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Alles Handarbeit. So eine Torte kostet etliche Hundert Euro. Dafür hält sie ewig.

© (c) Georgia Glynn Smith

Die Tortenqueen: Alles aus Zucker

Peggy Porschen hat die Tortendekoration in England zur eigenen Kunst erhoben. Inzwischen buchen Kate Moss und andere Stars die Deutsche für ihre Hochzeiten.

Als Peggy Porschen, das Abi in der Tasche, ihren Eltern erklärt, dass sie „Tortendesignerin“ werden will – nicht Bäckerin, sondern Dekorateurin –, da wissen weder ihre Eltern, wie so etwas zu einem Beruf werden kann, noch hat Deutschland mit seiner imposanten Liste stolzer Handwerksberufe eine Bezeichnung dafür vorgesehen. Die „Konditorin“ trifft es so wenig wie „Patissière“.

Doch als Peggy Porschen, 38, am letzten Maiwochenende 2015 nach Deutschland zurückkehrt, und zwar in die Dortmunder Westfalenhallen, wo die erste internationale Tortendekorationsmesse, die „Cake and Bake Germany“ stattfindet, gleicht es einem Triumphzug. Sie ist der Star einer Bewegung geworden, Tortendeko ist neben einem Hobby längst ein Markt. Sie selbst nennt man jetzt die „Tortenqueen“.

Sie hat in London ein Imperium in Rosa aufgebaut, einen Laden mit Café, ein Studio für Hochzeitstorten und eine Backakademie. Sie hat neun Bücher veröffentlicht und unter anderem hunderte von süßen Fabergé-Eier für die Aids-Gala von Elton John produziert. Sie hat die Hochzeitstorte für Stella McCartney geliefert, und dann kam Kate Moss vorbei und wollte die gleiche Dekorateurin wie Stella. Porschen produziert die It-Bag zum Essen. Der Auftrag für die Hochzeitstorte für Kate und William entging ihr knapp. Eben jetzt beginnt in einem separaten Raum ein fünfstündiger, natürlich ruck, zuck ausgebuchter Workshop.

Ornament ist Verbrechen? Hier nicht. Hier ist Oberfläche derart perfektioniert, dass sie für sich in Anspruch nehmen kann, eine eigene Kunst zu sein. Zwölf Frauen sitzen vor zwölf Styropordummys in Tortenform, die mit weißem Fondant, der formbaren Zuckermasse, überzogen sind. Die Leinwand für das kommende Kunstwerk, fünf Stunden sind vorgesehen für eine Dekoration mit Rosen und Maiglöckchen. „Geschmackvoll“ ist hier nie kulinarisch gemeint.

„Vielleicht ist Dortmund schon weiter, als man denkt“, sagt Porschen und lobt die unzweifelhaft schon vorhandene Expertise der Teilnehmer. Eine der Frauen bringt Tage damit zu, dass ihre Zucker-Rose nicht von der echten Vorlage zu unterscheiden ist. Eine andere ist um halb fünf in Stuttgart aufgestanden, um jetzt in Dortmund Fondant zu kneten. Eine Abiturientin wird demnächst eine Konditorausbildung beginnen. Fast alle haben längst Geld in Werkzeuge investiert, in „Blütenpaste“, Modellierstäbe und Silikonmatten. „Die Leute sagen mir oft, dass Dekorieren etwas Meditatives hat“, sagt Porschen.

"In England kommt die Hochzeitstorte gleich nach dem Kleid"

Peggy Porschen. Die Deutsche betreibt in London einen Laden mit Café, ein Studio für Hochzeitstorten und eine Backakademie. Ach ja, neun Bücher hat sie auch noch geschrieben.
Peggy Porschen. Die Deutsche betreibt in London einen Laden mit Café, ein Studio für Hochzeitstorten und eine Backakademie. Ach ja, neun Bücher hat sie auch noch geschrieben.

© Fotos: (c) Georgia Glynn Smith

Am besten dazu keine dunklen Sachen oder fusselige Wollpullover tragen, rät sie – Fondant zieht alles an, was in der Luft ist. Nie den gekneteten Teig auseinanderziehen, dann bilden sich Luftbläschen. Die muss man sonst einzeln aufpiksen und dann die Luft ausstreichen.

Porschens erste dekorierte Torte war ein Valentinstagsherz für ihren Freund. Die Beziehung zur Torte stellte sich als die stabilere heraus. Später hat sie mit Mitschülern für eine Lehrerin Gebäck aufgerüscht. Sie ging an die Londoner Dependance der Pariser Kochschule „Le Cordon Bleu“. Ihre erste Hochzeitstorte hat Porschen für 300 Euro hergegeben, voller Skrupel, ob man so viel verlangen könne. Dabei steckte eine Woche Arbeit darin. „Am Anfang war mir Geld total egal – aber dann brauchst du jemanden zum Spülen.“ Sie musste Angestellte bezahlen und Miete, aber immerhin war sie in England, „da kommt die Hochzeitstorte gleich nach dem Kleid“. In Deutschland langweile das Gebäck sich während der Feier auf dem Dessertbuffet.

