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Stephan Hentschel

© Kai-Uwe Heinrich

Essbare Blüten: Ein schöner Blumenschmaus

Die Dahlie ist fruchtig-süß, die Eisbegonie sauer, Korianderblüten passen gut zu Karottensalat. Was normalerweise als Zierde in Vasen steht, bringen kreative Köche auf den Teller.

Sattgrünes Petersilienöl tropft auf Porzellan. Zwei Hände zeichnen zarte Muster aus Paprikapüree, Pilzsugo, Sesam und Olivenjus darum, eine aromatische Abstraktion in Ocker, Gelb, Rot und Creme. Sie geben Gemüsehäppchen, Sprossen und Blätter hinzu und streuen schließlich das Finish über ihr Werk: frische Blüten.

Seit über 30 Jahren richtet Meisterkoch Michel Bras dieses „Gargouillou“ schon an, seine berühmte Erfindung aus bis zu 80 Blumen, Kräutern und Gemüsesorten. Es soll die blühenden Felder der Region symbolisieren und wurde zum Markenzeichen seines Restaurants „Bras“ im Aubrac in der Auvergne, das ihm drei Michelin-Sterne einbrachte.

Der Dokumentarfilm „Entre les bras“ von Paul Lacoste, zurzeit noch im Kino zu sehen, begleitet Michel Bras und seinen Sohn und Nachfolger Sébastien für ein Jahr; die Zubereitung des „Gargouillou“ ist die Eingangsszene. Der Film ist eine Hommage an die regional inspirierte Kochkunst – und an die Blütenküche.

Denn pastellfarbene Rosen, blauer Borretsch, orange leuchtende Kapuzinerkresse, rosa Kaplilien und zahlreiche weitere Blumen, die der Garten und die Ländereien rund um das Restaurant hervorbringen, sind die Seele des „Gargouillou“. Jede Blüte hat dort ihren Platz, arrangiert mit einer Beiläufigkeit, deren Vollendung darin besteht, ihr den betriebenen Aufwand nicht anzusehen.

Die Verwendung essbarer Blüten ist kein Auswuchs der Sterneküche, sondern mehrere tausend Jahre alt. Die Römer aromatisierten ihren Wein mit Rosen und stellten Blütenkonfekt her, um die Blumen im Zuckermantel zu konservieren. Malven galten in der Antike als das Gemüse der armen Leute, und in der asiatischen Küche werden seit jeher Ringelblumen und Chrysanthemen verspeist. Kaiserin Sisi knabberte kandierte Veilchen, und Sonnenkönig Ludwig XIV. schenkte seinen Mätressen in Ambra getränkten Lavendel zum lasziven Verzehr.

Überhaupt, die Blumen und die Könige: Im Europa des 16. und 17. Jahrhunderts erfuhren Blüten unter den Tudors und Stuarts ihren Aufstieg. In den Schlossküchen wurden sie gleich pfundweise eingeweckt, mit Gummi arabicum und Zucker präpariert, in duftenden Sträußen an der Feuerstelle getrocknet, zu Likören und Weinen verarbeitet, mit Rohkost, herzhaften Gerichten und Süßspeisen gereicht. „Man zerstoße“, hielt um 1723 etwa John Nott, Koch des Duke of Bolton, fest, „Schlüsselblumen, Gewürznelken, Nelken, Rosenpetalen und Spinat, jeweils eine Hand voll, nehme eine Scheibe Weißbrot und koche es mit Sahne auf. (...) Nach dem Kochen gieße man Rosenwasser darüber, schabe Zucker darauf und serviere es.“ Mächtige Salatbouquets mit Kissenprimeln, Duftpelargonien und Rosen bildeten Höhepunkte höfischer Festessen, im Sommer frisch und im Winter eingelegt, getrocknet oder kandiert. Doch gegen Ende des 19. Jahrhunderts kam in Europa dann nicht nur manche Monarchie, sondern auch die Blütenkost aus der Mode.

Heute werden Blumen meist nur noch aus Versehen konsumiert, zumindest in der deutschen Alltagsküche. Wer weiß schon, dass Kapern die Knospen eines dornigen Strauches sind und Artischocken die Blütenstände mannshoher Disteln? Zwar finden sich Rosenextrakte in Marzipan und Baklava, Orangenblüten in der Konfitüre, Veilchen in der Feinkostschokolade und Kornblumen im Bio-Tee. Bis auf wenige Ausnahmen jedoch, wie die wieder in die Mode gekommenen Hollerküchlein oder die Kapuzinerkresse der Hobbygärtner, werden Blumen kaum einmal zu Hause zubereitet.

