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Panorama: Emil Scheuers Schränke: Die große Reise der Möbel

Aus den Kisten, die da nach einer Reise über den großen Teich ins Jüdische Museum gekommen sind, quollen gestern beim Auspacken weder Kunstschätze noch Antiquitäten. Zwei hohe, dunkle Kleiderschränke und zwei dunkelbraune, polierte Kommoden, eine - Inventar-Nummer 2000/116/3 - mit Spiegelaufsatz, dazu alte Porträtfotos und Landschaftsbilder.

Aus den Kisten, die da nach einer Reise über den großen Teich ins Jüdische Museum gekommen sind, quollen gestern beim Auspacken weder Kunstschätze noch Antiquitäten. Zwei hohe, dunkle Kleiderschränke und zwei dunkelbraune, polierte Kommoden, eine - Inventar-Nummer 2000/116/3 - mit Spiegelaufsatz, dazu alte Porträtfotos und Landschaftsbilder. "Das Wertvolle dieser Einrichtungsgegenstände ist die mit ihnen verbundene Geschichte", sagt Raymond Wolff. Der 53-Jährige arbeitet seit über einem Jahr als wissenschaftlicher Rechercheur in dem Team, das die Dauerausstellung für den ungewöhnlichen Libeskind-Bau in der Lindenstraße vorbereitet. Die Möbelstücke sind Teil seiner eigenen Familienchronik. Sie erzählen vom Schicksal jener, denen der Blick in diesen Spiegel das eigene Älterwerden offenbarte, sie berichten von Vertreibung, Emigration, von Leben und Tod.

Es begann 1938, als die Familie Scheuer ihren Wohnsitz in der Kleinstadt Staudernheim in Rheinland-Pfalz verließ und nach Amerika auswanderte. Der Versicherungsvertreter und Kolonialwarenhändler Emil und seine Frau Rosa flüchteten mit den Töchtern Elfriede und Edith über Le Havre mit dem Schiff (und eben diesen Schränken und Kommoden) zunächst nach New York und dann nach St. Louis, um sich später in New Jersey eine feste Bleibe zu suchen und eine neue Existenz zu schaffen. Die Möbelstücke blieben in der Familie, "wie überhaupt viele Emigranten bis auf den heutigen Tag in den Möbeln leben, die sie damals mitnehmen konnten", sagt Raymond Wolff, der Sohn der inzwischen 78-jährigen Elfriede Wolff. Er kennt die Möbel seit seiner Kindheit aus Großmutters Schlafzimmer, weiß, in welchem Schubfach zwischen Wäschestücken die letzten Briefe von Freunden und Verwandten lagen, die danach in Nazi-Deutschland verschleppt und ermordet wurden. Als Familienchronist sammelt der Historiker Bilder und Briefe aus den Schränken der Familie - und Geschichten, die diese Ausstellungsstücke auf ihrem 62 Jahre dauernden Weg von Deutschland über die USA und zurück nach Germany begleiten und gewissermaßen zum Sprechen bringen werden, wenn das Jüdische Museum Berlin am 9. September 2001 offiziell eröffnet wird.

Dann kann man auch jene dunkle Wohnzimmergarnitur aus schwerer Eiche sehen, die einst eine Berliner Familie im Kaufhaus Israel erworben hat. Der Name des Modells "Tannenberg" symbolisiert den Patriotismus unter den Berliner Juden. Der Aufruf des Jüdischen Museums, das Objekte sucht, die auf die teilweise Jahrhunderte alte Verwurzelung jüdischer Familien in Deutschland verweisen, die Verfolgung, das Leben im Exil und danach bezeugen, hatte ein erfreulich großes Echo: Über 800 Familien-Konvolute aus der ganzen Welt kamen bisher in die Lindenstraße 9 - 14.

Lo.

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