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Erdbeben Haiti: UN sprechen von der schlimmsten Katastrophe überhaupt

Die Folgen des Bebens von Haiti sind noch grausamer als bisher bekannt: Die Regierung rechnet nun mit bis zu 200.000 Toten, die UN sprechen von der schlimmsten Katastrophe, mit der sie es je zu tun hatten.

Ein heftiges Nachbeben der Stärke 4,5 hat am Samstag erneut Panik in der stark zerstörten Hauptstadt Port-au-Prince ausgelöst. Menschen rannten aus den Häusern auf die Straßen und wagten sich erst nach geraumer Zeit wieder zurück, berichteten Augenzeugen. Das Epizentrum habe sich in zehn Kilometern Tiefe etwa 25 Kilometer von Port-au-Prince entfernt befunden. Viele der bei dem Erdbeben der Stärke 7,0 am Dienstag beschädigten Häuser sind akut einsturzgefährdet.

Außenminister Guido Westerwelle gab am Abend in Berlin bekannt, dass Deutschland die Erdbebenhilfe für Haiti um sechs Millionen auf 7,5 Millionen Euro aufstocke. Zugleich berichtete der Westerwelle, dass ein erstes deutsches Opfer durch das verheerende Erdbeben zu beklagen sei. Zur Person machte er keine Angaben. Weiterhin seien noch 30 Deutsche vermisst. Es sei nicht auszuschließen, dass darunter weitere Opfer zu beklagen seien.

Die Schreckensmeldungen aus dem Katastrophengebiet werden auch vier Tage nach dem Beben in Haiti nicht weniger. Die Vereinten Nationen haben das verheerende Erdbeben als die schlimmste Katastrophe bezeichnet, mit der sie es jemals zu tun hatten. Zur Begründung sagte die Sprecherin des Büros zur Koordinierung humanitärer Einsätze, Elisabeth Byrs, in Genf, durch das Beben seien die örtlichen Strukturen in dem Karibikstaat zusammengebrochen. "Wir erfahren keinerlei Unterstützung - vor allem nicht von staatlicher Seite", sagte Byrs. Dies stelle die Hilfsorganisationen vor nie zuvor gekannte Probleme.

Nach der jüngsten Einschätzung der Regierung in Port-au-Prince könnten bis zu 200.000 Menschen ums Leben gekommen sein. "Wir haben bereits etwa 50.000 Leichen geborgen", sagte Innenminister Paul Antoine Bien-Aime am Freitag. "Wir gehen davon aus, dass es insgesamt zwischen 100.000 und 200.000 Tote sein werden." Haitis Premier Bellerive hatte vor zwei Tagen noch damit gerechnet, dass mehr als 100.000 Menschen ums Leben gekommen sind. Die genaue Zahl wird man wohl nie kennen. Sollte sich die hohe Zahl bestätigen, wäre das Beben mit der Stärke 7 eines der zehn schwerwiegendsten der Geschichte. Tausende Leichen von Bebenopfern wurden mit Lastwagen aus der Stadt gebracht und in einem Massengrab nördlich von Port-au-Prince beigesetzt.

Inwieweit die haitianische Regierung in der Lage ist, das Chaos im Katastrophengebiet zu ordnen, ist nicht klar. Auch mehrere Minister sollen bei dem Beben ums Leben gekommen sein. Um eine schnellere Abfertigung der vielen Hilfslieferungen aus aller Welt zu erreichen, wurde den USA die Kontrolle über den Flughafen der Hauptstadt Port-au-Prince übertragen.

Die UN richteten 15 Zentren für die Auslieferung von Hilfsgütern ein. Nach Auskunft der Organisation "Aktion Deutschland hilft" beaufsichtigen Blauhelme die Verteilung. Dies solle dazu beitragen, Unruhen unter den verzweifelten Menschen zu vermeiden. Réne Préval, Präsident des Karibikstaats, bedankte sich für die weltweit angelaufene Erdbeben-Hilfe für sein Land. Er klagte jedoch, ein großes Problem für seine Regierung sei es, die Hilfsgüter aus aller Welt zu den Bedürftigen zu bringen.

Der völlig überlastete Flughafen hatte sich in den vergangenen Tagen als Nadelöhr für die Hilfsaktion erwiesen. Mehrere Flugzeuge mit Helfern und Hilfsgütern mussten abgewiesen werden. Unter anderem musste eine mexikanische Maschine mit einer Trinkwasseraufbereitungsanlage wieder umkehren und auch Hilfsgüter aus Panama kamen nicht durch.

