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Eiskalte Typen: Sommerwein im Test

Den Sommer regieren Weizenbier und Limonade. Und die Winzer? Machen Sommerwein. Leicht und frisch soll er sein. Ein Test.

Die originellste Antwort auf die Frage, was eigentlich ein „Sommerwein“ ist, hat Nancy Sinatra gegeben. „Erdbeeren, Kirschen und der Kuss eines Engels … daraus besteht mein Sommerwein“, sang ’67 die Lady mit den langen Beinen. Mit solchen Zutaten kann der Lebensmittelchemiker und Weinanalytiker Claus-Dieter Patz von der Forschungsanstalt Geisenheim nicht dienen. Seine Definition des Sommerweins kommt eher nüchtern daher: „Sommerweine sind für mich fruchtbetonte, spritzige und leichte Weine.“ „Belebend“ und „bekömmlich“ sind weitere Attribute, die er für diesen Weintypus parat hat.

Ideale Sommerweine, die diese Anforderungen erfüllen, wird man vor allem unter Weißweinen finden. Sie bringen in der Regel eine höhere Säure mit als Rotweine und werden auch kühler ausgeschenkt. Damit sind sie erfrischender und eher für die heiße Jahreszeit geeignet. Dennoch bleibt der Begriff Sommerwein ein wenig schwammig. Das hat er mit dem sogenannten Spargelwein gemeinsam. Gerne mal mutieren bei Weinhändlern die vom Frühjahr übrig gebliebenen Spargelweine ganz schnell zu Sommerweinen, sobald der Spargel aufgegessen ist, das erste Azorenhoch in Stellung geht und die Temperatur Richtung 30 Grad marschiert.

An solchen Hundstagen sollte man – selbst bei großen Aspirin-Vorräten – auch den leichtesten Sommerwein nicht unbedingt als Durstlöscher einsetzen. Dazu ist Mineralwasser immer noch das beste Getränk. Doch wenn an lauen Sommertagen auf der Terrasse tatsächlich eine Flasche geöffnet wird, muss sie knackige Frische mitbringen und einen möglichst niedrigen Alkoholgehalt. Wenn jetzt noch der Gesundheitsberater warnt, auch ja ausreichend zu trinken, Schattenplätze aufzusuchen und nur leichte Tätigkeiten im Freien auszuüben, dann verzichten selbst echte Weinfreaks auf eine dichte Struktur und große Komplexität ihres Lieblingsgetränks und trinken lieber unkomplizierte Weine.

Die Winzer haben das Potenzial des Themas längst erkannt und preisen die unterschiedlichsten Weinstile und Rebsorten als idealen Sommertrunk. Die Bandbreite ist riesig. Für jeden Moselwinzer ist selbstverständlich ein rassiger Riesling-Kabinett der Ausbund eines Sommerweins. Kalifornische Weinmacher puschen trotzdem ihren oft übermotorisierten, alkoholstarken Chardonnay als ideal. Zeit also, genauer hinzusehen, ob auch wirklich Sommerwein drin ist, wo Sommerwein draufsteht.

Die Leichtigkeit des Seins gehört sicher zu den wichtigsten Kriterien. Alkohol ist zwar ein Geschmacksträger, doch zu viel davon gibt dem Wein Wärme und Schwere. Das Magazin „Vinum“ hat bei seinem Sommerwein-Test die Grenze bei elf Volumenprozent gezogen. Wir waren etwas großzügiger und haben Weine bis maximal zwölf Prozent für unsere Probe zugelassen. Damit fällt der größte Teil der heute in Berliner Weinläden verkauften Tropfen schon mal aus.

Einer der von uns angesprochenen Weinhändler hatte keinen einzigen leichten Wein im Angebot, der dieser Definition entsprochen hätte. In seinem Laden war gut zu sehen, wie auch Weißweine in den vergangenen Jahren erheblich wuchtiger und alkoholreicher geworden sind. Neben dem Klimawandel ist vor allem der Trend zur späteren Lese für diese Entwicklung verantwortlich. Die Winzer wollen die exakte „physiologische Reife“ des Lesegutes abwarten. Erst dann besitzen die Trauben die ideale Balance und Aromenstruktur. Sie haben aber auch mehr Zucker gespeichert, der bei der Gärung direkt in Alkohol umgewandelt wird.

