zerstritten, und die Grandezza von damals erreichte sie nie wieder.

Ihr Gesang ist stets außergewöhnlich und kraftvoll – ihre Musik meistens nicht. Das eigentliche Kunstwerk ist ohnehin Nina Hagen selbst. Ihr Mantra ist ein lärmendes „Anything Goes“, und zwar in künstlerischen wie in spirituellen Dingen. Hagen gibt sich fortan als erleuchtete Sinnsucherin und persiflierende Künstlerin zugleich, die Grimasse ist ihr wichtigstes Stillmittel. Begonnen hatte es mit der Sinnsuche bereits in der DDR, wo sie sich als Kind heimlich in die evangelische Kirche schlich: „Wenn die alle diesen Gott so hassen, dann muss ich selber auschecken, ob es den gibt.“ Ab 1974 begibt sie sich wechselweise auf LSD-Trips und Indienreisen, trifft dort ihren Meister „Babaji“. Nina Hagen mutiert zur Glaubenskünstlerin, die sich vom spirituellen Weltmarkt greift, was sie braucht, denn „wer Buddhist ist, kann auch noch was anderes sein“. Überall auf der Welt hält sie tibetanische Neujahrsfeste und indische Messen ab: „Ich bin wie die Sonne. Ich scheine für jeden.“ Nicht immer erfolgreich: Als sie ihrem Lieblingsverein 1. FC Union Berlin zum Pokalfinale in Berlin ein Ständchen sang, verlor der mit 0:2 gegen Schalke 04.

Ihre Auftritte geraten immer mehr zu einer ermüdenden Freakshow, die stets noch eins draufsetzen muss – bis hin zum skandalösen Auftritt in Österreichs „Club-2“-Talkshow 1979, als sie selbst Hand an sich legte und eine kurze Einführung in der Kunst der Selbstbefriedung gab. Ihre Musik dagegen kommt nicht vom Fleck, auch dann nicht, als sie in die USA übersiedelt. Ihr erstes englischsprachiges Album „Nun Sex Monk Rock“ von 1981 ist auch ihr erster großer Flop. Es sollten noch einige folgen.

Nach Europa kehrt Nina Hagen endgültig im Jahr 2000 zurück, als der Musikmanager Franck Chevalier, Vater ihrer Kinder Cosma Shiva und Otis, in Los Angeles den Sohn entführt. In einem wahren Justiz-Krimi muss Otis mit Hilfe des Bundesgrenzschutzes nach Berlin gebracht werden. Dass man sie für eine ungeeignete Mutter hielt, die ihre Kinder mit ihrem exaltierten Lebestil überfordere, kann Nina Hagen nicht nachvollziehen. „Ich war mehr zu Hause als jede Stewardess.“ „The Return of the Mother“ hieß denn auch ihre Rückkehr zu ihren Punk- und New-Wave-Wurzeln im Jahr 2000, ein Album, mit dem sie sich in musikalischer Hinsicht wieder einigen Respekt erspielen konnte. Ob sie eine politische Person sei, wurde Nina Hagen einmal gefragt. „Ich bin eine religiöse Person.“ Und auf welche Weise? „Auf wunderbare Weise.“

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