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Essen & Trinken: Der Topfschlager

Spreewaldgurken, Speck und saure Sahne: Wo auch immer er platziert wurde, auf Soljanka konnte der DDR-Bürger zählen. Die Suppe, einst ostdeutsche Spezialität, erfährt jetzt eine Renaissance: als Fastfood im Westen. Ein Resteessen.

Am Ende, als die DDR fast schon nicht mehr existierte, weil immer mehr ihrer Bürger einfach türmten und die anderen auf die Straße gingen, bekam der Staatsname im Volksmund eine neue Bedeutung: DDR – Der Dumme Rest. Übertragen auf die Speise, die täglich vom Volksmund verzehrt wurde, war dieser Name ebenfalls ganz zutreffend. Denn auch die Soljanka, der Ostdeutschen Lieblingssuppe, war nicht viel mehr als ein dummer Rest. Immerhin ein bekömmlicher.

Ortstermin in einem Café in Berlin. Die Sitzecken sind mit dunklem Holz vertäfelt, Messinglampen spenden gedämpftes Licht, in den Spiegeln an den Wänden kann man Damen beim Verbringen eines Dienstagnachmittags zusehen. Sie tragen Hüte und studieren bedächtig die eingeschlagene Speisekarte, die „kleine Sünden für Zwischendurch“ anbietet. Oder lieber gleich „Schlemmen wie der Kaiser von Wien“?

Wir sind in Grunewald, einem Berliner Stadtteil, den es für DDR-Bürger gar nicht gab und der noch heute ziemlich weit entfernt vom Osten der Stadt und Osten der Welt liegt. Auf der Tageskarte steht Soljanka.

Die Suppe kommt vom Land. „Selo“ heißt auf Russisch Dorf, und die „Seljanka“ war schon im 18. Jahrhundert ein Sammelbegriff für allerlei verschiedene Eintöpfe, die in der russischen und ukrainischen Provinz angerichtet wurden. Meist auf der Grundlage von frischem Fisch, fast immer angesetzt mit Zwiebeln und Gurken. Die anderen restlichen Zutaten variierten. In der grusinischen Suppe dominierte Weißkraut, angereichert mit Knoblauch. Regional entwickelten sich außerdem Eintöpfe auf der Basis von Pilzen oder von verschiedenen Gemüsesorten. Die verstärkte Verwendung des Salzes („Sol“) gab der Suppe vom Land schließlich einen neuen Geschmack – und einen veränderten Namen.

In der DDR war in ausnahmslos jeder Speisegaststätte und jedem Klubhaus eine Soljanka zu haben. Denn ihre Zubereitung war schnell und einfach zugleich – gerade richtig für die chronisch überlaufenen Lokale („Sie werden platziert“). In den Suppentopf kamen ausschließlich Zutaten, die es fast immer und überall zu kaufen gab. Das waren: Speck, Zwiebeln und Schinken (wenn der nicht vorrätig war, dann Salami) sowie Spreewälder Gewürzgurken. All das wurde nacheinander in Scheiben geschnitten und kräftig angebraten, hinzu kam noch das Gurkenwasser aus dem Spreewald-Glas und etwas Tomatenmark. Rosenpaprika-Pulver für die milde Schärfe reingemischt – fertig. Eine geschälte Zitronenscheibe und ein Löffel saurer Sahne obendrauf – perfekt. Die Reste haben sich schön gemacht.

Schnell und einfach. Das ist das Geheimnis der Soljanka. Noch heute ist sie überall zu bekommen, wo der Osten zu Hause ist. Ob beim Straßenfest im Erzgebirge oder in der Dorfkneipe in Mecklenburg – eine rote, fein würzige Sowjetsuppe made in GDR (natürlich mit zwei Scheiben Toast) wird von der Stammkundschaft genauso erwartet wie ein Ragout fin (natürlich mit Worcestersauce). Aber warum wird Soljanka plötzlich in Nürnberg angeboten oder in Braunschweig? Das hat einen ganz einfachen, wenn auch zunächst überraschend anmutenden Grund: McDonald’s.

„Unsere Testphase läuft zunächst bis Ende des Jahres“, sagt eine McDonald’s- Sprecherin am Telefon. „Wir wollen unser Angebot erweitern und die Kunden überraschen.“ Die ob ihres Billigimages besorgte Burgerbraterei baut in diesen Monaten ihr Angebot um: Nach Kaffee und Kuchen sollen auch Suppen und Bionade eingeführt werden. In 25 Filialen – alle im Westen Deutschlands – will McDonald’s jetzt die erste Soljanka-Versuchsreihe starten. Und beim genauen Abschmecken dieser Idee muss man zugeben: Soljanka passt zum Burger. Schnell und einfach.

