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Über den Kakao gezogen. Jede Schokoschicht bedecken Kekse – am besten in einem Stück.

© Wolff

Das Jahr des Hundes: Kuchenrevival

Das Image dieses Kuchens war katastrophal: ein fetter, billiger Dickmacher. Doch 2012 wird der Kalte Hund endgültig zum Star jeder guten Cafévitrine. Eine Hommage.

Beinahe hätten sich Prinz William Mountbatten-Windsor und Kate Middleton wegen eines Kuchens überworfen. Kate wollte zur Hochzeit eine traditionelle Obsttorte mit Zuckerguss, Blumendekor und allem Pipapo. William setzte sich aber mit einem Chocolate Biscuit Cake durch – einem, von dem er als Kind so gern genascht hatte. Der Schoko-Keks-Kuchen heißt in Deutschland Kalter Hund und ist offenbar eine unterschätzte Süßspeise. Dass er Prinzen verführt, hätte man ihm nicht zugetraut.

Lange Zeit war der simple kastenförmige Kuchen aus Schokolade, Keksen und Palmin, also Kokosfett, in Vergessenheit geraten. Heute sieht man ihn wieder auf Tresen und in Vitrinen von Cafés neben Brownies oder Muffins – und manchmal sogar in Gourmetrestaurants. „So eine Palminschnitte kann man richtig lecker machen“, sagt Sternekoch Matthias Buchholz. Bis 2010 kochte er in dem Berliner Gourmetrestaurant First Floor. Und servierte seinen Gästen den Kuchen, der bei ihm Kindheitserinnerungen weckt wie bei Proust das Madeleine-Gebäck.

Auch im Gutshof Britz, wo er nun kocht, bereitet Buchholz Kalten Hund zu. „Ist wirklich ein schöner Klassiker! Man kocht ja heute viele Gerichte, die früher aus der Not erfunden wurden.“ Statt auf die häufig verwendeten Butterkekse zurückzugreifen, backt er den Mürbeteig selbst. Die Kuvertüre (am besten die Sorte Manjaric Valrhona 64%) wird mit feinen Zutaten zu einer Schokoladengranache aufgepeppt: etwas Vanille und Orangenschale, mit einer Muskatreibe feingeriebene Tonkabohnen und Sahne, das macht den Kuchen fluffiger als üblich.

Dass der Retro-Kuchen zu seiner alten Bekanntheit aufholt, ist auch dem Ehepaar Rose aus Berlin zu verdanken. Vor fünf Jahren haben sie ihre 40 Quadratmeter große Manufaktur eröffnet, direkt unter ihrer Wohnung in Friedrichshain. Dort leben sie seit über 20 Jahren. Direkt neben dem Klingelschild in der Ebertystraße 49 hängt eine Tafel, auf der sich zwei schwarz-weiße Comicfiguren umarmen. Darüber geschrieben: „Paul küsst Paulines heißen Mund, danach gibt’s Roses Kalten Hund.“

Es ist die einzige Manufaktur in Deutschland, die ausschließlich Kalten Hund herstellt. Und sie beliefert Cafés in allen Bundesländern. „In den Köpfen der Leute war das so ein Arme-Leute-Essen, mittlerweile ist das eine richtige Delikatesse", sagt Jens Rose. 14 verschiedene Sorten Kalten Hund hat er im Angebot: klassisch mit dunkler Schokolade, mit Marzipan, Espresso oder Rum und aus weißer Schokolade, dazu Kokos oder Erdbeeren.

Zunächst hatten sich Viola Rose, 47 Jahre, mit großen blauen Augen und einem blonden Locken-Bob, und ihr Mann Jens, ein Jahr jünger als Viola, blaue Augen und blonde Stoppelfrisur, mit einer Kantine auf Fahrrädern selbstständig gemacht: Frische Salate, belegte Brötchen, Suppen und Kuchen für Friedrichshainer Kreative. Wenn die Roses kamen, bildete sich ein kleiner Menschenauflauf um ihre mobile Kantine – und der Kalte Hund war oft zuerst weg. „Kein Zahnarzt guckt in glücklichere Gesichter“, erinnert sich Viola Rose.

