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Panorama: Eine Metropole lässt sich liften - im Jahr 2000 sollen doppelt so viele Besucher kommen wie sonst

Überall wird gebaut und gebaggert. Ungeduldig warten die Römer auf die Enthüllung ihrer neuen, alten StadtClemens Wergin Da ist für ihn die Schmerzgrenze erreicht.

Überall wird gebaut und gebaggert. Ungeduldig warten die Römer auf die Enthüllung ihrer neuen, alten StadtClemens Wergin

Da ist für ihn die Schmerzgrenze erreicht. Der italienische Bestsellerautor Andrea Camilleri ringt die Hände. "Rom sieht aus wie nach einem Bombardement!", ruft er und schaut gen Himmel, wie um eine höhere Instanz als Zeugen anzurufen. Wie Tausende seiner Mitbürger klagt er über den Verkehr, der wegen der Vorbereitung auf das Jahr 2000 jeden Tag noch ein bisschen unerträglicher wird. "Wenn man sich in Rom mit dem Auto bewegen will, geht das nur im Zickzack-Kurs", sagt Camilleri, "immer um die Baustellen herum." 700 gibt es davon im Moment, ein schon mehr als zwei Jahre dauernder Frontalangriff der Bauunternehmer auf eine Stadt, die ohnehin schon am Verkehr erstickt.

Die italienische Hauptstadt macht sich schön für das "Grande Giubileo" der katholischen Kirche, das große Jubiläum zum Beginn des dritten Jahrtausends. 30 Millionen Besucher werden für 2000 erwartet, doppelt so viele wie in anderen Jahren. Und obwohl die wichtigsten Arbeiten schon abgeschlossen sind oder das Ende zumindest absehbar ist, geht den geplagten Römern auf den letzten Metern die Puste aus. Seit Jahrhunderten haben sie Millionen von Pilgern und Touristen routiniert und gelassen ertragen, doch jetzt murrt und mosert es an allen Ecken der Stadt. "Basta" heißt es unisono.

Die Römer haben Angst, ihre Stadt könnte im Jahr 2000 zum Opfer abgerissener Pilger aus den Armenhäusern der Welt werden. Die Millenniums-Besucher, glauben sie, werden ihre Verpflegung selber mitbringen, sie werden in kirchlichen Hospizen übernachten und keinen Pfennig in der Stadt lassen. Das Heilige Jahr werde somit keineswegs den erhofften Mehrwert in Form der "San-Pietro-Dollari" abwerfen, sondern neben den Pilgern nur eine Horde von Bettlern und Taschendieben in die Stadt locken und die zahlungskräftigen Touristen vertreiben.

Solcherart teilweise lustvoll, teilweise aggressiv vorgebrachter Defätismus verdeckt allerdings die erstaunliche Entwicklung der Stadt in den letzten Jahren. Bürgermeister Francesco Rutelli ist es nicht nur gelungen, den jahrzehntelangen Niedergang zu stoppen und die ausufernde Korruption einzudämmen, sondern Rom erlebt unter der nun schon sechs Jahre dauernden Amtszeit Rutellis eine erstaunliche kulturelle Blüte. Der Bürgermeister setzte zunächst bei der römischen Verwaltung an, die bevölkert ist von "raccomandati", die ihre Posten einmal von Parteifürsten als Gegenleistung für ihre Wahlstimmen bekommen haben - ohne Ansehen der Qualifikation. Da war es schon eine Pionierleistung, dass Rutelli zum ersten Mal in der Geschichte Roms ein Handbuch herausgeben ließ, in dem die Bürger die Telefonnummern der Behörden nachschlagen können. Bürgernähe ist Rutellis Credo. Deshalb hat er Beschwerdestellen eingerichtet - eine Art Kurzschluss mit dem Bürger in Umgehung des Apparates, der ihm besonders in der Stadtreinigung und der Stadtpolizei immer noch zähesten Widerstand entgegensetzt.

Rutelli hat die Vision einer lebenswerten, funktionierenden und bürgernahen Stadt. Das Jubiläum bietet ihm die Chance, etwas davon zu verwirklichen. Endlich konnte er zum großen Wurf ausholen und vorantreiben, was sonst in ermüdenden Detailverhandlungen mit der Bürokratie versandet wäre. Der Bürgermeister sagt: "Für manche Hauptstädte bedeuten olympische Spiele oder Weltausstellungen ein Zusammentreffen mit der Moderne. Für die Römer ist es das Jubiläum." Rutelli geht es um eine kontrollierte Umwandlung: "Wir haben Schluss gemacht mit dem alten Rom, das vom illegalen Bausektor lebte, der große Teile des Territoriums verschlang." Das Gebiet um die Appia Antica wurde zum geschützten Landschaftspark erklärt, in dem Bauen ganz verboten ist. Die Via Appia, die einmal vom Forum bis nach Brindisi reichte, soll größtenteils vom Asphaltüberzug befreit werden. Und wo der Autobahnring die alte römische Heerstraße kreuzt, soll er in einer unterirdischen Galerie verschwinden.

