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ERDBEBEN IN CHINA Arme Gegenden haben die meisten Toten zu beklagen: Zusammengefallen wie Kartenhäuser

Bei der Katastrophe stürzten mindestens 6900 Schulgebäude ein – die Behörden suchen nach Ursachen

Nur auf den ersten Blick hat der kleine Ort Wufu in der Provinz Sichuan das katastrophale Erdbeben vom Montag gut überstanden. Alle Gebäude konnten den Erschütterungen der Stärke 7,9 auf der Richterskala standhalten - nur eines nicht. Die Neue Grundschule Nummer Zwei. 300 Kinder sind unter ihren Trümmern ums Leben gekommen, darunter Bi Kaiweis 13 Jahre alte Tochter. „Unser Kind ist nicht von einem Erdbeben getötet worden“, sagte der verzweifelte Vater der Nachrichtenagentur Reuters. „Sie und die anderen sind von einem Gebäude getötet worden, das baufällig war und die Behörden wussten das.“

Überall im Erdbebengebiet gleichen sich die Bilder: Die Schulen zählten zu den ersten Gebäuden, die wie Kartenhäuser zusammenfielen und Hunderte Kinder unter sich begraben haben. Warum so viele Schulen, fragen sich seitdem in China zahlreiche Internetblogger und Journalisten. Am Freitag kündigten mehrere chinesische Ministerien eine Untersuchung dazu an. „Wenn es Qualitätsprobleme bei Schulgebäuden gibt, werden wir die Verantwortlichen strengstens zur Verantwortung ziehen und der Öffentlichkeit eine zufrieden stellende Antwort geben“, sagte Han Jin, Chef für Entwicklung und Planung im chinesischen Erziehungsministerium. Nach seinen Angaben befanden sich bis Mittwoch knapp 6900 Schulen unter den 216 000 zerstörten Gebäuden. Angesichts dieser Zahlen schlägt bei vielen betroffenen Eltern die Trauer in Wut um, zumal in einem Land, das vielen Paaren nur ein Kind erlaubt.

„Es liegt an nichts anderem als an der Korruption“, sagte ein Arzt, der zwei Tage lang an einer Einsturzstelle gearbeitet hat, bei der 900 Schüler verschüttet wurden. „Sie müssen minderwertigen Zement und Stahl benutzt haben“, vermutete der Arzt, der ungenannt bleiben will, gegenüber der Zeitung „The Australian“. Die am Bau gesparten Gelder könnten auf die Konten der örtlichen Funktionäre gewandert sein.

Für Schulen und Krankenhäuser gilt in China der zweithöchste Baustandard. Doch wird dieser auf den Baustellen des Landes nicht immer eingehalten. „Unsere Statik-Nachprüfungen haben schon mal deutliche Unterschiede ergeben zwischen dem, was sein müsste, und dem, was vorgefunden wurde“, sagte Harald Kuhn, Schanghai-Manager der Baufirma Züblin. Generell gelte, dass die Baustruktur in Peking oder Schanghai sehr gut sei, in ländlichen Gegenden aber immer einfacher werde.

Die Armut der Provinz Sichuan dürfte die Hauptursache dafür sein, dass das Erdbeben so eine verheerende Wirkung entfalten konnte. Wo teurer und hochwertiger gebaut wurde, ist die Zerstörung nicht so desaströs. „In der Provinzhauptstadt Chengdu, die auch im Erdbebengebiet liegt, ist ein niedrigerer Prozentsatz von Gebäuden zerstört worden als in den umliegenden Orten“, sagte Greg Wonk Chak-yan, ehemaliger Präsident des Hongkonger Instituts für Ingenieure, dem Tagesspiegel.

Vor allem im Erziehungssektor fehlt Geld, seit den späten 80er Jahren sind die Schulden von Chinas ländlichen Schulen auf rund 4,6 Milliarden Euro Schulden angewachsen. „Mancher Schulbau wird nicht von der lokalen Regierung unterstützt, sondern nur mit Spenden errichtet“, sagte Greg Wonk Chak-yan. Ein Schulgebäude, das in Hongkong 7,1 Millionen Euro kostet, wird auf dem Land in China für 100 000 Euro fertig gestellt. „Solche Schulen bestehen aus Ziegelsteinen und Betonplatten“, sagte der Hongkonger Bauingenieur, der zahlreiche Schulen in Hongkong und China gebaut hat. „Sie sind beim Erdbeben offenbar sofort zusammengebrochen.“ Schulen, die von Beton und Stahl wie in einem Korsett zusammengehalten werden, schwanken in einem Erdbeben ebenfalls. „Aber sie brechen nicht sofort zusammen, sie halten länger stand“, sagte Greg Wonk Chak-yan, „und fünf Minuten können wichtig sein.“

Fünf Minuten, die Hunderten Kindern in Sichuan gefehlt haben.

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