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Klassisch: Gänsekeule mit Klößen

© privat/WZB

Alle Jahre wieder: Gänsekeule, Raclette & Co: Schöne Bescherung

Was kommt Weihnachten als Essen auf den Tisch? Vor allem viel Tradition – und dabei dominiert die Farbe Braun. Ein wenig Wissenschaft mit einem Hauch von Kunst.

Gänsekeule gepixelt
Gänsekeule gepixelt

© Abb.: Tsp

Der erste Eindruck: ein Schreck. Als Steffen Huck die Bilder sah, um die er selber gebeten hatte, wurde ihm ganz mulmig. Über den Verteiler des Wissenschaftszentrums Berlin (WZB), E-Mails und eine Meldung im Tagesspiegel hatte der Wissenschaftler im vergangenen Jahr einen Aufruf versandt: Die Leute mögen doch ihr Weihnachtsessen und die Festtafel fotografieren und beschreiben, was das Besondere des Mahls ausmacht. Amüsiert von der Idee, versprachen viele es zu tun, nicht ganz so viele – gut 50 – hielten das Versprechen. Selbst Huck hätte es vor lauter Feiern fast vergessen.

Mal abgesehen von der Erkenntnis, dass Essen verdammt schwer zu fotografieren ist – egal wie delikat das Original gewesen sein mag, auf den Bildern sieht das meiste ziemlich unappetitlich und vermanscht aus –, hatte Huck beim Anblick der Tafeln das Gefühl, „etwas Verbotenes zu sehen, durchs Schlüsselloch zu gucken“. Weihnachten ist man unter sich, „das ist sehr intim“.

Allzu lange wird der Schreck nicht angehalten haben, denn der Wirtschaftswissenschaftler ist Fachmann für menschliches Verhalten. Was leitet die Leute bei Entscheidungen: Vorbilder, Spekulationen, künftige Entwicklungen, Kopf oder Bauch – das sind die Fragen, die ihn als Professor am University College London und Direktor der Abteilung Ökonomie des Wandels am WZB beschäftigen.

Wobei sich beim Weihnachtsessen, das ist eine Erkenntnis dieser garantiert unrepräsentativen und trotzdem aufschlussreichen Studie, so gar nichts ändert. Alle Jahre wieder kommen Würstchen mit Kartoffelsalat und Gans mit Rotkohl und Klößen auf den Tisch, Heringssalat, Königin-Pastete oder Raclette. Aber meist tatsächlich nur dieses eine Mal im Jahr. Schon das macht selbst so Banales wie Käsetoast zu etwas Besonderem. Der Tradition zuliebe – an die sich die Jungen meist ebenso vehement wie die Alten klammern, und wehe, es gibt was anderes! – sind sie auch zu Kompromissen bereit: Selbst diejenigen, die sonst nur selten Fleisch essen, greifen Weihnachten zu Putenschenkel und Entenbrust. Allein die Veganerin gibt sich radikal: Bei ihr kommen Linsen im Kochtopf und Spätzle im Abtropfsieb auf den Tisch, dazu zwei Flaschen Essig. Weihnachten lehnt sie ab.

Ganz schön braun

Schwedisch: mit viel Fisch und Knäckebrot
Schwedisch: mit viel Fisch und Knäckebrot

© privat/WZB

Schwedisches Mahl gepixelt
Schwedisches Mahl gepixelt

© Abb.: Tsp

Eine weitere Erkenntnis: Ganz schön braun, was da auf den fotografierten Tellern liegt. Dabei ist die Farbe kulinarisch eigentlich out. Es mag der dominante Ton der Kochbücher in den 60er, 70er Jahren gewesen sein, wie Huck von einem Sammler erfuhr – heute geht es in der Literatur wie auf dem realen Teller farblich erheblich frischer zu. Aber viel Braten und viel Sauce bedeutet nun mal viel unappetitliches Braun. Offenbar ohne Abschreckungseffekt.

Den Wissenschaftlern war das gerade recht. Denn das Projekt entstand aus der Zusammenarbeit mit der Universität der Künste (UdK) als methodisches Experiment: Es ging um Fragen der Visualisierung, um Design als mögliches Erkenntnisinstrument der Forschung. Julia Schubert von der UdK, eine der Teilnehmerinnen der Projektgruppe, hatte die Idee, die Essensbilder zu verpixeln, um das Augenmerk noch schärfer auf die Farben zu legen. Anfangs habe er nicht gewusst, ob er das „bezaubernd oder irre“ finden solle, so der experimentierfreudige Wirtschaftswissenschaftler. Dann wurde das Ganze noch weiter zugespitzt, unter das Braun noch mehr Braun gemischt und Testpersonen gefragt, ob sie diesen Pixelsalat gern essen würden. Nö, sagten die. Aber tun es ja, wie man an den Weihnachtstellern sieht, in den meisten Fällen doch.

Der Mensch - ein einziger Widerspruch

Raclette
Raclette

© privat/WZB

Raclette gepixelt
Raclette gepixelt

© Abb.: Tsp

Der Mensch als wandelnder Widerspruch: Als Erforscher menschlichen Verhaltens ist Huck das gewohnt. „Bei Umfragen sagen ja auch viele, dass sie industrielle Massentierhaltung ablehnen – um dann in den nächsten Supermarkt zu laufen und ein Kilo Schweinefleisch für 2,99 zu kaufen.“ Das nennt man Verdrängung.

Um das Experiment der visuellen Darstellung noch weiterzutreiben, haben Testpersonen dann anhand der Fotos verschiedene Wechselbeziehungen bewertet, etwa zwischen Fleischmenge und Feierlichkeit. Das wurde dann in Grafiken übersetzt, die an abstrakte Bilder erinnern: Je ähnlicher die Figuren, desto größer die Korrelation.

Kunstwerk ist das Projekt ohnehin eher als wissenschaftliche Studie, die Optik ist reizvoller als der Erkenntniswert. In dem Buch „Fleisch und Farbe“, das die Gruppe pünktlich zum diesjährigen Weihnachtsfest für das WZB zusammengestellt hat, lässt die Forschergruppe das Ganze denn auch unkommentiert. „Könnte man diese Bilder beschreiben, hätten wir sie nicht gebraucht.“ Die Leute sollen sich selber was denken. Weihnachten haben ja alle Zeit.

Wer einer anderen geselligen Runde auf die Weihnachtstafel gucken will, hat dazu bis zum 30.12. im Rahmen der Ausstellung „Sieben Tische“ im Museum Neukölln Gelegenheit.

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