Vor allem die Innenstadt ist durch Rutellis Programm der "100 Plätze" wieder attraktiv geworden. Viele Barock- und Renaissanceplätze, deren Schönheit unter der Masse der parkenden Autos verschwand, sind inzwischen für den Verkehr gesperrt und neu gepflastert. Die Fußgänger haben sich die Plätze zurückerobert, und in der Altstadt sprießen die Straßencafés aus dem Boden. Früher gingen nur die Touristen in die Cafés; heute sieht man dort immer häufiger auch die Römer ihre Stadt genießen.

Rom erhält ein neues Gesicht, zehn Milliarden Mark haben staatliche und halbstaatliche Stellen in den letzten Jahren in die Stadt gesteckt. Obwohl an vielen Palästen noch Gerüste angebracht sind, lugt an anderer Stelle schon das alt-neue, von schwarzen Smogablagerungen befreite Rom hervor. Viele Gebäude haben ihre klobige Schwere verloren, wirken fast heiter schwebend im frischen Festtagsgewand. Auch die alte römische Brücke zur Tiberinsel zeigt schon wieder ihre strahlend weißen Marmorbögen. Dabei scheint die Ewige fast genauso verdutzt über ihre Metamorphose wie der staunende Besucher.

Die kulturelle Wiederbelebung der Stadt hat viele Väter. Einer ist der inzwischen zum Parteisekretär der Linksdemokraten avancierte Kulturminister Walter Veltroni. Innerhalb weniger Jahre hat er für die Wiedereröffnung von Museen wie der Villa Massimo, der Galleria Borghese und dem Palazzo Altemps gesorgt, die ohne sein Zutun wohl noch auf Jahre hinaus "wegen Restaurierung geschlossen" geblieben wären. Auch dass die Nero-Villa nun nach 20 Jahren wieder zugänglich ist, geht auf Veltronis Konto.

James Joyce hat die Stadt einmal mit jemandem verglichen, "der davon lebt, Durchreisenden die Leiche seiner Großmutter zur Schau zu stellen." Und tatsächlich lebte Rom seit Jahrhunderten mehr in der Vergangenheit als in der Gegenwart. Außer im Film der Nachkriegszeit hat die Stadt in den letzten Jahrhunderten keine künstlerischen Impulse mehr gegeben, sie lag an der Peripherie der europäischen Moderne. Daher versprechen auch die Anstrengungen auf dem Gebiet der modernen Kultur am ehesten einen mentalen Modernisierungs-Schub: Der Architekt Renzo Piano hat das Auditorium für den Stadtteil Flaminio entworfen, einen Komplex von drei käferartigen Konzertsälen, die sich um ein modernes Amphitheater gruppieren und endlich wieder Platz für größere Konzerte bieten sollen. Die alte Peroni-Brauerei beherbergt heute die städtische Galerie moderner Kunst, und im stillgelegten E-Werk von Montemartini bieten die bulligen Dieselmotoren vom Anfang des Jahrhunderts einen reizvollen Kontrast zur antiken Skulpturensammlung der kapitolinischen Museen.

Vor einigen Jahren war Rom noch ein verschlafenes Nest, in dem man nur mit Mühe einen ordentlichen Jazzclub fand. Heute werden zwischen Juni und September antike Plätze und pinienbestandene Parks zu Konzertbühnen für Live-Musik umfunktioniert. Zu den mehr als 200 Konzerten und Ausstellungen des "Römischen Sommers" kommen jedes Jahr fünf Millionen Besucher. In der lauen Sommerluft erleben sie eine geglückte Symbiose aus historischem Ambiente und zeitgenössischer Kunst und Kultur.

Das hat auch seine Auswirkungen auf den Tourismus. So haben sich die Besucherzahlen in den letzten fünf Jahren um 25 Prozent erhöht. Trotzdem gibt es da noch ein Problem: Im Durchschnitt bleiben die Touristen nur drei Tage in Rom, in Paris oder London verbringen sie sieben Tage. "Wir wollen keinen Ex-und-Hopp-Tourismus mehr, der die Stadt ausquetscht wie eine Zitrone, sondern Qualitätstourismus", sagt Claudio Marinelli, der PR-Mann der Stadt.

Fürs nächste Jahr macht sich Marinelli allerdings auf den Notstand gefasst. Gerade wurde ein gigantischer unterirdischer Busparkplatz am Gianicolo fertig gestellt, einem der römischen Hügel, damit die Busse außerhalb der Zone um Sankt Peter parken können. Gern hätte der Bürgermeister auch neue Metrolinien, von denen es in der Metropole bloß zwei gibt. Zusätzliche U-Bahn-Tunnel wird Rom aber nicht bekommen, wie Marinelli seufzend erklärt: "Wo immer sie für die Metro in der Erde buddeln, ist sofort der Denkmalschutz da und stoppt alle Arbeiten - es gibt keinen Quadratzentimeter im Zentrum ohne antike Ruinen." Archäologischen Bedenken fiel auch die Unterführung an der Engelsburg zum Opfer: Man hatte Angst um die Fundamente des ehemaligen Hadrian-Mausoleums.

