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Ihr Vater ist nun verurteilt: Rola El-Halabi.

© dpa

El-Halabi-Prozess: Die gezielten Schüsse eines Vaters

Zu sechs Jahren Gefängnis ist der Stiefvater der Profiboxerin Rola El-Halabi verurteilt worden. Im Gerichtssaal, am Tag, an dem das Urteil gesprochen wurde, ignorierte der Täter seine Tochter.

Tränen liefen der Profiboxerin Rola El-Halabi über das Gesicht. Es war die letzte Runde im Prozess gegen ihren Stiefvater. Er hatte nicht einen Blick für sie. Dabei hatten sie bis zum Sommer 2010 ein sehr gutes Verhältnis gehabt. Er war der Manager der Box-Weltmeisterin. Doch dann fing sie an, ihr eigenes Leben zu leben. Er griff zur Pistole. Vier Schüsse, vier Treffer. In Schlaghand und Beine. „Eine ganz gezielte Schussabgabe, er wollte sie zum Krüppel schießen“, urteilte am Montag das Berliner Landgericht und verurteilte den Mann zu sechs Jahren Gefängnis.

Richter Thomas Groß sagte in seiner Urteilsverkündung, der Angeklagte habe aus Eitelkeit und einer starken Ich-Bezogenheit gehandelt. Er sei einer, der sich nicht damit abfinden wollte, dass er nicht mehr der alleinige „Macher und Chef des Boxteams Rola“ ist. Mit Drohungen habe er reagiert, als seine Stieftochter mit 25 Jahren ihren ersten Freund hatte. „Sie hatten die Absicht, sie so zu verletzen, dass sie nicht mehr boxen kann.“

Roy El-Halabi, ein bulliger Mann von 44 Jahren, blickte während des Urteils nicht ein einziges Mal zu Rola. Sie saß nur wenige Meter entfernt von ihm. Sie weinte still. Es gab so viele gute Jahre. Ihr Verhältnis sei bis zum Bruch „fast symbiotisch“ gewesen, sagte Richter Groß. Der in Kuwait geborene Mann mit deutschem Pass lernte ihre Mutter in den 80er Jahren kennen. Für Rola und ihre Schwester wurde er schnell der Vater. Auch die Richter stellten eine „vorbildliche Integration“ fest. Roy El-Halabi hatte Rola zum Boxen gebracht. Da war sie acht Jahre alt. Sie sollte selbstbewusster werden.

Sie wurde Weltmeisterin. Mit dem ersten Freund, der in ihr Leben trat, änderte sich alles. „Sie überzogen die entstehende Beziehung mit Drohungen“, hielt ihm der Richter vor. Rola hatte sich für einen jungen Gastwirt entschieden. Kosta, ein Grieche, der wie sie in Ulm lebt. Der Stiefvater polterte. Es ging nicht um Religion und Tradition. Es ging um die Rolle als „entscheidender Bestimmer“, hieß es im Urteil. Der Stiefvater habe gemerkt, dass er an Einfluss verliert. Die Mutter hielt zu Rola. Über den Streit zerbrachen Familie und Boxteam.

Am 1. April fuhr er von Ulm nach Berlin. Er steckte sich eine Waffe ein. Er hatte in den Monaten gedroht, Rola und Kosta „zu Krüppeln“ zu machen, und er war auf Kosta mit Fäusten losgegangen. Als er im Auto saß, hatte er aus Sicht der Richter noch nicht geplant, auf seine Stieftochter zu schießen. „Es war kein kaltblütiger Anschlag, aber die Schüsse schwirrten schon im Hinterkopf“, sagte Groß. Die Stimmung kippte, als er auf der Trabrennbahn in Berliner Stadtteil Karlshorst, wo Rola kämpfen sollte, nicht in ihre Umkleidekabine gelassen wurde.

Um 22 Uhr 50 stürmte ihr Stiefvater mit einer Pistole in der Hand in ihre Kabine. Er hatte sich den Weg freigeschossen, Sicherheitsleute verletzt. Zehn Minuten bevor Rola El-Halabi um die Weltmeisterschaft kämpfen sollte, drückte er ab. Er schoss der Tochter in die rechte Hand und in ihren Fuß. Er lud nach und traf ins Knie und den anderen Fuß.

Als sie verletzt und in einer Blutlache am Boden saß, sprach sie beruhigend auf ihn ein. 20 Minuten hatte er sich mit ihr in der Kabine verbarrikadiert. Am Ende rief er: „Bringt einen Arzt mit. Ich habe meiner Tochter wehgetan.“ Wochenlang lag sie im Krankenhaus. Sie kann wieder laufen. Die rechte Hand aber kann sie bis heute nicht zur Faust ballen. Ob sie zurück in den Ring kann, ist noch offen. Sie kämpft darum.

Er ist der Körperverletzung sowie der versuchten schweren Körperverletzung schuldig. So hatte es auch der Staatsanwalt gesehen, der sechs Jahre und zehn Monate beantragt hatte. Auch er war von gezielten Schüssen ausgegangen. Der Stiefvater, ein Mann ohne Vorstrafen, hatte eher von einem Affekt gesprochen: „Ich war nicht mehr ich.“ Und er schilderte ein Szenario, in dem er die Rolle eines bedrohten Mannes einnahm. Die Profiboxerin habe die Hand ausgestreckt, sagte er. „Es ist völlig unglaubhaft, was Sie uns da vormachen wollten“, befanden die Richter.

Die Tat habe aber kein Schwerkrimineller begangen. Es seien spontane Schüsse „vor dem Hintergrund eines massiven Beziehungskonfliktes gewesen“, sagte Groß. Dass Roy El-Halabi auch Reue empfinde, glaubte das Gericht. Es sei aber auch ein gewisses Selbstmitleid festzustellen. Staatsanwalt und der Anwalt der Nebenklage zeigten sich nicht mit dem Richterspruch zufrieden. „Es ist die Buße für eine feige Tat“, sagte der Anwalt der Boxerin.

Rola El-Halabi war wortlos zum Prozesstermin erschienen. Ihr Stiefvater hatte Bekannten im Zuschauerraum gewinkt, seine Tochter ignorierte er. Still verließ die Boxerin den Gerichtssaal.

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