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"Ich bin der Hüter des Schatzes": Kellermeister Karl-Josef Krötz mit dem Rüdesheimer Mischsatz von 1653.

© Carmen Jaspersen/dpa

Der Bremer Ratskeller und seine legendären deutschen Weine: Kellergeist Bremer

Hier tranken Fontane, Wilhelm II., Friedrich Engels – hier lagert der größte Schatz deutscher Weine. Eine Inspektion zur Bürgerschaftswahl an diesem Sonntag.

Und dann geht es ins Allerheiligste. Unter dem alten Gewölbe liegt ein Duft von Sherry und Holz in der Luft. Kerzen flackern, aber was die Nase längst wahrgenommen hat, können die Augen noch kaum sehen in der Dunkelheit. Nach und nach weiten sich die Pupillen, im Kerzenschein werden die ersten Konturen kenntlich, und schließlich tauchen die Umrisse aus der Finsternis: DAS FASS.

1000 Liter passen hinein, und es ist beinahe noch voll. Ein Wunder lagert darin: der älteste Fasswein Deutschlands, ein weißer Rüdesheimer Mischsatz aus dem Jahr 1653. Die Queen hat einmal davon kosten dürfen, 1978 beim Staatsbesuch. Und auch der, der den Schlüssel hat zu diesem Verlies, Kellermeister Karl-Josef Krötz („ich bin der Hüter des Schatzes“). Er weiß den Tag noch ganz genau. Am 1. Juni 1996 hat er zusammen mit dem Weinexperten Stuart Pigott das heilige Fass geöffnet und einen Schluck genommen. Gespannt, aufgeregt.

Und wie war es, Herr Krötz? Trinkbar? Immer noch trinkbar?

Immer noch. Ein Aroma von Trockenfrüchten, ein bisschen wie Sherry, halbtrocken. „Ein Tropfen davon tapeziert Ihnen das ganze Maul aus“, sagt Karl-Josef Krötz in seinem karierten Hemd. Kein Wunder, dass dieser ganz besondere Saft Begehrlichkeiten weckt. Doch davon soll erst später die Rede sein.

Zunächst muss nämlich vom Jahr 1405 berichtet werden. Da beschloss der Rat von Bremen, dass in den Kellerräumen des gerade erbauten Rathauses ein Lager für Wein sowie Räumlichkeiten für dessen Verkauf entstehen sollten. Es war die Geburtsstunde des Bremer Ratskellers, der heute zusammen mit dem Rathaus und dem Rolands-Denkmal zum Weltkulturerbe gehört. So geschah es, dass Bremen, ausgerechnet Bremen, dieses flache Land, so etwas wie Deutschlands Weinhauptstadt wurde.

144 Ratskeller gibt es in Deutschland. Der Bremer ist mit seinen mehr als 5000 Quadratmetern nicht nur der mit Abstand größte, er beherbergt auch die weltweit größte Lagerstätte deutscher Weine. Schon früh wurde er damit zur Legende. Fürst Bismarck war hier, Kaiser Wilhelm I. sowie II., Richard Wagner und Richard Strauss, Fontane und Gogol. Wilhelm Hauff schrieb die Novelle „Phantasien im Bremer Ratskeller“, eine wilde Melange erotischer Hirngespinste und alkoholgetriebener Tollheiten. Heinrich Heine dichtete: „Glücklich der Mann, der den Hafen erreicht hat/Und hinter sich ließ das Meer und die Stürme/ Und jetzo warm und ruhig sitzt/ Im guten Ratskeller zu Bremen./ Wie dort die Welt so traulich und lieblich/ Im Römerglas sich widerspiegelt.“

Es mag sich viel Staunenswertes abgespielt haben in diesen dunklen, holzgetäfelten Hallen, im Bacchus- und Apostelkeller, im Senats- und Kaiserzimmer und wie sie sonst noch heißen, die weitverzweigten Gemächer im Untergrund. Besonders hoch hergegangen sein muss es in den sogenannten „Priölken“, den holzgeschnitzten Separees, deren Türen aus Sicherheitsgründen erst abgeschlossen werden durften, wenn mindestens drei Personen darin saßen. Dass es dort zu gewissen Ausschweifungen kam, ist nicht verbürgt, aber wahrscheinlich. In jedem Fall waren sie Orte geheimer Geschäfte, vielleicht sogar politischer Abenteuer.