Wie der Sprecher des US-Außenministeriums in Washington, Philip Crowley, sagte, können über den Flughafen in Port-au-Prince täglich maximal 90 Flüge abgewickelt werden. Der Seehafen von Port-au-Prince sei bei dem Beben so schwer beschädigt worden, dass er derzeit gar nicht nutzbar sei.

US-Außenministerin Hillary Clinton ist auf dem Weg nach Haiti. Angesichts der katastrophalen Lage gewährte die US-Regierung allen Haitianern, die sich derzeit illegal in den USA aufhalten, eine befristete Amnestie. Haitianer, die seit Dienstag oder länger im Land seien, dürften für die kommenden eineinhalb Jahre in den USA bleiben und dort auch arbeiten, sagte Heimatschutzministerin Janet Napolitano.

UN-Generalsekretär Ban Ki Moon will am Sonntag ins Katastrophengebiet reisen. Die Vereinten Nationen erwarten, dass zur Versorgung der geschätzt drei Millionen vom Beben betroffenen Menschen über 550 Millionen Dollar benötigt werden.

Unterdessen werden die Leute immer ungeduldiger. Hungrige Menschen schlugen sich um Lebensmittelpakete, die von Helfern verteilt wurden. Es gebe einige Zwischenfälle, bei denen verzweifelte Menschen plünderten oder sich um Nahrung prügelten, sagte ein UN-Vertreter. Sie hätten drei Tage lang nichts bekommen. In einigen Teilen der Stadt haben bewaffnete Banden Überlebende des Bebens überfallen und ausgeraubt. Insgesamt sei die Lage aber noch unter Kontrolle, sagte der UN-Vertreter.

Angesichts ständiger Nachbeben will die haitianische Regierung die noch stehengebliebenen, aber einsturzgefährdeten Gebäude in Port-au-Prince registrieren und möglichst rasch abreißen lassen, um weitere Opfer zu vermeiden. In dem Regierungsbeschluss vom Freitag wurde außerdem der frühere Innenminister und General Gerard Abraham damit beauftragt, die Verteilung von Brenn- und Kraftstoffen zu koordinieren. An den wenigen Tankstellen, die noch über Treibstoff verfügen, kommt es immer wieder zu Rangeleien und tumultartigen Szenen.

Nach Angaben von Fachleuten gibt es noch immer zu wenig schweres Räumgerät in der Stadt. Nach wie vor warten die Menschen vor den Trümmern ihrer eingestürzten Häuser auf Hilfe bei der Bergung verschütteter Angehöriger. Dabei machen die starken Zerstörungen und das teils unwegsame Gelände den Rettungskräften zu schaffen. Weite Teile der Millionenstadt sind mit Fahrzeugen nach wie vor nicht zu erreichen. Für viele Verschüttete dürfte jedoch inzwischen jede Hilfe zu spät kommen. Viele Haitianer verbrachten die vierte Nacht in Folge im Freien.

Die Hilfsbereitschaft hält an. Neben den internationalen Institutionen spendeten auch Hunderttausende Bürger weltweit Millionen von Dollar. In Berlin startete am Samstagmorgen ein Flugzeug mit Hilfsgütern. Die Maschine, die am Sonntagvormittag (Ortszeit) im Erdbebengebiet ankommen soll, bringt eine mobile Mini-Klinik, die dort die medizinische Grundversorgung gewährleisten soll. Täglich können die Helfer darin bis zu 250 Patienten versorgen.

Auch aus London hob ein Flugzeug mit tonnenweise Material in Richtung Haiti ab. Die Niederlande schickten ein Kriegsschiff mit Trinkwasser, Nahrung und medizinischen Hilfsgütern und ein Flugzeug mit weiteren Hilfsgütern. Auch vom Flughafen in Peking hob ein Jumbo-Jet mit 90 Tonnen Hilfsgütern an Bord ab.

Angesichts des großen Leids engagieren sich mittlerweile auch zahlreiche Prominente bei öffentlichen Spendenaktionen. Mit der geplanten Aktion "Hope for Haiti" wollen Musiker, Schauspieler und andere Prominente den Opfern der Erdbebenkatastrophe helfen. Ein zweistündiger Spendenmarathon soll am 22. Januar live auf zahlreichen US-Sendern ausgestrahlt werden. Hollywoodstar George Clooney aus Los Angeles, Hip-Hop-Musiker Wyclef Jean aus New York und CNNs Starreporter Anderson Cooper aus Haiti sollen die Show moderieren. In Deutschland planen ARD und ZDF ebenfalls Spendengalas.

Quelle: ZEIT ONLINE, dpa, Reuters

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