Zurück in Grunewald: Aus der Suppenterrine im Damencafé steigt der säuerliche Duft einer im Eintopf liegenden Zitrone. Der Schuss saure Sahne verschwimmt in der dunkelroten Suppe und gibt ihr eine mildere Farbe. Auf dem ersten Löffel liegen Fleischstreifen, deren Herkunft nicht genau auszumachen ist. Alles wie gehabt also. Und ja, es schmeckt fast made in GDR: mit einer milden Schärfe, die erst beim Schlucken die Zunge erreicht. Nur – die Schärfe erscheint irgendwie etwas zu milde. Woran das wohl liegt? An einer getrübten Erinnerung?

Michael Jahn zuckt mit den Schultern. Der Koch, ein freundlicher Mann mit einem frisierten Oberlippenbart, geht nach dieser Frage noch einmal zurück in die Küche des „Café Wiener am Hagenplatz“. Jahn schaut nach, welche Gurkensorte er verwendet hat: ein Glas Kühnle von Metro. Die Spreewaldgurken wären wohl etwas würziger gewesen, „aber die haben wir gerade nicht da“. Als Grundlage hat er verwendet: Kochschinken und Kassler. So fein ging es in der DDR dann doch nicht zu.

Michael Jahn kann darüber nur lachen, er scheint die Verfeinerung einer russischen Landsuppe nicht als Verlust zu betrachten, sondern als Gewinn. Der 41-Jährige hat sein Handwerk in der Klubgaststätte Tutow, einem kleinen Ort bei Demmin, gelernt: „Da wurde jeden zweiten Tag Soljanka gemacht – für die Schulspeisung und à la carte.“ Der Soljanka-Koch vom Grunewald wohnt heute in Berlin-Schöneweide. Jeden Morgen überwindet er mit der S-Bahn die früheren Grenzen des Geschmacks.

Im Grunde hat sich die Soljanka nicht verändert. Wie früher in der russischen und ukrainischen Provinz lebt sie in tausenden Variationen fort – inzwischen auch vegetarisch. In einer Gemüsesoljanka wird der süße Geschmack von Möhren mit Kapern kombiniert, bei einer Pilzsoljanka mischen sich Pfifferlinge mit Weißkraut. Wer durch Ostdeutschland reist, trifft fast ausnahmslos auf Fleischvarianten mit angeblich regionalem Einschlag – die nennen sich dann märkische Soljanka, Thüringer Soljanka oder Harzer Soljanka. Nur einige Dinge sind überall gleich: Sämtliche Wurst- und Fleischreste (auch die, von denen man nicht weiß, um welche es sich genau handeln mag) sind keinesfalls in Würfel geschnitten, sondern immer in Scheiben – fachmännisch „Julienne“ genannt. Und mit den Fettaugen vermischt sich stets ein weißer Klecks Sauerrahm. Der Rest ist DDR-typisch, also improvisiert.

Ob McDonald’s diese Mischung hinbekommt? Und ob sich eine halbsaure Suppe wirklich mit Pommes und Cola verträgt? Darüber lassen sich bislang nur Mutmaßungen anstellen. Und Annäherungsversuche.

Ein Besuch in Magdeburg. In einem Bistro mit Blick auf einige stalinistische Neubaublocks – in Magdeburg keine Seltenheit – bestelle ich eine Soljanka und dazu eine Cola. Es geht schnell, die Suppe wird zeitgleich mit dem Getränk serviert. Auf dem Unterteller liegen zwei Scheiben Toast (im Grunewald gab es frisches Weißbrot zur veredelten Soljanka, aber das nur nebenbei), im Teller schwimmen Stückchen von Spreewaldgurken. Die Suppe schmeckt genauso herzhaft und mild würzig, wie sie früher geschmeckt hat. Wenn ich mich recht erinnere.

Nach einem Schluck aus dem Colaglas ist dieses Gefühl allerdings dahin. Der Zuckergeschmack bleibt im Mund hängen. Bloß gut, dass McDonald’s bald auch Bionade einführen will, denke ich, und bezahle. Die Soljanka macht 3,40 Euro, fast so wenig wie die Cola. Im Glas und im Teller bleiben zwei Zitronenscheiben zurück.

Eine Soljanka ist eine leichte Sache: Sie geht schnell, sie ist einfach, sie kostet nicht viel. Das Schwere an ihr ist eher, sie zu genießen. Denn in der roten Sowjetsuppe steckt für viele Ostdeutsche die Frage, wie sehr ein Essen noch nach dem schmecken kann, was man von früher zu kennen glaubt. Und manche Westdeutsche (oder ehemalige West-Berliner) suchen in ihr vielleicht eine Spur zu jenen Unterschieden, die sich so schwer benennen lassen, aber die man manchmal noch zu spüren meint.

Der Dumme Rest ist als Staat verschwunden, als Suppe nicht. Die Soljanka hat den Umbruch gut überstanden. Das könnte daran liegen, dass vielen die Erinnerung noch auf der Zunge liegt.

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