Zwei Kilometer ziehen sich Gänge und Räume hin

Der Bremer Schatzkeller. Ganz hinten, mit drei Kerzen (die alle der Atmosphäre dienen): das Fass mit dem legendären Mischsatz von 1653.
Der Bremer Schatzkeller. Ganz hinten, mit drei Kerzen (die alle der Atmosphäre dienen): das Fass mit dem legendären Mischsatz von 1653.

© Carmen Jaspersen/dpa

Hauptsächlich jedoch kam man wegen des Weinkellers, der seit jeher einen vorzüglichen Ruf hatte. Berühmt waren die Besäufnisse von Friedrich Engels, der in seinen Bremer Jahren oft im Ratskeller saß, sich mit den Honoratioren anlegte und dabei tüchtig einen trank. „Vorgestern Abend hatte ich große Knüllität im Weinkeller von zwei Flaschen Bier und zweieinhalb Flaschen Rüdesheimer 1794er“, schrieb er stolz an seine Schwester Marie. Auch Heine fällt in seinem Gedicht vom Ratskeller am Ende ins alkoholische Delirium: „Die glühende Sonne dort oben/Ist nur eine rote, betrunkene Nase./ Die Nase des Weltgeists./ Und um diese rote Weltgeistnase/ Dreht sich die ganze betrunkene Welt.“

Es wäre in der Tat ein Leichtes, die ganze Welt mit der weinseligen Bremer Vorratshaltung betrunken zu machen. Zwei Kilometer ziehen sich Gänge und Räume unter der Erde hin, für eine halbe Million Flaschen ist Platz, dazu kommt das Fasslager mit einer Kapazität von einer halben Million Litern, das heute allerdings kaum mehr genutzt wird. An den 800 Sitzplätzen im Restaurant werden jährlich gut 12 000 Flaschen geleert. In den Verkauf wandern noch einmal 500 000, der größere Teil nach Bremen und Umgebung, online gehen Bestellungen aus der ganzen Welt ein. Dann ist der Ratskeller auch überall dabei, wo es gilt, deutschen Weingeist zu beweisen. Bei Auslandsauftritten deutscher Firmen zum Beispiel, der Vip-Lounge von Mercedes bei der Formel 1 oder bei Veranstaltungen des Deutschen Fußballbunds.

Damit Bremen Deutschlands Weinhauptstadt bleibt, hat Kellermeister Karl-Josef Krötz allerhand Arbeit. Die besteht neben Ratskellerführungen (an die 500 pro Jahr) hauptsächlich im – Trinken. Jedes Jahr probiert er 3000 Tropfen aus den 13 deutschen Weinbaugebieten, von denen er schließlich 150 auswählt, die den Adelstitel „Bremer Ratskeller“ auf dem Etikett tragen dürfen. Gerade 31 Jahre war Krötz, der aus einer Winzerfamilie von der Mosel stammt, als er im Bewerbungsverfahren um die Würde des Kellermeisters siegte. Dass deutsche Gewächse in den vergangenen Jahrzehnten einen rasanten Aufstieg vom pappigen Zuckerwasser zur Weltliga der Weine machten, das hat auch ein wenig mit seinem langjährigen Wirken zu tun.

Krötz führt jetzt durch die endlosen Windungen des Kellerlabyrinths, durch düstere Ecken und nüchterne Versandräume, bis am Ende eines langen Gangs ein rotes Licht wie eine Verheißung erscheint und der Kellermeister die wunderlichen Worte spricht: „Ich bin der Himmelsbote, der das Manna vom Himmel auf die Erde holt.“ Dann macht er Halt vor einem hohen schmiedeeisernen Gitter, darüber der Schriftzug „Schatzkammer“, dahinter Flaschen, die Bremer Kellermeister in der Vergangenheit für besonders bemerkenswert hielten. 6500 sind es, umhüllt von Zellophanfolie, die im Rotlicht glänzt. „Gigantisch, was da liegt“, sagt Krötz und weist auf eine Flasche, die Weltrekordhalter ist: sensationelle 283 Öchslegrade, ein Spätburgunder von 1992.