Dass Deutsche nicht bereit sind, für eine Torte 800 Euro auszugeben, liege auch an der reichen Kuchenkultur im Land. „Egal, welchen Hintergrund die Leute haben, ein Stück Kuchen kann sich jeder leisten.“ Kuchenessen sei wie das Backen selbst auch bei einfachen Leuten verankert. In England sind Törtchenesser eine Klasse für sich: Tee und Kuchen, der „High Tea“ am Nachmittag, ist eher mit der Upper Class verbunden, teuer und besonders. Unpraktisch ist Reichtum nur bei der Anlieferung: „Die Leute mit großem Tortenbudget haben dann ein Zelt auf irgendeinem Landgut.“

Aber Hochzeitstorten werden nur im Frühjahr und Sommer verlangt – und sie hat auf dem Markt der Hochzeitstorten alles erreicht. Das Bücherschreiben und ihre „Academy“ sind planbarer und stetiger. Anderthalb Stunden sind zum Beispiel jetzt geplant, um 84 Maiglöckchen aus Zuckerfondant herzustellen.

Die mit Kokos gefetteten Hände in der Blütenpaste, die Augen auf die weiße Masse geheftet, bekommen die Frauen die Feuertaufe der ersten „Cake and Bake“ nicht mit. Sie sehen nicht, dass hinter den Messebauwänden in Dortmund der Besucherstrom zu einem gefährlichen Strudel anschwillt. Dass die frustrierten Leute an den Ständen keinen Blick mehr auf die Ware erhaschen können. Die Feuerwehr verhängt wegen Überfüllung für zwei Stunden einen Einlassstop. Am Kaffeestand geht die Milch aus. Für den zweiten Messetag müssen sie spontan eine weitere Halle hinzubuchen.

195 Euro kostet der Workshop

Wer solche naturalistischen Blüten herstellen will, braucht erst mal das richtige Werkzeug.
Wer solche naturalistischen Blüten herstellen will, braucht erst mal das richtige Werkzeug.

© Fotos: (c) Georgia Glynn Smith

Von der großen Showbühne wehen Sprachfetzen von der Airbrush-Vorführung herbei. Man kann mit dieser Technik natürlich figürliche Scheußlichkeiten schaffen, die auf den Wettbewerbstischen zu sehen sind: Bunte Comic-Figuren, Skelette und Totenköpfe, Torten im Gothic-Style und in schrillen Farben. Teilnahmebedingung und offenbar keineswegs selbstverständlich: Die Torte muss „essbar“ sein. Diesen „Motivtortentanten“ hat Peggy Porschen etwas Edleres, in jedem Fall Pastellfarbenes entgegenzusetzen. Die Tortendekoration trägt nun auch in Deutschland alle Anzeichen einer Professionalisierung, eigene Messe und englische Fachsprache inklusive. „Laces“ werden verkauft, Spitzenschablonen und „Cake Smoother“, eine Art Maurerkelle, mit der man das Fondant um die Torte makellos in Form schmirgelt. Außerdem Silikonformen namens „Veiner“, die täuschend echte Blattadern in die Masse drücken. Nur Arbeitszeiten werden in den einschlägigen Büchern gar nicht mehr angegeben. Zu deprimierend.

An den Tortendummys werden jetzt Rosenblätter gefärbt und geformt und die ideale Konsistenz des aus der Spritztüte kommenden „Royal Icing“ mit „weichzipfelig“ übersetzt. In Italien, sagt Porschen, war in den letzten Jahren ein viel zu schnell befeuerter Hype um Tortendeko ausgebrochen, der schnell wieder vorbei war und ein billiges Image hinterließ. In Deutschland müsse man stark gegen die Konditoreien ankämpfen, die Designer als Konkurrenz begreifen. In Österreich dagegen „umarmen sich die beiden“, und die Handwerkskammern geben Sondergenehmigungen aus.

Porschen muss nun raus zur Signierstunde. Ihr Verleger lehnt aufgekratzt am umlagerten Stand zwischen schwindenden Bücherstapeln. „Ich habe festgestellt, dass Geld heute gar keine Rolle spielt.“ 

Die Mutter der angehenden Konditorin dagegen, die vorhin den Kurs besuchte, steht latent fassungslos mit der Tortenschachtel in der Menge. Der Kurs bei Porschen hat 195 Euro gekostet und unter der Deko befindet sich noch nicht einmal Torte. Wer soll die ganze Handarbeit einmal bezahlen? Sie hat noch keine Vorstellung, wie das für ihre Tochter einmal ein Beruf werden könnte.

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