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Panorama: Eine deutliche Stimme – und eine Lektion

Benedikt XVI. lobt die soziale Großherzigkeit der deutschen Katholiken, mahnt aber: „Die Evangelisierung muss dem Sozialen vorausgehen.“ Nicht alle fühlen sich angesprochen

Das Band, das Konrad Tradler und den Papst verbindet, ist aus schwarzem Leder. Tradlers Vater hat die Schuhe gemacht, die Joseph Ratzinger als frisch geweihter Priester bei seinem ersten Gottesdienst getragen hat. 60 Mark haben sie gekostet. So stehe es im Auftragsbuch. In Traunstein war das, 1951. Mit seiner Familiengeschichte sei „doch klar“, dass er hier dabei sein muss. Deshalb hat er sich an diesem Sonntagmorgen schon um fünf Uhr aufgemacht, vom Tegernsee aus. Er hat seinen Trachtenanzug mit der Filzjoppe und den kurzen Lederhosen angezogen und den grünen Filzhut mit den Federn aufgesetzt. Das ist die Montur des Tegernseer Gebirgsschützenvereins. Konrad Tradler ist dort Mitglied – und der Papst Ehrenmitglied. Noch ein Grund, heute hier zu sein.

Quadratkilometerweise schwarze lange Gewänder, eng geschnürte Mieder, Hüte mit goldenen Quasten. Von den 250 000 Menschen, die aus ganz Deutschland, zum Teil aus dem Ausland, aber vor allem aus Bayern zur Papst-Messe nach München gekommen sind, haben etliche tausend, junge wie alte, traditionelle Trachten an. Manche tragen goldbestickte Fahnen mit sich, auf denen steht „Mit Gott für König & Vaterland“. Sie wollen „die Werte des Abendlandes verteidigen“, sagt einer von ihnen.

Dass „Gott die Mitte der Wirklichkeit und des Lebens“ ist, wie der Papst in seiner Ansprache fordert, das brauche man ihnen nicht zu sagen. Sie gehören zu den 1,5 Millionen Menschen, die jeden Sonntag in Bayern in die Kirche gehen. „Lobe den Herren“ geht ihnen genauso selbstverständlich über die Lippen wie das „Gloria in excelsis Deo“. Das grüne Messgewand, das Benedikt XVI. trägt, ist das gleiche, das auch tausende Dorfpfarrer an diesem Morgen überwerfen. Benedikt hätte auch goldbestickt auftreten können, aber er wollte es einfach haben. Ein Gottesdienst für das bayerische Volk sollte es sein. Deshalb auch gibt es zu Beginn erst mal „ein echtes bayerisches Grüß Gott“ für alle. Der Papst ist oben auf der Bühne angekommen, lächelt und spricht den Gruß mit ausgebreiteten Armen und ungewohnt fest und klar. Die Scheu, die seine Worte vergangenes Jahr in Köln auf dem Weltjugendtag umfing, die Stimme, die sich am Tag zuvor auf dem Marienplatz noch manchmal überschlug, vielleicht aus Rührung, vielleicht aus Unsicherheit, klingt heute morgen deutlich. Alle Gläubigen, die vor ihm stehen, sie hören es deutlich heraus: der Papst fühlt sich tatsächlich hier zu Hause, in Bayern. Sie danken es ihm mit Klatschen und Jubeln. Auch die „Benedetto“-Chöre sind jetzt wieder zu hören. Das heißt aber nicht, dass er nun über Nacht ein lockerer Typ geworden wäre. Dass er mitten in der Liturgie spontan den Sprechchören zuwinken würde, wie es Johannes Paul II. getan hat, ist nicht drin. Die Liturgie, der Mittelpunkt des christlichen Glaubens, ist für Benedikt XVI. eine viel zu ernste, heilige Angelegenheit. Schon als Junge habe er die feierlichen Texte, Gesten und Handgriffe als „fesselndes Abenteuer“ erlebt, schreibt er in seinen Lebenserinnerungen.

„Liebe Schwestern und Brüder“ setzt der Heilige Vater an. Er steht am Mikrophon mit getönter Brille und liest vom Manuskript ab. Er spricht über die Heilung eines Taubstummen durch Jesus und die „Schwerhörigkeit Gott gegenüber, an der wir gerade in dieser Zeit leiden“. Wir hörten Gott nicht mehr zu, weil wir „zu viele andere Frequenzen im Ohr haben“. Viele der versammelten Menschen schauen nun unter sich, kneten das Programm. Wer seit vier Uhr hier ausgeharrt hat, fühlt sich vermutlich nicht angesprochen. Dann holt Benedikt aus: „Die katholische Kirche in Deutschland ist großartig durch ihre sozialen Aktivitäten, durch ihre Bereitschaft zu helfen, wo immer es not tut.“ Die Leute lächeln, schauen auf, das tut gut. Die Bischöfe der Welt seien tief beeindruckt von der Großherzigkeit der deutschen Katholiken und beauftragten mich, diesen Dank weiterzugeben.“ Klatschen. „Dann und wann sagt aber ein afrikanischer Bischof: Wenn ich in Deutschland soziale Projekte vorlege, finde ich sofort offene Türen. Aber wenn ich mit einem Evangelisierungsprojekt komme, stoße ich eher auf Zurückhaltung. Offenbar herrscht da doch bei manchen die Meinung, die sozialen Projekte müsse man mit höchster Dringlichkeit voranbringen, die Dinge mit Gott oder gar mit dem katholischen Glauben, die seien doch eher partikulär und nicht gar so wichtig.“ Aber die Evangelisierung müsse dem Sozialen vorausgehen, sagt der Papst jetzt.

Das sitzt. „Naja, das muss man uns doch nicht sagen“, murmelt ein Mann. „Da meint er bestimmt nicht uns“, sagt eine 18-Jährige aus Fulda. „Was sollen wir denn noch alles tun“, eine andere. Die seligen Gesichter, die am Samstag die Straßen in München säumten, sollten nicht darüber hinwegtäuschen, dass im grünen Messgewand nicht nur der Star Benedikt XVI. steckt, sondern auch Kardinal Joseph Ratzinger, der alte Glaubenshüter.

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