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Panorama: Ein Thriller

Heute beginnt der Prozess gegen Michael Jackson. Der Popstar will um seine Reputation kämpfen

Aus dem einstigen „King of Pop“ ist eine Witzfigur geworden. Eminem, als derzeit kommerziell erfolgreichster Popmusiker der USA sozusagen dessen legitimer Nachfolger, tritt im Video zu seiner Single „Just Loose It“ als bizarre Michael-Jackson-Karikatur auf. Er trägt eine schwarze Lockenperücke und tanzt in staksigen Moonwalk-Schritten über einen Dancefloor. Mitten im Song verliert er seine Nase. Der Text geizt nicht mit Anspielungen und Unflätigkeiten: „No worries, papa’s got a brand new bag of toys / I done touched on everything, but little boys / That’s not a stab at Michael / That’s just a metaphor, I’m just a psycho.“ Jackson wird von Eminem als Sugar Daddy verhöhnt, der kleine Kinder mit Spielzeug in sein Bett lockt. Kein Perverser, bloß ein „Psycho“.

Amerikanische Sender haben das Video nach Protesten von Jackson aus dem Programm genommen. Im deutschen Musikfernsehen läuft „Just Loose It“ derzeit hingegen im Schnellwiederholungstakt der so genannten „heavy rotation“. Heute beginnt im südkalifornischen Santa Maria mit der Auswahl der Geschworenen der Prozess gegen den Popstar. Das Verfahren findet unter enormem Medienandrang statt, seit der Mordanklage gegen O. J. Simpson und Bill Clintons Lewinsky-Skandal hat kein juristischer Fall in den USA ähnlich starke Aufmerksamkeit erregt. Jackson ist angeklagt, im Februar und März 2003 einen damals 13-jährigen Jungen sexuell missbraucht zu haben. Ihm drohen bis zu 20 Jahre Gefängnis. „Just Loose It“: Den Titel von Eminems Songs muss Jackson als sehr konkrete Drohung verstehen. Er kann in diesem Prozess tatsächlich alles verlieren, nicht nur sein Vermögen, sondern auch die Reste seine Reputation.

Ganz gleich, ob das Verfahren, das sechs Monate dauern soll, mit einer Verurteilung oder mit einem Freispruch endet: Unbeschadet wird der Sänger nicht davonkommen. Er hat jahrzehntelang weder Kosten noch Mühen gescheut, um sich zu einer Kunstfigur zu stilisieren, zu einem alters-, rasse- und geschlechtslosen Wesen, das mit der ihn umgebenden Wirklichkeit in keinem unmittelbaren Kontakt zu stehen schien. Er ließ seine Nase operativ verkleinern, bleichte seine Gesichtshaut und versteckte sein Gesicht hinter einer Atemmaske. Er baute sich ein privates Disneyland, seine „Neverland Ranch“ bei Santa Barbara, ein Kinder-Paradies, in das er sich mit fünfzig Bediensteten und zweihundert Tieren zurückzog. Sex schien in seiner Welt keine Rolle zu spielen.

Michael Jackson ist, immer noch, der erfolgreichste lebende Popstar. Von seinem 1982 erschienenen Album „Thriller“ wurden mehr als fünfzig Millionen Exemplare verkauft, ein bis heute unerreichter Weltrekord. Von derlei Zahlen kann der Sänger heute nur noch träumen. Sein letztes Studioalbum „Invincible“, das 2001 herauskam, schaffte weltweit gerade einmal einen Umsatz von sieben Millionen Exemplaren, für seine Verhältnisse ein kommerzielles Desaster. Der Star, der mit seinem nervös pulsierenden Funk und seinem kieksigen Falsettgesang die Black Music der Siebziger- und Achtzigerjahre revolutionierte, ist in der Popularität längst von jungen Rappern wie 50 Cent oder Puff Daddy überholt worden. Mit seiner Plattenfirma Sony, der er mangelnde Promotion und „Rassismus“ vorwarf, hat sich der Sänger nach dem Misserfolg von „Invincible“ überworfen. Der Konzern konterte mit dem Vorwurf, er habe seine Karriere durch seinen Ruf als „Kinderschänder“ selbst ruiniert.

Mit seinen 46 Jahren kann Michael Jackson auf eine Laufbahn zurückblicken, die vierzig Jahre zurückreicht. Angefangen hat er als Kinderstar, der mit seinen Brüdern Jermaine, Jackie, Marlon und Tito ab 1967 bei Talentwettbewerben und in Diskotheken auftrat. „I Want You Back“ war 1970 der erste Millionenhit der Jackson 5. Die Gruppe, die sich später in The Jacksons umbenannte, gilt als ein typischer Fall von Kindesmissbrauch in der Showbranche. Der Vater Joseph Jackson, ein Kranfahrer aus Indiana, hatte seinen Söhnen schon im Vorschulalter das Singen und Steppen beigebracht und sie buchstäblich zu ihren Erfolgen geprügelt. Wenn er seinen Vater sehe, beschwerte sich Michael Jackson später in einer Talkshow, müsse er „kotzen“. Weil ihm seine Kindheit gestohlen worden sei, lautet eine beliebte These, habe der Sänger ein „Peter-Pan-Syndrom“ entwickelt: den zwanghaften Wunsch, niemals alt zu werden. Joseph Jackson hat vor kurzem seine Memoiren veröffentlicht (Die Jacksons, Random House, 256 S., 20 €). Er habe seinen Kindern durchaus mal einen „Klaps“ gegeben, schreibt der Patriarch, aber das sei immer gut gemeint gewesen. Und die Vorwürfe gegen seinen Sohn: nichts als Lügen. „Michael“, versichert er, „würde niemals einem Kind etwas zuleide tun“.

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