Die Herzkammer des Ratskellers freilich ist jener Rosekeller, in dem unter Kerzenschein und Sherry-Duft jenes legendäre Fass aus Rüdesheim lagert. Damit begann vor einem Jahr die Geschichte einer großen Verlockung. Die Kunde von diesem Fass war nämlich zu den Ohren des Chinesen Huang Nubo gedrungen, Milliardär, Immobilienhai, KP-Mitglied. Weil Herr Huang Freude am Exzentrischen hat, seltsame Gedichte schreibt und angeblich schon auf dem Mount Everest und am Nordpol gewesen ist, setzte er sich in den Kopf, er müsse dringend eine Flasche vom Rüdesheimer Fass abgefüllt haben. 150 000 Euro sollte ihm der Spaß wert sein. Das wäre dann die zweitteuerste Flasche der Weingeschichte, übertroffen nur von einem Château Lafite-Rothschild, der vor nicht ganz 30 Jahren mit 215 000 Euro bei einer Versteigerung weggegangen war.

Schuldentilgung durch Weinverkauf

"Ich bin der Hüter des Schatzes": Kellermeister Karl-Josef Krötz mit dem Rüdesheimer Mischsatz von 1653.
"Ich bin der Hüter des Schatzes": Kellermeister Karl-Josef Krötz mit dem Rüdesheimer Mischsatz von 1653.

© Carmen Jaspersen/dpa

Das fernöstliche Angebot sorgte in Bremen für nicht geringe Aufregung. Die Stadt Bremen hat so viel Schulden pro Kopf wie kein anderes Bundesland, etwa 23 Milliarden Euro. Man könnte ja einmal hochrechnen: 150 000 für ein einziges Fläschchen – bei einem Fassinhalt von knapp 1000 Litern ließen sich an die 1400 Flaschen daraus machen. Sollten sich weitere zahlungskräftige Käufer finden, wären für dieses Fass schnell 200 Millionen beisammen. Und im Ratskeller liegen ja noch andere ... Der „Weser-Kurier“ rief seine Leser zur Abstimmung auf; 70 Prozent waren der Meinung, dass die Schätze des Ratskellers ein willkommenes Mittel zur Tilgung der Stadtschulden seien.

Kellermeister Krötz aber fand, dass er eine „kulturelle Verantwortung“ habe und nicht in die Geschichte eingehen wolle als jemand, der den Ratskeller entweiht habe: „Man würde ihm seinen Zauber nehmen!“ Also dachte er, dass Bürgermeister Jens Böhrnsen über das unmoralische Angebot aus China entscheiden müsse. Der jedoch gab den Schwarzen Peter gleich zurück an seinen Kellermeister, der als „allseits anerkannter Fachmann“ gewiss am besten wisse, was zu tun sei.

Die Sache schien vertrackt. Andere Kulturgüter kann man sehen, anfassen, hören. Wie aber ist das mit einer im Fass schlummernden Flüssigkeit? Friedrich Engels, der Ratskeller-Hocker, hat einen berühmten Satz gesagt: „Das Essen ist der Beweis des Puddings.“ Außerhalb des Gegessenwerdens ist der Pudding sozusagen nicht existent. Gilt das auch für Wein? Ist der Wein nur dann Wein, wenn er getrunken wird? Oder ist er schon in seinem Sein, seinem Dasein, ein Wein?

Schwierige Frage. In Bremen würden sie sich darüber vermutlich noch heute die Haare raufen, wenn nicht eine Weisung aus Peking ergangen wäre. Die kommunistische Führung fand, dass ihr Parteimitglied ein Stück zu weit gegangen sei. Weshalb dieses das verlockende Angebot zurückziehen musste.

So fiel sie aus, die Schändung des Ratskellers. Das Fass von 1653 bleibt verschlossen. Es sei denn, die Queen reist wieder einmal nach Deutschland.

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