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Home office. Vijay Sapres private Küche dient immer wieder als Location für Kochreportagen im Heft.

© Elissavet Patrikiou

Ein Porträt des "Effilee"-Herausgebers Vijay Sapre: Der Fond-Manager

Seit acht Jahren urteilt „Effilee“ über die Gastroszene. Herausgeber Vijay Sapre ist das manchmal selbst nicht ganz geheuer.

Mit dem Fachmann für gutes Essen über Geschmack zu fachsimpeln, ist gar nicht so einfach. Vijay Sapre ziert sich. Gerade hat er im Hamburger Restaurant Off Club eine spannende, dank Molke-Sorbet an Nachtisch erinnernde Vorspeise serviert bekommen, dann butterzarte Rinderrippe und zum Abschluss ein feines Schokoladendessert. Die Frage, wie es schmeckt, die beantwortet der Herausgeber des Magazins „Effilee“, in dessen Gastrokritiken schon mal über die Dicke von Flädle oder Texturen von Canneloni philosophiert wird, aber nur in Appetithäppchengröße. Das Fleisch? „Ja, prima.“ Der Wein? „Lecker.“ Dann lehnt er sich zurück und spricht statt über kulinarische lieber über künstliche Intelligenz.

Ist das die Selbstgewissheit eines Internet-Millionärs im geschneiderten Nadelstreifenjacket, der seine Zeitschrift – die seit Jahren die Lücke zwischen dem elitären „Feinschmecker“ und der Rezeptsammlung „Essen und Trinken“ unterhaltsam und klug zu füllen weiß – vollmundig „Deutschlands intelligentes Kochmagazin“ nennt?

Wenig später. Sapre sitzt in einer geräumigen Weinbar in der Nähe der Binnenalster. Parkettboden. Industrielampen. Hohe Manschettenknopfdichte im Publikum. Der Champagnerhersteller Bollinger hat geladen. Ein junger Mann referiert, während eine Flasche nach der nächsten entkorkt wird. Gerade im Glas: Bollinger R.D. 2002, der Stolz des Hauses. Mehr als 200 Euro die Flasche. Um Sapre herum schwärmen die Leute von „Aromen reifer Früchte ... mineralischem Abgang ... Kakaonoten“. Und er? „Doch, sehr lecker“, sagt er und genießt still.

Oder ist es das legere Understatement eines Mannes, der zwar drei Autos besitzt, aber zum Termin mit einem Carsharing-Wagen vorfährt, keine Armbanduhr am Handgelenk und einen Krankenkassenkuli in der Jacketttasche trägt?

Auch das trifft es nicht. Den wahren Grund für sein Zögern in Sachen Geschmackskritik erfährt man nur, wenn man sich mit Sapre so lange unterhält, bis er irgendwann über Horrorfilme spricht.

"Ich bin ein Nachtmensch"

Övelgönne ist ein schmaler Fußweg zwischen niedrigen Hecken. Auf der einen Seite die Elbe und der Containerhafen, auf der anderen Stadtvillen. Nummer 59 ist ein weißes Eckhaus. Durchaus feudal, Erkertürmchen, drei Etagen, 180 Quadratmeter Wohnfläche.

Später Vormittag. Ein Druck auf den Knopf auf dem vergoldeten Klingelschild. Vijay Sapre öffnet. Er trägt einen roten Kapuzenpulli und grüßt herzlich. Der 54-Jährige wirkt noch etwas zerknautscht. „Ich bin ein Nachtmensch“, sagt er. „Wenn die Kinder in der Schule sind, lege ich mich gerne nochmal eine Stunde hin.“ Er bittet hinein in die Redaktionsräume im Hochparterre. Nö, Schuhe können Sie ruhig anlassen.

Das Büro ist verwinkelt, offene Flügeltüren, volle Regale, aneinandergestellte Schreibtische, nur eine Mitarbeiterin und ein Praktikant sind da. Sapres zweite Frau, die auch mitarbeitet, hat gerade frei. Die heiße Phase ist durch. Die Herbstausgabe ist vor ein paar Tagen fertig geworden und stapelt sich im Flur. Sapre, der mit Bart und Bauch eine gemütliche Ruhe ausstrahlt, freut sich darüber. Nicht nur über den Inhalt. Neuerdings drucken sie auf rauerem Papier. Die 9,80 Euro pro Heft soll man auch fühlen, findet er und streichelt die Seiten.

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Sapre wird mit 42 Multimillionär

Unter dem Schrägdach liegt ein großzügiges Ess- und Arbeitszimmer mit offener Küche. Die „Effilee“-Leser kennen es aus diversen Kochreportagen. Wärmelampen, Reifeschrank, Gasfeld: Profi-Equipment. Davor ein großer Holztisch, Regale mit Bildbänden und Kochbüchern, ein alter Schreibtisch. Man sieht, dass hier auch zwei kleine Kinder zu Hause sind. Sapre räumt ein paar Bücher vom Tisch und entschuldigt sich. „Wir sind Messis auf gehobenem Niveau.“ Kaffee?

2004 kaufte er das Haus, das auch Zentrum seiner verlegerischen Tätigkeit ist. Alle 38 Ausgaben von „Effilee“ sind hier entstanden. Zum Schreiben kommt Sapre rauf in die Küche, wenn er für eine Fotoreportage Spanferkel im Erdofen gart, dann baut er den im Garten. Eigentlich hatte er sich mal geschworen, nie mehr zu Hause zu arbeiten, erzählt er, aber irgendwie hat es sich dann doch so ergeben. „Passt.“ Mit starren Plänen hatte Sapre es noch nie.