In der Gastronomie hingegen erleben sie nicht nur bei Michel Bras eine Renaissance. „Blüten sorgen für den Aha-Effekt auf dem Teller und passen hervorragend zu vielen Gerichten“, sagt Stephan Hentschel, Chefkoch im vegetarischen Restaurant „Cookies Cream“ in Mitte. „Ich streue im Frühling gern Gänseblümchenblätter über den Salat, verziere Speisen mit den säuerlichen Borretschblüten oder aromatisiere Soßen mit Lavendel.“ Auch Hornveilchen, Löwenzahn, Kapuzinerkresse oder das mineralisch schmeckende Eiskraut verarbeite er häufig. „Das sind eher Deko-Blüten. Sie setzen nur leichte Akzente, sind keine Geschmackstreiber.“ Meist verwendet Hentschel lediglich die Blütenblätter, die er vorsichtig auszupft und erst kurz vor dem Servieren auf die Speisen gibt. „Essig und Öl machen sie sonst gläsern und kaputt.“

Geliefert werden die Blumen von zwei Bauern aus dem Umland. „Meine Mutter ist Floristin, und meine Großeltern hatten einen Bauernhof. Deshalb kenne ich mich recht gut mit Pflanzen aus“, sagt Hentschel. Auf dem Dach des Restaurants zieht er Kräuter und hat sich im Selbstversuch durch ihre Knospen probiert. Besonders begeistert ist er von den Korianderblüten. Die würden perfekt zu einem Karottensalat mit Pekannüssen und Orangendressing passen. „Ein unerwartetes Erlebnis: Koriander kennt man ja nur als grüne Blätter und ist dann richtig erstaunt, den Geschmack in einer Blume wieder zu finden.“ Schön sei es auch, über einen Kartoffelsalat statt Schnittlauch einfach dessen Blüten zu streuen. „Der Geschmack ist derselbe, aber es überrascht und sieht besser aus.“

Gutes Aussehen war wohl auch einer der Gründe, der die eintönig grüne Pflanzenwelt des Oberjura vor 160 Millionen Jahren dazu brachte, erste Blütenblätter zu treiben. Mit Duft und Farbe lockten sie bestäubende Insekten an, die das Erbgut der Blumen weitertrugen und so zur explosionsartigen Vermehrung der Blütenpflanzen führten. Inzwischen gibt es rund 226 000 bekannte Arten. Viele – allein in Europa angeblich über 1500 Spezies – können gefahrlos gegessen werden.

Man sollte sich dennoch gründlich informieren, bevor es ans Pflücken geht, um nicht auf giftige Doppelgänger hereinzufallen. Die Taglilie etwa ist ein Genuss, die Belladonnalilie tödlich; beide sind sich zum Verwechseln ähnlich. Das Duftveilchen ist so harmlos, wie es aussieht, das Usambara-Veilchen ziemlich unbekömmlich. Auch Eiben, Fingerhut, Eisenhut, Maiglöckchen, Goldregen, Stechapfel und viele andere Gewächse sollte man dringend stehen lassen. Einige essbare Arten wie die Schlüsselblume stehen zudem unter Naturschutz.

Doch auch das Blumengeschäft bietet oft keine Lösung. Zwar findet man dort viele essbare Blumen, fast immer aber wurden sie mit Kunstdünger gezogen und mit Pestiziden gespritzt.

Das sei bei ihr nicht der Fall, versichert Heike Hörner. In der Gärtnerei Marten in Reinickendorf baut sie essbare Blumen in Bioqualität an, aus eigenem Saatgut. „Da weiß ich sicher, dass keine Schadstoffe in oder an meine Blüten gelangen“, sagt sie. „Wildblumen wären nichts für mich. Ich würde mich ständig fragen, wie der Feinstaubgehalt ist.“ Es sei, erklärt Hörner, eigentlich kein Problem, essbare Blumen auf dem Balkon oder Fensterbrett zu ziehen. Man solle aber ungebeiztes Saatgut und Bio-Setzlinge kaufen, sowie Blumenerde ohne Kunstdünger.

Besonders geeignet für den Hausgebrauch findet Hörner die Eisbegonie. „Sie schmeckt angenehm sauer und passt in den Salat, auf den Pudding oder zu Erdbeeren.“ Auch Margeriten, Fuchsien, Kapuzinerkresse und die fruchtig-süße Dahlie seien pflegeleicht und vielseitig. Die Tagetes, „Studentenblume“ genannt und ebenfalls unkompliziert, schmecke bitter und gehöre als Kontrast in süße Desserts. Reife Blüten erntet Hörner morgens, wenn sie noch frisch sind. Zu Hause reiche es, sie kurz vor der Zubereitung zu schneiden. Waschen müsse man sie nur, wenn sie verschmutzt sein könnten, sonst nicht.

„Anschließend werden der Stängel und der bittere Kelch entfernt, das ist der grüne Knubbel am Blütenansatz“, sagt Hörner. „Da man auf die Pollen allergisch reagieren kann, sollte man auch Stempel und Staubgefäße herauslösen und nur die Blütenblätter verarbeiten.“ Die meisten essbaren Pflanzen seien gut verträglich.

Die Sommersaison ist nun fast vorüber, nicht nur im Gewächshaus übernehmen die Herbstblüten: Astern, Kürbis, Chrysanthemen, letzte Sonnenblumen. Am längsten hält die Eisbegonie durch, bis zum Frost, wie ihr Name vermuten lässt.

An Blütenkochbüchern mangelt es nicht, zum Glück. Und so bleiben bis zum Frühjahr immerhin noch diverse Blütengelees, duftende Blumenbrote, kandierte Veilchen, getrocknete Rosenknospen und vieles mehr, um ein Stück Sommerwiese in die eigene Küche zu holen – ganz in der Tradition des „Gargouillou“.

„Nicht gucken. Essen ist zum Essen da“, rügt Sébastien im Film einmal amüsiert seinen Vater. „Das mag sein“, antwortet Michel Bras. „Aber erst mal isst das Auge.“

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