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Paul Kingsnorth

© Markus Hesselmann

England: Woran ist der authentische Pub zu erkennen?

In England ist die Kneipe nationales Kulturgut. Seit Jahrhunderten trifft man sich hier auf ein Ale. Diese Tradition ist in Gefahr. Nicht nur Pete Doherty und Amy Winehouse protestieren.

Von Markus Hesselmann

Knallrosa hebt sich die Fassade von der Nachbarschaft ab, weithin sichtbar das Schild mit Rose und Krone. Für Paul Kingsnorth, Globalisierungskritiker und Autor des Buches „Real England“, ist dieser Pub etwas Besonderes.

Ein Pub ist für ihn nicht einfach ein Pub, sondern ein Kulturgut. Eines, das es zu schützen gilt, weil es gefährdet ist. Kingsnorth sitzt im „Rose & Crown“ in Oxford, vor sich auf dem Tisch ein Pint des lokalen Biers „Old Hooky“. Er erzählt von den 27 Pubs, die jede Woche auf der Insel schließen – von augenblicklich 57 500. Und davon, dass es die Kleinen trifft und die auf dem Land. Und dass sich ein authentischer Pub auf den ersten Blick von Kettenpubs Marke „Wetherspoons“ oder „O'Neill’s“ unterscheidet. Von jenen Orten, an denen sich Britanniens Jugend freitagabends die Kante gibt, bis zum Erbrechen. Mit süßlichen Alkopops oder Lager-Bier, das immer gleich schmeckt, egal welche Marke am Zapfhahn steht oder auf der Flasche.

Woran also lässt sich der authentische Pub erkennen? „Die Tische“, sagt Paul Kingsnorth und zeigt auf das Mobiliar. „Kein Tisch sieht hier aus wie der andere.“ In Kettenpubs ist alles Einheitsware, hier aber wird immer mal wieder was ausgewechselt und hinzugestellt. Das Interieur wächst organisch. Genau wie die Dekoration an den Wänden: Das „Rose & Crown“ brilliert mit einem liebenswerten Chaos aus Ansichtskarten, Plakaten und sportlichen Reliquien. Auf der Speisekarte stehen englische Klassiker wie „Fish Pie“ oder „Sausage and Mash“ (Würstchen mit Kartoffelbrei).

Authentisch heißt nicht stereotyp. Es geht auch ohne Cricket und Rugby. An der Wand im „Rose & Crown“ hängen Eishockeyschläger und -trikots des örtlichen Teams. Auch bei den Farben verfällt dieser Pub nicht in Merry-Old-England-Klischees. Auf Weinrot und Britischgrün wird verzichtet. Kingsnorth sitzt vor einer lachsfarbenen Tapete und einem bunten Papageienposter. Die Bierbänke im Hof sind quietschgelb.

Wichtig sind hier auch die Gläser: Nicht die hohen, glatten, nach oben breiter werdenden Pint-Gläser seien typisch englisch, doziert Paul Kingsnorth, sondern die bauchigen mit einem Henkel und eckigem Relief außen herum. Darauf einen tiefen Schluck „Old Hooky“.

Wer auf der Insel zu Gast ist, sollte Lager-Bier meiden – es hat ohnehin mit einem gut gezapften Pils nichts zu tun – und sich aufs Ale einlassen. Für kontinentale Gaumen ist das bitter-süße Bier ein „acquired taste“, ein gewöhnungsbedürftiger Geschmack. Doch die Mühe lohnt sich. Wer ein bisschen übt, stellt bald fest, dass die Klischees vom lauen englischen Bier gar nicht stimmen. Feine Geschmacksunterschiede wollen erarbeitet sein. Belohnt wird die Geduld dann zum Beispiel mit „Old Hookys“ malzig-honigsamtenem Aroma. Zum Glück darf der Ale-Novize etwas länger trainieren, denn echtes englisches Bier macht nicht so schnell betrunken. „Old Hooky“ gilt als starkes Ale, hat aber mit 4,6 Prozent immer noch etwas weniger Alkohol als ein deutsches Pils.

Für Paul Kingsnorth, Jahrgang 1972, steht Ale für das echte England, dessen Verdrängung durch die grassierende Gleichförmigkeit er in „Real England“ beschreibt. Vor der McDonaldisierung der Pubs und Brauereien habe man jede Region des Landes anhand ihres Biers identifizieren können, sagt Kingsnorth. Einen „Wandteppich der Geschmäcker, gewoben aus unserem nationalen Getränk“, nennt er dies lyrisch leicht verquer. Ein Sinnbild regionaler Eigenarten – für Selbstständigkeit, gegen Gleichmacherei.

