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Essen und Trinken: Edel, zickig und rot

Der Spätburgunder ist der Klassiker unter den Rotweinen –und wenn zur Weihnachtszeit Wild serviert wird, schlägt seine große Stunde.

Wenn es um seine Lieblingsrebe geht, schreckt der badisch-niederländische Weinmacher Jacob Duijn auch vor einer guten Portion Pathos nicht zurück: „Spätburgunder – das ist mein Leben!“ Aber der Satz ist mehr als nur Marketinggebrabbel. Duijn, der früher als Sommelier unter anderem bei Kochlegende Eckart Witzigmann den Keller hütete und später als Weinhändler sein Geld verdiente, hat seit 1994 im Bühlertal bei Baden-Baden ein Weingut aufgebaut und sich langsam zu einem der führenden Spätburgunder-Produzenten hochgearbeitet. Die Leidenschaft des Quereinsteigers ist also echt und direkt mit seiner beruflichen Existenz verknüpft. Dass er sich ausgerechnet und ausschließlich mit Spätburgunder seinen Lebenstraum als Winzer erfüllt, hat mit dem speziellen Charme dieses Herzensbrechers zu tun. Das Bekenntnis „Dornfelder – das ist mein Leben“ wäre ebenso undenkbar wie die Verbindung eines Lebensentwurfs mit, sagen wir mal: Trollinger oder Müller-Thurgau. Spätburgunder oder Pinot Noir, so der Name des französischen Originals, hat durchaus eine obsessive Seite. Er ist die nobelste und feinste Rebsorte im internationalen Sortenspiegel – eine uralte klassische rote Traube, die 884 von Kaiser Karl III. als „Clävner“ in deutsche Lande eingeführt wurde. Der kalifornische Weinmacher David Graves sagt es so: „Einem Cabernet kann man in den Bauch treten, er grunzt kurz und ist wieder da. Ein Pinot verzeiht keinen Fehler, er macht es dir so schwer wie möglich.“ Ganzen Winzergenerationen hat er Stoßseufzer entrungen, wenn sie an dunklen Wintertagen die Macken des dünnhäutigen, schwierigen, launischen, zickigen, frost-, krankheits- und fäulnisanfälligen Pinot beklagen, den sie gleichzeitig lieben wie keinen anderen Roten. Mit 12 000 Hektar Fläche ist Spätburgunder die mit Abstand wichtigste deutsche Rotweintraube. Regelmäßig wird sie mit einer kapriziösen Diva verglichen, gelegentlich mit einem wilden Tier. Duijn: „Du vertraust ihm und schon wirst Du gekratzt!“ Neben solch hinterhältigen Charakterschwächen beansprucht der Spätburgunder auch noch die schönsten, möglichst kalkhaltigen Südlagen für sich; er reagiert mit patzigen Qualitätseinbußen auf jede Ertragsanhebung und er macht gerne schlapp, wenn sibirische Luftmassen in die Rebhügel vordringen. Im Keller reagiert der Pinot auf allzu großzügigen Luftkontakt (Oxidation) ebenso anfällig wie auf übereifrige Winzer, die ständig an ihm rumfummeln. „Der Pinot braucht viel, viel Geduld“, sagt Jacob Duijn. Er sagt es, als rede er über ein schreiendes Kind mit multiplen Allergien. Der Pinot braucht ein kühles bis laues Klima. In heißen mediterranen Anbauzonen werden die Weine breit und unharmonisch, sie verlieren ihre Finesse. In Deutschland sind die Temperaturen durch die gerade im Weinbau spürbare Klimaveränderung optimal für die Rebsorte. Vor allem die leicht zu merkenden, ungeraden Jahrgänge 1999, 2001, 2003, 2005, 2007 und 2009 brachten an Rhein, Main und Neckar immer bessere, teilweise großartige Weine hervor, wie man sie in Deutschland bis dato nicht kannte. Lange waren Spätburgunder hierzulande hellrot transparente Weinchen, weitgehend gerbstofffrei und mit braver Mandelnote. Vorbei: Seit den 90er Jahren gibt es im deutschen Weinbau, auch in der Schweiz und in Österreich, große Spätburgunder, die in den besten Jahren Weltklasse-Format haben. Aber selbst ein großer Pinot besticht nicht mit Wucht und Opulenz, sondern eher mit betörendem Duft, mit Feinheit und Raffinesse. Er hat eine deutlich spürbare Säure, die ihn über viele Jahre frisch und elegant wirken lässt. Seit jeher spaltet dieser Wein die Freunde des vergorenen Traubensafts in zwei unversöhnliche Lager. Die Spezies der „Granaten-Trinker“, die mit schweren Weinen und der schieren Kraft ihrer eichenholzgesättigten Wuchtbrummen Eindruck schinden, machen um Pinots einen weiten Bogen. Hinzu kommt: Das Risiko, enttäuscht zu werden, ist bei dieser Rebsorte sehr viel größer. Selbst mit sündteuren Abfüllungen bester Lagen aus dem Burgund kann man böse auf die Nase fallen. In feuchten Jahren verbreiten sich Schimmel und Fäulnis wie eine Sommergrippe. Die Jahrgangsunterschiede