Zeit zum Mittagessen. Sapre reserviert ein Car-Sharing-Auto. Am Steuer erzählt er von seinem Leben: 1962 in Hamburg geboren, wächst er in Erlangen auf, die Mutter Deutsche, der Vater Inder, der Stromtrassen baut und mittags oft zum Kochen nach Hause kommt. Mit Anfang 20 wird Sapre die Provinz zu eng, er kehrt zurück nach Hamburg, gründet eine Band, bricht ein Theologiestudium ab, bricht ein Philosophiestudium ab, fährt Taxi. Mitte der 80er Jahre steigt er ein in die Reklamebranche. Gerade noch Punk, jetzt Werbetexter? „Ich konnte schon immer gut in verschiedene Welten eintauchen.“

1996 gründet er mit einem Freund mobile.de, das Geschäft wächst rasant, acht Jahre später kauft Ebay die Gebrauchtwagenplattform für mehr als 100 Millionen Euro. Sapre ist 42 – und Multimillionär.

„Viele haben den Verkauf damals als Hauptgewinn wahrgenommen“, sagt er. „Aber ich empfand das als Niederlage. Ich hätte gerne weitergemacht, doch wir hatten uns total verkracht.“

Zeitungskrise? Egal. Sein Plan war ambitioniert

Home office. Vijay Sapres private Küche dient immer wieder als Location für Kochreportagen im Heft.
Home office. Vijay Sapres private Küche dient immer wieder als Location für Kochreportagen im Heft.

© Elissavet Patrikiou

In seinem frisch bezogenen neuen Zuhause steht er vor den Fenstern mit dem Blick auf die Verladekräne und vor der Frage, die viele Menschen ereilt, die plötzlich nicht mehr für Geld arbeiten müssen: Und jetzt?

Sapre macht, was er vorher auch gemacht hat. Er wechselt die Baustelle. Schon als Kind hat er gerne gekocht, schon als Taxifahrer Geld gespart, um ab und an in gute Restaurants gehen zu können. Er habe einen sportlichen Ehrgeiz am Herd, sagt er. Er absolviert ein Praktikum bei Sternekoch Gutbert Fallert im Schwarzwald, gründet die Webseite kochpiraten.de und schließlich 2008 „Effilee“ – französisch für schärfen, anspitzen.

Zeitungskrise? Egal. Sein Plan ist ambitioniert. Sechs Ausgaben pro Jahr, Auflage fast 80 000 Stück. „Die Idee ist, ein Kulturmagazin für Foodies zu machen“, sagt Sapre. Wobei. Den Begriff Foodies möchte er dann gleich wieder streichen. Das klingt ihm zu gewollt. Ihm geht es um die Geschichten. Dass etwas gut geschrieben ist, ist ihm wichtiger als das Thema. Die Autoren porträtieren Köche, erzählen die Historie des Absinths, suchen Deutschlands besten Gin, schreiben Restaurantkritiken. Neugierig, dünkellos, gerne subjektiv.

Die Fotostrecken mit lasziven Models kamen nicht überall gut an

Man kann anmerken, dass dabei manchmal die Grenze zwischen Teilnehmer und Beobachter etwas unscharf gerät. Aber Sapre hat damit kein Problem. „Effilee“ sei eine Bühne für die Szene. „Dadurch sind wir natürlich selbst Teil der Szene.“ Ethüllungsjournalismus könne man von ihm nicht erwarten. „Ich interviewe auch keinen, den ich nicht gut finde.“ Interessiert ihn nicht.

Was nicht heißt, dass er nicht gerne provoziert. Die Fotostrecken mit lasziven Models in den frühen Tagen kamen nicht überall gut an, er empfiehlt Fine-Dining-Snobs auch mal Wein von Lidl, und in den Kolumnen stänkern seine Autoren gegen die Branche im Allgemeinen und „FAZ“-Gastropapst Jürgen Dollase im Besonderen.

„Es gibt hierzulande kein Magazin, das umfassender über Kulinarik und Genuss nachdenkt“, sagt der erfolgreiche Foodstylist und Buchautor Stevan Paul, der seit der zweiten Ausgabe als freier Mitarbeiter dabei ist.

Nur in Zahlen hat sich all das nie niedergeschlagen. Inzwischen erscheint „Effilee“ nur noch viermal im Jahr und die Auflage hat sich mehr als halbiert. Die Verkäufe aber lägen stabil bei 10 000. Sapre gibt beim Nachtisch offen zu, dass er viel Geld in dem Magazin versenkt hat.

"Ich fühle mich häufig wie Donald Sutherland"

Er ordert die Rechnung, doch das Mittagessen geht aufs Haus. Man kennt sich. Sapre gibt ein dickes Trinkgeld und ruft ein Taxi. Der Champagner wartet.

Freut er sich darauf? „Ja, schon“, sagt er. Aber wenn er ehrlich ist, komme er sich bei solchen Terminen auch nach all den Jahren oft noch so vor, als würde er gleich auffliegen. Er hat das ja alles nie gelernt. Weder Sommelier, noch Koch, noch Redakteur. Was befähigt ihn eigentlich dazu, zu machen, was er macht?

„Ich fühle mich häufig wie Donald Sutherland in ,Die Körperfresser kommen‘. Kennen Sie den?“, fragt Sapre. In dem Horror-Klassiker aus dem Jahre 1978 ersetzen Außerirdische Menschen durch leblose Kopien, die alle, die nicht zu ihnen gehören, durch ein irres Kreischen enttarnen. „Irgendwie warte ich auch immer auf so einen Schrei.“

Warum er trotzdem weitermacht, dafür hat er eine einfache Erklärung. „Klar ist das Selbstausbeutung mit dem Heft, aber es macht immer noch Spaß.“

Und wenn doch mal alles nichts mehr wird, tja, sagt er, dann sattele er halt nochmal um. Er könne immer noch ganz gut programmieren.

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