„Heute ist es sehr viel schwieriger, einen guten leichten Wein zu machen als einen schweren“, sagt der Stuttgarter Weinexperte und Sommelier Bernd Kreis. Er stellt noch ein anderes Kriterium für Sommerweine heraus: das Aroma. Sobald ein Wein draußen auf der Terrasse oder beim Picknick getrunken werde, verdufte ein Teil des Aromas oder werde weniger intensiv von unserer Nase wahrgenommen als in geschlossenen Räumen. Deshalb, so Kreis, seien besonders aromareiche und gleichzeitig säurefrische Rebsorten wie Muskateller, Sauvignon Blanc und Riesling für ihn erste Wahl in Sachen Sommerwein.

Neben Alkoholgehalt und Aroma ist die Frische ein entscheidendes Kriterium. Im kleinen Holzfass (dem Barrique) ausgebaute Weine, die wärmende Röstnoten, Vanille- und Rauchgeschmack vom Kontakt mit dem getoasteten Eichenholz mitbringen, sind keine gute Wahl bei Schwimmbadwetter.

Wie aber kommen Frische und Spritzigkeit in den Wein?

Christian Stahl, Winzer im fränkischen Teil des Taubertals und Spezialist für Sommerweine, hat dazu klare Vorstellungen. Zunächst liest er die für diesen Weintyp bestimmten Trauben etwas früher. Dadurch, sagt Stahl, fielen die Säurewerte höher aus, die Weine würden „grüner“ und damit belebender schmecken. Bei der Vergärung des Mostes achtet er auf niedrige Temperaturen um die 15 Grad. Die kalte Vergärung soll die Frische zusätzlich forcieren.

Übertreibt man die Kälte, verschwindet allerdings der Rebsortencharakter hinter vorlauten Fruchtaromen („riecht nach Drops“, rief ein Tester). Die Weine werden dann uniformer, und sie verlieren schon nach kurzer Alterung ihren Charme. „Bei der Kaltvergärung wird inzwischen von vielen Winzern wieder zurückgerudert“, beschreibt der Geisenheimer Weinanalytiker Patz die Philosophie im Keller. Dennoch gilt: Sommerweine werden oft etwas kühler vergoren.

Auch die bei der Gärung entstehende Kohlensäure verleiht dem Wein mit ihrer moussierenden Note zusätzliche Spritzigkeit. Viele Winzer versuchen mit einem behutsamen Ausbau, einen Teil dieser Kohlensäure zu erhalten und auf die Flasche zu bringen. Andere geben vor dem Abfüllen künstliche Kohlensäure dazu.

Selbst der Einsatz von Ascorbinsäure (Vitamin C) ist erlaubt. Bis zu 200 Milligramm je Liter Most sollen den Wein stabilisieren und seinen Frischecharakter erhöhen. Sensible Weintrinker glauben, den Vitamin-C-Kick manchmal herauszuschmecken. Weinanalytiker Patz hält das aufgrund der geringen Konzentration für schwer möglich.

Weine aus nördlicheren Anbaugebieten wie Mosel, Nahe oder Saale-Unstrut scheinen aufgrund ihrer natürlichen Frische und den höheren Säurewerten ideale Sommerweine zu sein. Warum aber schmecken Weißweine aus Italien oder Spanien nicht plump und lasch? Dafür sorgt die in der „Weinbauzone C“, also in Südeuropa, erlaubte Säuerung, die bei Rosé- und Weißweinen häufig praktiziert wird. In der EU herrscht seit langem eine Art önologische Arbeitsteilung: Während in den nördlichen Anbaugebieten dem Most vor der Gärung Zucker zugesetzt werden darf – Chaptalisation genannt – haben die Südeuropäer die Möglichkeit, ihre Weine mit Weinsäure und Zitronensäure aufzupeppen. Außerdem bauen sie ihren Wein zunehmend in höheren und deshalb kühleren Lagen an; dazu kommen eine frühere Lese und der Einsatz von Rebsorten, die an das heiße Klima gut angepasst sind und trotz Hitzegraden noch passable Säurewerte liefern.

Für optimalen Genuss ist aber neben dem Produkt auch die Weintemperatur wichtig. Auch Rotweine, wenn man sie denn trinken will, werden jetzt unbedingt gekühlt serviert – nie wärmer als 16 Grad, leichte Rotweine eher mit 14 Grad. Weißweine sollte man direkt aus dem Kühlschrank mit rund sieben Grad ausschenken. Lieber einen Tick zu kalt servieren, die Außentemperatur sorgt ohnehin für rasche Erwärmung.