So reifte die Idee: Warum nicht nur noch Kalten Hund verkaufen? „Meine Mutter hat mich für verrückt erklärt“, sagt Jens Rose. Und zu seiner Frau gewandt: „Weißte noch, beim ersten Mal haben wir nur fünf Packungen Butterkekse gekauft.“ Heute schneidet er in seiner Manufaktur Kekspackungen dutzendfach auf und rührt die hausgemachte Kuvertüre an. Der Geruch von warmem Schokopudding zieht durch die zwei Produktionsräume. In einer Schüssel vermengt Rose Rohrzucker, Eigelb, das Mark einer Vanilleschote und geriebene Mandeln, erwärmt die Vollmilch und erhitzt das Kokosfett (100% von Othüna). „Auf keinen Fall teilgehärtetes Kokosfett, das macht den Kuchen nur glitschig“, sagt Viola Rose. Zusammen mit geschlagenem Eischnee und purem Kakaopulver entsteht eine cremige Schokomasse.

Rund 30 Zentimeter lang, mit 40 Keksen gefüllt und ein knappes Kilo schwer ist so ein Kalter Hund. Wie viele Kalorien der hat? „Keene Ahnung“, sagt er. „Wir sagen immer ausreichend, aber nicht mehr als ein Stück Buttercremetorte“, schiebt seine Frau hinterher. Jens Rose, zuständig für das „Bauen“, streicht derweil die Schokolade über die Keksschicht – in mit Klarsichtfolie ausgelegte quaderförmige Backformen. So lässt sich der Kuchen später leicht aus der Form heben. Am Ende schiebt Rose ihn nicht in den Ofen, sondern in einen der fünf Industriekühlschränke.

Viola Rose übernimmt in der Zwischenzeit die Logistik. Es klingelt, wahrscheinlich eine Bestellung, Frau Rose eilt zum Telefon. Manchmal dauern die Telefonate länger, weil die Kunden nicht nur ordern, sondern viel plaudern – über ihre Erinnerungen an die Kekse, die palmfetthaltige Kakaocreme, ihre Kindheit und Familie. „Was sich am meisten verkauft, ist ja die Geschichte“, sagt Jens Rose. Die heimliche Nascherei auf dem Dachboden oder im Keller, schokoladenverschmierte Münder und Hände. Der Knüller zum Kindergeburtstag. Das Care-Paket für den Ehemann in der Bundeswehrkaserne, weil der Kuchen haltbar ist wie kein anderer.

„Wenn die Leute in den Laden kommen, heißt es immer, sie kennen den Kuchen von der Mutter oder der Oma und man kommt sofort ins Erzählen: Bei uns hieß der Kellerkuchen oder Wandsbecker Speck, Schwarzer Peter, Kalter Igel und so weiter.“ Um den Kuchen ranken sich neben den persönlichen Anekdoten eine Reihe Ursprungsmythen. Einer besagt, der Kuchen sei wegen der einfachen und mächtigen Zutaten eine Speise aus der Nachkriegszeit. Damals waren viele Kalorien für wenig Geld gefragt. Die Kalorienbombe versorgte den Körper mit essenziellen Fettsäuren und Energie, über Maßen genossen nährte sie Winterspeck und Wohlstandswämpchen. Daher rührt die Idee vom Wirtschaftswunderkuchen.

Schlechtwetterkuchen?

„Mit arm hat das nichts zu tun“, sagt Jens Rose. „Sondern mit dem Kakao, den haben die Amerikaner nach dem Krieg wieder eingeführt.“ Und so den Eindruck verstärkt, der Kalte Hund sei ein Produkt aus den guten Zeiten des Aufschwungs der 50er Jahre? Sicher prägte er das Familienbild: Die nylonbestrumpfte Mutter servierte Kartoffelsalat mit Würstchen, zum Nachtisch stellte sie auf das Nierentischchen Kalten Hund und Apfelbrause. Die Kinder stürzten sich auf den Kuchen und begannen einen Streit ums Kantstück, das mit der dicksten Kuvertüre.