sind entsprechend groß. Und die Rebsorte verlangt Sensibilität und Erfahrung. Der Qualitätssprung in Deutschland liegt denn auch nicht allein am Klima, selbst wenn die Zunahme der Sonnenstunden und die höheren Temperaturen erst die Voraussetzung für Spitzenweine geschaffen haben. Aber die Winzer haben im Zuge der Globalisierung durch internationale Einflüsse und durch eigene Erfahrungen viel dazugelernt. „Mit trial and error“, sagt Volker Knipser vom gleichnamigen Pfälzer Top-Erzeuger, habe man sich langsam ans „optimale Handling“ rangepirscht. Das lange vernachlässigte Alter der Rebstöcke wird immer wichtiger, weil gerade ältere Weinberge tiefgründigere Gewächse liefern. Die Ausbautechnik im Keller wurde verfeinert, der Kuss des Eichenholzes besser dosiert. Die Erträge sind bei ambitionierten Winzern nochmals deutlich reduziert worden. Bei Mengen von 60 bis 80 Hektoliter je Hektar lassen sich mit Riesling und Weißburgunder noch schöne Weine machen. Beim Spätburgunder beginnt bei 45 Hektoliter langsam die Musik zu spielen, sagt Duijn. Wirklich große Weine erforderten eine weitere Ertragsreduzierung auf 35 oder sogar 25 Hektoliter. Solche Weine können nicht billig sein. Im Burgund, seit Generationen das große Vorbild, werden für die bekanntesten Grand Crus schon mal dreistellige Tarife bezahlt. Inzwischen erzielen auch einige deutsche Spätburgunder Preise jenseits der 50 Euro-Grenze. Doch es gibt immer noch exzellente Tropfen für 15 oder 20 Euro. Der inzwischen ausverkaufte Siegerwein beim Deutschen Rotweinpreis in der Königsklasse Spätburgunder vom Pfälzer Weingut Krebs in Freinsheim stand für unschlagbare 15 Euro in der Preisliste. Die einfacheren Gutsweine der besten heimischen Produzenten kosten als Einstiegsdroge oft nur um die zehn Euro. Viele deutsche Spätburgunder tragen inzwischen die Bezeichnung „Pinot noir“ auf dem Etikett. Das ist nicht nur der Unart geschuldet, internationale Weinbegriffe zu kopieren. Immer mehr Winzer haben französische Klone gepflanzt. Spätburgunder ist eine mutationsfreudige Rebsorte, die eine Vielzahl eigener Klone – Unterarten – hervorgebracht hat. Allein im Burgund sind mehr als 50 Klone zugelassen, die in Sachen Ertrag, Beerengröße, Aromenspektrum, Mineralität oder Fäulnisanfälligkeit mehr oder weniger voneinander abweichen. Lange hatte in Deutschland der ertragreiche, großbeerige Mariafelder Klon dominiert. Inzwischen bevorzugen immer mehr Winzer kleinbeerige Klone aus der Bourgogne. Die liefern feinere Aromen, sind aber anfälliger für Fäulnis. Die Gebrüder Knipser schwören auf biologische Vielfalt, sie haben unterschiedliche Klone im Anbau. Mal liefern die Franzosen, manchmal aber auch die alten deutschen Klone die bessere Qualität. Und die Züchtung geht weiter: Kleine Beeren und eine lockere, gut durchlüftete und weniger fäulnisanfällige Traubenstruktur sind das Ziel. Die Mutationsfreude des Spätburgunders hat auch dazu geführt, dass er eine große Verwandtschaft hat: Unter anderem sind Weiß- und Grauburgunder, aber auch der Schwarzriesling aus dem Pinot hervorgegangen. So groß wie die Verwandtschaft ist sein Einsatzgebiet. Er liefert nicht nur filigrane Rotweine, er ist – weiß gekeltert oder als Rosé – auch die wichtigste Rebsorte der Champagne, noch vor dem Chardonnay. An der weihnachtlichen Tafel verbindet sich der Spätburgunder bestens mit edlem Geflügel wie Fasan oder Taube und mit Wildspezialitäten. Beim Klassiker Coq au vin (Gockel mit Speck und Pilzen) geht eine Flasche ins Töpfchen, die zweite wird getrunken. Auch der Steinpilz flirtet gern mit Pinot-Aromen. Bleibt am Ende die fast unlösbare Aufgabe, den wunderbaren Duft eines großen Pinots zu beschreiben. Zunächst: Der Wein muss einige Jahre gealtert sein, um sein maximales Ausdruckspotenzial zu entwickeln. Dann zeigt er jenen lasziven, manchmal auch leicht morbiden Duft, der nicht nur banal an rote Früchte, sondern auch an Waldboden, Leder und Wild erinnert, an Moschus, Trüffel und Zedernholz. „Man muss dem Wein genau zuhören“, sagt Volker Knipser, „er hat viel zu erzählen!“ Der Stuttgarter Sommelier und Weinhändler Bernd Kreis beschreibt das so: „Die Düfte eines reifen Pinots konkurrieren mit den Arrangements der größten Parfumkreationen, sie sind fein und fragil. Und sie haben immer etwas mit Erotik zu tun.“

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