Wer zum Wein etwas essen will, sollte sich an die leichte Sommerküche halten. Was das genau ist? Einigkeit besteht darin, dass Schweinsbraten mit Knödel und Rotkraut eher zum Graupelschauer passt. „Fette Speisen harmonieren nicht mit Sommerweinen“, sagt Sommelier Kreis und spricht gleich noch ein anderes heikles Thema an: Grillen! Im Sommer wollen Männer bekanntlich Feuer machen. Wer Schweinenacken und T-Bone-Steaks vom Rost zieht, muss sich dringend nach anderen Weinbegleitern umsehen. Spritzige Sommerweine sind mit den Röstaromen blutiger Fleischfetzen in jedem Fall überfordert. Tapas mit Fisch und Gemüse sind die bessere Wahl, auch Ziegenkäse, so Kreis’ Empfehlung, passt.

Und wo bleibt der Kuss des Engels? Zugegeben: Hier hat Nancy Sinatra womöglich etwas viel versprochen. Bei den meisten Weintrinkern stellen sich geflügelte Wesen mit Rauschgoldhaar erst nach der zweiten Flasche ein. Dann ist es höchste Zeit, das Glas beiseite zu stellen. Sogar bei leichten Sommerweinen.

DIE TAGESSPIEGEL-PROBE

Die Idee: sieben weiße Sommerweine unter zehn Euro mit maximal zwölf Prozent Alkohol, von sieben Weinläden ausgewählt. Die Etiketten waren verdeckt, die Weine wurden „blind“ ausgeschenkt. Das Test-Prinzip: Die zuerst leergetrunkene Flasche ist Sieger. Es war – tusch! – der 2007 Riesling QbA trocken vom Pfälzer Weingut Horcher. Der Sieg war äußerst knapp: Der Zweite, ein Sauvignon Blanc vom Weingut Knipser wies einen minimalen „Wasserstand“ auf, eher eine Pfütze. Dritter wurde die spanische Cuvée „Auzells 2007“, die mit ihrem frischen Auftritt weit nördlicher verortet wurde. In der Jury tranken neben dem Autor zwei Berliner Weinhändler, die keinen Wein im Rennen hatten, sowie vier Redakteure und Leser des Tagesspiegels.

1. PLATZ 2007 Riesling QbA trocken Weingut Horcher, Pfalz Der Chef wollte einen Gutedel einreichen, doch nach Protesten der Angestellten kam der Sieger in die Probe – ein sehr konsensfähiger, süffiger Riesling mit überzeugender Frische, Frucht und Säure, belebend und aromatisch. 8,95 Euro – bei Paasburg’s, Wein aus Leidenschaft, Fidicinstr. 3.

2. PLATZ 2007 Sauvignon Blanc QbA trocken, Weingut Knipser, Pfalz. Mit nur elf Prozent ein Leichtgewicht! Eleganz und schöne Säure: lychee- und blütenduftig, etwas Mineral, sehr erfrischend. 9,99 Euro – bei Hess im Willy-Brandt-Haus, Stresemannstr. 28

3. PLATZ 2007 Auzells Weingut Tomas Cusiné, Costers del Segre, Spanien. Cuvée aus neun Rebsorten: erfrischend mit feiner Mineralität, duftet nach grünen Nüssen, etwas Mirabelle. 9,90 Euro – bei Wein & Vinos, Knesebeckstr. 86 und Clayallee 326.

KRÄFTIG 2007 Vielfalter QbA trocken Weingut Stahl, Franken. Stahl ist Spezialist für Sommerwein; dieser hier aus Bacchus und Müller-Thurgau zeigt grünliche Reflexe, kräftige Nase, viel Zitrus, Blüten, leicht süßsaures Geschmacksbild. 6,90 € – bei Weinstein, Lychener Str. 33.

EXOTISCH 2006 Scheurebe QbA trocken Weingut Kastanienhof, Rheinhessen. Ein etwas vorlauter Aromenstrauß mit Pfirsich, Aprikose und exotischen Früchten, erinnert in seinem Charakter ein wenig an Sauvignon Blanc. 9,95 Euro – bei Planet Wein, Mohrenstr. 30.

SPANNEND 1996 Riesling Kabinett Wehlener Sonnenuhr, Weingut Hauth-Kerpen, Mosel. Goldgelb, zwölf Jahre (!) alt, zarte Süße und tolle Frucht. In der Probe chancenlos, zeigte tags darauf zu jungem Weichkäse seine Klasse! 7,95 Euro – bei Vinum, Danckelmannstr. 29.

GÜNSTIG 2007 Vinho Verde Weingut Quinta da Lixa, Portugal. Vinho Verde sind Zechweine. Der preiswerteste Tropfen hat eine dezente Nase, etwas Banane, Zitrus, tat sich schwer gegen aromatische Konkurrenz. 5,50 € – bei Nix- wie-Wein, Kopenhagener Str. 6.

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