Ist er ein typischer Westkuchen? „Nee, bei uns im Osten gab es den auch“, sagt Jens Rose. Das belegen auch unzählige Rezepte – wie in „Das Backbuch“ vom Leipziger Verlag „Für die Frau“, erschienen 1979. Es nennt den Kuchen „Lukullus“, wie den römischen Feldherrn, der für seine üppigen Speisetafeln berühmt war. „Das Kokosfett auf kleiner Flamme zerlaufen lassen, Zucker, Eier, Kakao verrühren und das sich abkühlende Fett allmählich, fast tropfenweise, zugießen. In eine mit Butterbrotpapier ausgelegte Kastenform eine Schicht Lukullusmasse streichen, darauf Keks anordnen und so fortfahren, bis die Schokolodenmasse aufgebraucht ist.“

Die Erfindung des Kalten Hund liegt wahrscheinlich weiter zurück als die DDR oder das Nachkriegsdeutschland. Ihre Ursprünge reichen bis ins frühe 20. Jahrhundert. „Letztens hab ich wieder eine ganz neue These gehört“, sagt Rose. Nämlich dass der Unternehmer Bahlsen den Kalten Hund erfunden habe, weil er befürchtete, auf seinen Keksen sitzen zu bleiben. Tatsächlich gab die Firma in den 20er Jahren ein Rezept für Schokoladenkuchen aus Leibnizkeks heraus.

„Das glaube ich aber nicht.“ Jens Rose hat die Theorie, dass die Süßspeise aus dem slawischen Raum stammt – von den alten Bergarbeitern. Das Wort Hunt ist verwandt mit dem slowakischen Wort „hyntow“, also einem kastenförmigen Förderwagen. Und der erinnert an die Form des Kuchens. Irgendwann wurde dann aus dem „t“ am Ende ein „d“. Doch weder dieses noch die Bahlsen-Herkunft gelten als gesichert.

Was gegen die Theorien spricht: In Kroatien oder der Türkei gibt es den Kuchen ebenfalls, dort sehen sie aber anders aus. Nicht so rechteckig, eher wie eine Toblerone. Salame turco, Salame di cioccolato, Türken- oder Schokosalami heißt der Kalte Hund in Italien. Und in Norwegen: Delfiakake. Der Delfiakuchen trägt den Namen nach der Marke für das dort erhältliche Kokosfett. In Großbritannien ist es der Chocolate Biscuit Cake, den Prinz William so liebt. Er hat meist eine runde Form und wird aus zerbröckelten Tea Biscuits hergestellt. Mit rund 1700 Keksen und 17 Kilogramm Schokolade war die Hochzeitstorte von Prince William gefüllt.

Bis ins englische Königshaus hat es Roses Kalter Hund aus Berlin bisher nicht geschafft. Trotzdem wurde das Paar kurz vor Kates und Williams Trauung für den grandiosen Coup, die Hochzeitstortenbäcker zu sein, beglückwünscht. „Wir sind ganz stolz auf euch!“, sagte ein Geschäftspartner, der die Roses zu seiner Geburtstagsfeier eingeladen hatte, und ihnen fest die Hand schüttelte, während eine Reihe von Partygästen hochachtungsvoll auf die Roses blickte. Für sie war klar: Egal wo der Schoko-Keks-Kuchen auftaucht, er muss aus der Friedrichshainer Manufaktur kommen.

„Seitdem haben wir einen neuen Hund, der heißt Pflaume Royal.“ Eine Kreation mit Zwetschgenwasser. Viola Rose betont das Royal, da ist sie stolz. „Sozusagen eine Ode an Prinz William“, ergänzt Jens Rose. Das Rätsel um den Ursprung des Kuchens wird sich wohl nie ganz lösen. „Ich weiß nur, dass bei schlechtem Wetter mehr bestellt werden“, sagt Viola Rose. Warum? „Weil er glücklich macht.“

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