Während der Verkehr zusammenbricht, die Römer sich vor allem fluchend von Autofenster zu Autofenster verständigen, deutet im Vatikan nichts auf außergewöhnliche Hektik. Angelo Scelzo, PR-Verantwortlicher des Organisationskommitees, verweist auf den Hirtenbrief von 1994, Tertio Millennio Adveniente, mit dem das Heilige Jahr angekündigt wurde: "Kein Jubiläum wurde so lange vorbereitet." Den Unmut der Bevölkerung tut er als "momentane Nervosität" ab und fügt hinzu: "Die Reaktionen der Römer sind oft etwas übertrieben."

50 Vollzeitkräfte arbeiten im Vatikan an der Vorbereitung des Heiligen Jahres. Mehrere Millionen Pilger wollen untergebracht werden, die der Vatikan in Hospizen, Konventen und anderen kirchlichen Einrichtungen beherbergen will. Das kostet natürlich Geld. Doch solche Fragen findet ein Mann wie Scelzo profan. Auf die Frage, wie viel der Vatikan in das Heilige Jahr investiert, verweist er auf die spirituelle Komponente des Heiligen Jahres und fügt dann hinzu: "Am Ende wird dann eine Rechnung aufgemacht und beglichen." In jedem Fall kann die Kirche auch auf die Spenden der Pilger hoffen. Dass sie zur wirtschaftlichen Genesung der Kirche beitragen sollen, ist kein Geheimnis. Aber seit 1525, als der mit der Finanzierung des Petersdoms verbundene Ablasshandel den Spott der sich abspaltenden nordeuropäischen Christen auf sich zog, ist man etwas vorsichtiger bei der Verbindung von Geld und Seelenheil. Die Sündenvergebung bleibt aber zentrales Motiv der Rom-Pilger.

Man muss an der Beichte teilnehmen, an der Messe und an den vom Papst vorgegebenen Gebeten und zudem die sieben wichtigsten Kirchen Roms sowie die Katakomben besuchen. Auf die Frage, ob die einzelnen Pilgerstätten mit besonderen Buslinien verbunden seien, um den Kollaps des römischen Verkehrs zu umgehen, antwortet Scelzo mit einem ungläubigen Lächeln. Wahrscheinlich hat er frühere Jahrhunderte vor Augen, als die Pilger alle sieben Kirchen an einem Tag zu Fuß abliefen. Im ersten Heiligen Pilgerjahr 1300, das als Reaktion auf den Verlust Akkos ausgerufen wurde, der letzten Kreuzfahrer-Festung im Heiligen Land, mussten die Pilger diesen Parcours an 15 aufeinanderfolgenden Tagen absolvieren.

Den Kultur-Touristen, die sich den Anblick des renovierten Rom nicht entgehen lassen wollen, empfiehlt Claudio Marinelli, nicht an Ostern oder in der zweiten Augusthälfte zu kommen, wenn eineinhalb Millionen Jugendliche zum Weltjugendtag erwartet werden. Es sei ratsam, die Nebensaison anzusteuern, also Februar, Juli und die erste Augusthälfte oder den November.

Wie in jedem Jahr werden jedoch die öffentlichen Verkehrsmittel im Sommer 2000 nur spärlich verkehren. Dann nämlich, wenn die Busfahrer Ende Juli und im August ihren Urlaub nehmen. Trotzdem sind die Verantwortlichen der Meinung, dass irgendwie schon alles klappen wird im Heiligen Jahr. Zumindest ist die als Generalprobe gedachte Seligsprechung des apulischen Wunderpriesters Padre Pio Anfang Januar, zu der knapp eine halbe Million Gläubige nach Rom pilgerten, ohne Probleme über die Bühne gegangen. Ein Testlauf auch für Römer mit Sinn für schnelle Geschäfte. Der Jurastudent Lorenzo Rompato zum Beispiel hat sich fast lebensgroße Pappfiguren Padre Pios von einem Verlag zuschicken lassen, der damit ein Buch über den Volksheiligen bewarb. Zusammen mit einem Freund zog der Student dann mit einer Polaroidkamera durch die von Pilgern bevölkerten Straßen: "Die waren ganz wild darauf, sich für fünf oder zehn Mark mit Padre Pio fotografieren zu lassen, sogar die Priester!" Zum Schluss sind sie für 50 Mark dann sogar noch die Pappkameraden los geworden. Mit ein bisschen Einfallsreichtum werden sich wohl alle Römer ihr Stückchen vom Jubiläumskuchen abschneiden können. © 1999

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