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Wenn diese Kinder es einmal an eine von Chinas Top-Universitäten schaffen wollen, müssen sie sehr fleißig lernen.

© AFP

Erfahrungsbericht: Stimmen die Klischees über Chinas Bildungssystem?

Erfolgreich statt glücklich? Über Chinas Bildungssystem gibt es viele Vorurteile. Unsere Gastautorin Jan Cao ist in China aufgewachsen - und berichtet, was an den Klischees dran ist.

Einen bleibenden negativen Eindruck hinterlässt das chinesische Bildungssystem seit langem in westlichen Ländern. Das Buch „Die Mutter des Erfolgs: Wie ich meinen Kindern das Siegen beibrachte“ von der amerikanischen Juraprofessorin Amy Chua beschreibt ein Klischeebild. Aber sind Chinas Kinder wirklich erfolgreich statt glücklich? Vielleicht ist es an der Zeit, mit ein paar gängigen Vorurteilen zu brechen.

Benehmen sich die meisten chinesischen Eltern wie „Tiger Moms“?

Nein. Viele Chinesische Eltern finden es sehr wichtig, dass die Kinder eine gute Bildung haben. Aber so extrem wie Amy Chua sind sie nur selten. Chinas Studierende stehen unter enormem Druck, denn ein passender Job ist immer schwer zu finden. Eine Garantie auf eine adäquate Beschäftigung gibt es leider nicht mehr. In China sowie in vielen anderen asiatischen Ländern gilt: Je besser die Note ist, die ein Schüler bekommt, desto größer ist die Chance, an einer guten Hochschule angenommen zu werden. Deswegen versuchen die Eltern, ihren Kindern eine möglichst gute Chance zu verschaffen. Der meiste Druck aber kommt nicht von den Eltern - sondern von der Gesellschaft, die nicht für alle eine Aufstiegschance bietet.

Die chinesischen Eltern üben immer zu viel Einfluss auf ihre Kinder aus, oder?

Das stimmt so nicht. Bei einer, allerdings nicht repräsentativen, Umfrage auf Sohu.com – einer großen Onlineplattform in China – sagte nur 3 Prozent der Eltern, dass sie es wichtig finden, für Ihre Kinder einen Berufsweg zu wählen .29.5 Prozent der Eltern sagten, dass alle Arbeiten – ob handwerklich oder geistig – respektiert werden sollen. Ihre Kinder müssen nicht Professoren oder Ärzte werden. 20 Prozent der Befragten glaubten, dass die Noten nicht immer die Hauptsache im Leben sind. Andere Talente und Fähigkeiten als jene, auf die es in der Schule ankommt, finden die Befragten auch sehr wichtig und hilfsreich. Trotzdem muss man sagen, dass an diesem Klischee etwas dran ist. Viele chinesische Eltern sehen für ihr Kind nur einen Weg zum Erfolg: fleißig zu studieren.

Sind die chinesischen Studenten wirklich so fleißig?

Jein. Man muss sehr fleißig lernen, um von einer der sehr guten Unis angenommen zu werden. Aber einen Universitätsabschluss zu machen ist nicht so schwer. Mehr als 90 Prozent Studenten schaffen es, einen Abschluss zu machen. Viele sind nur am Semesterende sehr fleißig. „Ich finde, dass die deutschen Universitätsstudenten mehr Zeit auf das Studium verwenden als die Studenten in China“, sagt eine chinesische Studentin, die in China ihren Abschluss gemacht hat und jetzt ein Masterstudium in Berlin absolviert. 

Ist es so schwer, in China von einer Hochschule angenommen zu werden?

Es ist zumindest nicht mehr so schwer wie früher. Von 9,15 Millionen Schülern, die in diesem Jahr den Gaokao, das chinesische Abitur, absolviert haben, wurden 6,85 Millionen zum Studium zugelassen. Vielleicht ist das gar nicht so viel schlimmer als in Deutschland?

Wohnen die Studenten immer in Wohnheimen zu viert auf einem kleinen Zimmer? 

Ja, die meisten Bachelor-Studenten wohnen zu viert. Die Zimmer sehen eigentlich immer gleich aus: vier Betten, vier Tische, vier Schränke. Manche Universitäten haben Klimaanlagen, manche nicht - dabei wird es im Sommer bei vielen Studenten wirklich sehr heiß. Master-Studenten dürfen immerhin zu zweit in einem Wohnheimzimmer wohnen.

Privatsphäre gibt es leider nicht. Aber gut ist, dass Studenten immer auf dem Campus leben. Es gibt hier alles, vom Sportplatz bis zum Supermarkt. Am wichtigsten: die Freunde. In Chinas Universitäten kennen viele Studenten einander. Sie wohnen zusammen im Wohnheim, essen zusammen in der Mensa und treffen sich zu verschiedenen Freizeitaktivitäten, die die Universitäten organisieren. Viele deutsche Studenten, die als Austauschstudenten

in China waren, halten das Gemeinschaftsleben für den größten Vorteil der chinesischen Universitäten. In einer typischen Universität in Berlin ist es schwerer, viele Freunde kennen zu lernen.

Chinesische Lernstrategie: Auswendiglernen, von morgens bis abends?

Memoriertechniken sind wichtige Lernstrategie für chinesische Lernende. Aber chinesische Lernende verfügten über multivariable Methodenansätze, bei denen das reine Auswendiglernen nur eine mögliche Strategie unter mehreren ist. Der Spruch, dass asiatische Studenten nicht kreativ sind, ist vielleicht überaltert.

"In zunehmendem Maße wird von (westlichen) Autoren unterschiedlicher Disziplinen dieses ehemals stabile Bild des Defizit-Lernenden, asiatischer Prägung, vorzugsweise chinesischer Prägung, infrage gestellt und stattdessen mit dem Bild des Kosmopoliten, des transkulturell effektiv und erfolgreich handelnden Individuums oder einer entsprechend handelnden Institution gearbeitet“, schreibt Jürgen Henze, Professor für Vergleichende Erziehungswissenschaft an der Humboldt Universität zu Berlin, in einer Schrift für das Heidelberger Konfuzius-Institut.

Das chinesische Modell ist vielleicht ein bisschen fremd für viele Europäer, aber es ist nicht so erschreckend wie oft behauptet. Es gibt verschiedene Mittel und Wege, wie man glückliche und erfolgreiche Kinder aufziehen kann. Amy Chua sagt: "Chinesische Eltern verstehen, dass nichts Spaß macht, solange du nicht gut darin bist." Vielleicht hat sie auch Recht.

Die Autorin Jan Cao kommt aus China und hat 18 Jahre in Nanjing gewohnt. Sie studiert an der Brown-Universität in den USA und macht gerade ein Praktikum beim Tagesspiegel.

Jan Cao

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