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Mark Espiner

© Thilo Rückeis

Espiners Kolumne: Lena wird die Welt nicht ändern

Herzlichen Glückwunsch, Deutschland. Sie haben die Eurovision gewonnen – oder auch die "gay olympics", wie sie spaßeshalber von einem Journalisten des Guardian bezeichnet wurden.

Nach dem ganzen Hype wehrte Lena (die nun nur noch, wie Madonna, einen Namen benötigt) Türkeis Roboter, Weißrusslands Schmetterlingsflügel und Armeniens Aprikosen ab und beeindruckte fast ganz Europa mit einem kleinen, schwarzen Kleid und einem einfach gestrickten, lästigen Ohrwurm. Nur Israel, Weißrussland, Moldawien, Georgien und Armenien sowie ein Wohnzimmer in der Mitte Berlins, so schien es, erlagen nicht ihrem Charme. Ich war in diesem Wohnzimmer, mit einer Handvoll Deutschen.

Während wir zusahen und auf Lena warteten, wurde ich zusehends unruhiger. Würde dieser nette Haufen, mit dem ich zusammen war, sich plötzlich in flashmobbende Lenamanicas verwandeln, so wie der Rest des Landes, und mich dann mit dem Argument bombardieren, wie großartig sie wäre, weil sie "sie selbst ist"? Gottseidank hatten hier nicht alle den Lena Virus aufgeschnappt - und dieselbe Reaktion wie ich: Satellite war nicht so überirdisch wie wohl ganz Deutschland zu glauben schien - und ihr Englisch hörte sich seltsam an.

Ich werde mich nicht mehr über ihren Akzent auslassen. Darüber habe ich bereits im Spiegel geschrieben. Aber ich werde Ihnen erzählen, dass ich mich nach der Veröffentlichung des Artikels fast verstecken musste. Meine moderate Kritik an der heiligen Lena provozierte Kommentare, die schon fast Todesdrohungen ähnelten. Darf ich bitte all den deutschen Englischlehrern danken, die zu meiner Verteidigung eilten, indem sie damit übereinstimmten, dass Lenas Englisch (oder sollte das eher Lenglisch sein?) eine ganze Generation von Schulkindern beeinflussen könnte, "die" anstatt "day" zu sagen?

Es geht hier allerdings eine viel wichtigere Frage als ihr Akzent.

Was Lenas Erfolg angeregt hat, ist die Idee, dass Deutschland Europa mit einer neuen Art der Darbietung bei diesem Wettbewerb anführt. Deutschlands Strategie, einen guten, eingängigen Popsong zu präsentieren anstatt einer herzschweren Powerballade und all den Glitzer und Glimmer der illustren Kostüme und Choreografie zu verbannen, wurde von vielen (inklusive der BBC) als der Weg gerühmt, der die Eurovision ins 21ste Jahrhundert schleppen kann und ihr musikalische Glaubwürdigkeit verleiht.

Das verfehlt natürlich das Ziel, was die Eurovision sein soll. Mit Lenas zurückhaltendem Stil – keine Tanzroutine, keine blendende Lightshow und kein Einsatz von wehendem Haar in der Windmaschine – läuft Deutschland Gefahr, all den Spaß aus der Show zu nehmen. Die Menschen in Großbritannien geben ja Eurovisionsparties, gerade um die Lächerlichkeit, den schlechten Geschmack, die Extravaganz und manchmal nur die Albernheit des Ganzen zu feiern. Deutschlands neue professionelle und wetteifernde Attitüde, die durch Lena und die TV Show, die sie ausgewählt hat, repräsentiert wird, könnte den Eurovision Song Contest in, tja, einen Wettbewerb anstatt dem bisherigen Karneval verwandeln. 

Den Spaß, andere Länder dabei zu beobachten, wie sie sich auf verrückteste Art selbst ausdrücken, in all ihrer Vielfalt und eigener Sprache, könnte für immer verloren sein. Anstelle dessen werden nun alle versuchen, ihre eigenen Lenas zu produzieren und sie mit Liedern auszustatten, die von Amerikanern geschrieben sind, in englischem Slang gesungen und dargeboten werden von den Marketingprodukten zweitklassiger TV Talentshows. 

Ich sage all dies nicht, weil England Letzter wurde. Obwohl mir das zugegebenermaßen Anlass zum Denken gegeben hat. Lassen wir einmal die geringere Tatsache beiseite, dass Englands Song furchtbar schlecht war. Warum kam Josh am Ende und Lena an der Spitze heraus? Warum wird England so gehasst? Vielen Dank für die sparsame Stimmenvergabe an Georgien, Aserbaidschan, Albanien und Irland, aber wo war sonst Europas Unterstützung? Was haben wir so falsch gemacht? Vielleicht ist es nun wirklich passiert, dass unser Widerwillen, uns ganz in Europa einzugliedern und Euros in unsere Geldbeutel zu stecken, nun zur Abstrafung für uns wird. Oder ist es das Urlaubsverhalten englischer Touristen, dass dies bewirkt hat?

Vergessen wir die Schande und Blamage, dass mein Land nur 10 (10!) Punkte erzielt hat. Vergessen wir, dass Deutschland mal wieder England platt gemacht hat. Vergessen wir sogar die neuen professionellen Standards, die Sie für Eurovision anstreben. Ich muss mich trotzdem darüber wundern, warum Deutschland so besessen von Lena ist.

Ja, sie ist jung und frisch. Sie ist brav, aber hat ein Tattoo; sie ist spontan und gewitzt, aber verwirrt und chaotisch. Sie ist ... nun ja, nicht typisch deutsch, oder? Sie lieben sie, weil sie nicht so ist, wie der Rest von Europa denkt, die Deutschen sind. 

Aber bevor Sie sie mit ihrer Zuneigung überschütten oder sie zur neuen Kanzlerin machen, bedenken Sie, dass Lena nur ein 19 jähriges One-Hit-Wonder ist. Sie wird die Welt nicht ändern, egal welche Farbe ihre Unterwäsche hat, wann sie diese gekauft hat oder wie oft sie ihre Fußnägel bemalt.

In English.

Sie können Mark unter mark@espiner.com erreichen und ihm auf twitter @DeutschMarkUK folgen.

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