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Ein Helfer des Katastrophenschutzes geht in St. Agostino an einem beschädigten Haus vorbei.

© dapd

Update

Erdbeben in Emilia-Romagna: Italien kommt nicht zur Ruhe

Mehrere Erdbeben erschütterten Norditalien auch in der Nacht zum Mittwoch. 16 Menschen starben seit Dienstag, als Erdstöße der Stärke 5,8 die Region Emilia-Romagna erschütterten. Das Kabinett in Rom berät nun über Hilfen für die Region.

Bei mehreren Erdbeben im Nordosten Italiens sind laut Behörden inzwischen 16 Menschen getötet worden. Erst am Dienstagmorgen erschütterten Erdstöße der Stärke 5,8 die Gegend um Modena in der Region Emilia-Romagna. In der Nacht zum Mittwoch bebte die Erde erneut - 41Mal, wie die italienische Nachrichtenagentur Ansa am frühen Morgen berichtete. Der heftigste Erdstoß habe dieses Mal eine Stärke von 3,4 gehabt. Nach dem Beben am Dienstag zählten die Behörden 16 Tote und 350 Verletzte. Die Häuser und Wohnungen von 8000 Menschen wurden ganz oder in Teilen zerstört. Sie kommen zu den 6000 Bewohnern hinzu, die beim Beben vor gut einer Woche ihre Bleibe verloren hatten. Damals starben sieben Menschen, etwa 50 wurden verletzt.

„Wir haben die Ärmel hochgekrempelt nach dem Beben vor neun Tagen. Es war so ein starker Wille da, bei allen von uns, gleich wieder loszulegen, uns wieder ins Spiel zu bringen.“ Alberto Silvestri, der Bürgermeister von San Felice, trägt eine dunkle Sonnenbrille. Nur wegen der Sonne? Oder damit man seine geschwollenen Augen nicht sieht?

Auch in San Felice sul Panaro bebte die Erde am Dienstagmorgen. Fast genauso stark wie beim ersten Mal. Zu den Toten gehören jene, die ein Fabrikgebäude auf seine Stabilität untersuchen sollten. Just während dieser Prüfung stürzte das Gebäude zusammen. Es begrub einen Ingenieur und zwei Arbeiter unter sich. Vier Arbeiter sind schon beim Erdbeben am 20. März gestorben.

Bilder aus der Erbeben-Region:

Um neun Uhr morgens hatte der Boden zwischen Modena und Ferrara wieder angefangen zu beben; doch es blieb nicht bei dem einen Stoß. In dichter Folge bebte die Erde weiter, den ganzen Tag lang, häufig genug mit Stärken von mehr als 5 auf der Richterskala. Die Beben diesmal waren in ganz Norditalien bis hinauf nach Österreich zu spüren. Noch in Mailand stürmten die Leute vor Angst auf die Straßen. Und im Zentrum des Bebens war die Zerstörungskraft offenbar größer als beim ersten Mal. Den mittelalterlichen Uhrturm in Finale Emiglia, dessen mittendurch gebrochenes Zifferblatt geradezu als Symbol für das erste Beben galt, den gibt es seit Dienstag gar nicht mehr. In der Stadt Mirandola ist der Dom eingestürzt, in einer schon beschädigten anderen Kirche starb der Pfarrer, als er eine Marienstatue retten wollte. Viele angeknackste Bauten haben nunmehr den letzten, vernichtenden Stoß abbekommen.

Rettungshelfer konnten rund zwölf Stunden nach dem Beben am Dienstag eine Frau lebend aus den Trümmern ihres Hauses in Mirandola ziehen. Die Frau sei am Dienstagabend in der Küche ihrer Wohnung entdeckt worden, sagten Feuerwehrleute dem Sender Sky TG24. Sie war offenbar in die Wohnung gegangen, um Kleider zu holen, nachdem ihr Haus bereits bei dem Erdbeben am 20. Mai beschädigt worden war. Der neue Erdstoß ließ das Haus mit mehreren Wohnungen komplett in sich zusammenstürzen.

Gut 5000 Arbeiter hatten nach dem ersten Beben vor neun Tagen ihre Beschäftigung verloren. Viele, die seither wieder angefangen hatten, ihre Werkstätten aufzuräumen, standen gestern trauernd vor ihren Fabrikgebäuden.

Zu den knapp fünftausend Personen, die nach dem ersten Beben nicht mehr in ihre Häuser zurückkonnten und seither in Zeltstädten oder Turnhallen leben, sind  bereits im Verlauf der letzten neun Tage weitere zweitausend dazugekommen: Die Erde hörte einfach nicht auf zu wackeln, die Angst wuchs.

Bilder nach dem Erdbeben vor eineinhalb Wochen:

Und es kam zu Phänomenen, die von den Leuten als gespenstisch empfunden wurden. Aus Rissen im Boden quollen Sand und Schlamm. Mancherorts taten sie es mit der Kraft von Geysiren, teilweise waren Muschelschalen drin, und sie hinterließen Landschaften, die aussahen wie nach einer Überschwemmung.

Geologen können das erklären: Dörfer in der südöstlichen Po-Ebene liegen auf altem Fluss-Schwemmland. Der wassergesättigte Kies- und Sandboden verstärkt die Erdbebenwellen; die Verschiebungen im Boden drücken Wasser und Sand nach oben – doch im Untergrund bleiben die Hohlräume; damit könnten Häuser, die jetzt noch intakt scheinen, nach und nach ins Rutschen geraten und versinken.

Seit dem schweren Beben, das im April 2009 die Bergstadt L’Aquila zerstörte, haben Italiens Forscher an die 55.000 weitere Stöße registriert; knapp tausend von ihnen – dreihundert pro Jahr, also beinahe jeden Tag einer – lagen über der menschlichen Wahrnehmungsschwelle.

Die Bebenregion, die südöstliche Po-Ebene galt nach den letzten schweren Erschütterungen vor 700 Jahren als unverdächtig. Erst 2005 wurde sie in die nationale Beben-Warnkarte aufgenommen, mit der Gefährdungsstufe „niedrig“ allerdings. Fabrikgebäude, die vor diesem  Termin erstellt worden waren, brauchten keine Erdbebenvorsorge zu treffen. Deshalb sind bei den zwei Beben in der Region jetzt vergleichsweise viele „neue“ Hallen eingestürzt.

Unruhig ist Italien deshalb, weil es auf der Konfliktzone dreier Erdschollen liegt: Die Afrikanische Platte drückt gegen die Europäische, das Apenninengebirge gegen die Alpen, und dazwischen – just unter der Po-Ebene – versucht sich die kleinere Adriatische Platte mit verschiedenen Dreh- und Ausweichmanövern zu behaupten.

Der kommende Montag (4. Juni) ist in ganz Italien zum Trauertag für die Erdbebenopfer erklärt worden. Das Kabinett in Rom entscheidet nun über eine Soforthilfe für die Region.

(mit dpa)

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