Doch ganz so selbstständig ist auch das „Rose & Crown“ nicht. Der Oxforder Pub gehört zwar keiner Kette, ist aber abhängig von einer sogenannten Pub Company, einer Art Kneipen-Holding. Die PubCo erleichtert Wirten die Existenzgründung, indem sie vor allem die Räumlichkeiten stellt. Im Gegenzug zahlen die Wirte Miete und verpflichten sich, alle Getränke von der PubCo abzunehmen. Damit liefern sie sich der preislichen Willkür aus und scheitern oft an den steigenden finanziellen Forderungen ihres Konzerns. Am Ende ist es dann oft die einfachste Lösung für alle Beteiligten, die Immobilie an Investoren zu verkaufen und die Pubs abreißen zu lassen, um Läden oder Wohnungen zu bauen. Auch das „Rose & Crown“ ist in Gefahr. Denn die Zeiten sind schlecht: Großbritannien droht eine Rezession, das Geld der Verbraucher ist knapp. Das seit einem Jahr gültige Rauchverbot verschärft die Situation. Viele Briten essen, trinken und rauchen jetzt noch lieber zu Hause, als sie es im Land der häuslichen, gutnachbarschaftlichen Dinnerpartys ohnehin tun.

Investoren machen auch Pauline Forster zu schaffen. Ihre „George Tavern“ im Londoner East End liegt neben alten Bürogebäuden, die Wohnblocks weichen sollen. „Dann kann ich mein Konzept vergessen“, sagt Pauline Forster, die im nächsten Jahr 60 wird. Dieses Konzept ist so einfach wie ambitioniert: „Wir machen kein Essen, wir machen Musik.“ Mit den gentrifizierten Gastropubs – Bier und Cocktails im Erdgeschoss, treppauf gepflegt essen – will sie nichts zu tun haben. Auch wenn das für viele Pubs die Formel zum Überleben ist. Ihre Kneipe, zu der ein Theatersaal und Fotostudios gehören, versteht Pauline Forster sowohl als Anlauf- und Auftrittsort für Musiker, Literaten und Künstler als auch als Treffpunkt für die Community, die hier ganz im Osten des East End noch nicht aus halbhippen Bankern besteht. Sollte das „George“ bald von Balkonen eingerahmt sein, dürfte es mit den lautstarken Konzerten lokaler Bands vorbei sein.

Doch Pauline Forster wehrt sich. Sie hat selbst einen Investitionsplan eingereicht und will die Bürogebäude als Kulturzentrum nutzen. An Geld fehlt es nicht. Der stilvoll-ranzige Altbau des „George“ ist bei Londons Modelabeln für Fotosessions gefragt. Kate Moss hat hier posiert. Über eine Kampagne „Save The George“ erhöht Pauline Forster den Druck auf die Behörden. Stars wie Kate Moss und deren Ex-Freund Pete Doherty tragen entsprechende T-Shirts. Amy Winehouse will im „George“ auftreten – nach der Entziehungskur.

Immerhin hat Pauline Forster keine PubCo am Hals. „Wir sind ein echtes Free House“, sagt sie. Das ist eine Kategorie von Pubs, deren Eigentümer unabhängig wirtschaften. Genauso halten es Jürgen Männel und seine Frau Heike. In Lambeth, nahe dem Südufer der Themse, haben sie vor einem Jahr einen Pub namens „Zeitgeist“ eröffnet. Doch erst einmal hat Jürgen Männel als Börsenmakler Geld verdient, bevor er mit Mitte 30 ins Kneipengeschäft einstieg und sich den Traum vom eigenen Geschäft erfüllte. Mit Erfolg. In seiner Nische schreibt dieser Pub schwarze Zahlen.

Das „Zeitgeist“ bietet Deutsches, aber ohne Folklore. Die Community – 60 000 Deutsche leben in London – trifft hier die Nachbarschaft aus dem Kiez. Das „Zeitgeist“ ist der Gegenentwurf zum Dirndl- Disneyland des „Bavarian Beerhouse“ in Islington, wo es sich japanische und amerikanische Touristen in Bierzeltatmosphäre gut gehen lassen. Im „Zeitgeist“ ist das Kuhfell auf dem Boden eher eine ironische Reminiszenz. Auf den ersten Blick unterscheidet sich diese deutsche Kneipe nicht von englischen Pubs. Das ändert sich an der Theke: 13 deutsche Biersorten vom Fass, von Flensburger über Gaffel Kölsch bis zu Weihenstephan Dunkel. Dazu Unmengen Marken in Flaschen. Eine der Spezialitäten auf der Speisekarte sind die Nürnberger Bratwürste mit Sauerkraut. Und einem cremigen Kartoffelpüree, das selbst den Mash-Experten von der Insel noch etwas vormacht.

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