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© Illustration: Andree Volkmann

Essen und Trinken: Essen für Bargeld

Blixa Bargeld ist der Sänger der Einstürzenden Neubauten. Wenn er mit seiner Band durch Europa tourt, geht er gern gut essen. Hier verrät er, in welchen Restaurants es ihm gefallen hat.

Cracco, Mailand

Carlo Cracco war schon ein berühmter Koch, bevor er nach Mailand kam und sein Restaurant in der Via Victor Hugo eröffnete. Zuerst betrieb er es gemeinsam mit einem Feinkostladen um die Ecke, dem Peck, also hießen sie „Cracco Peck“, inzwischen macht es Cracco alleine. Der Grund für die Trennung war wohl, dass er sehr außergewöhnlich, sehr avantgardistisch kocht. Der Mann ist hoch intelligent und mag ungewöhnliche Experimente. Ich hatte Spaghetti mit Seeigel und Kaffee. Eine von Craccos Erfindungen. Hört sich komisch an, ist es aber nicht. Mir saß ein koreanischer Foodblogger gegenüber, er hat Fotos gemacht und ins Netz gestellt. Falls es jemanden interessiert: http://blog.empas.com/elenic/read.html?a=9684175 .
 
Tantris, München
Ein kulinarischer Sakralbunker, von einem Bauunternehmer in den frühen 70ern zu seinem persönlichen Vergnügen errichtet. Architektur und Innenausstattung sind so klassisch 70er, man sollte das Restaurant unter Denkmalschutz stellen. Die gesamten Wände sind mit orangefarbenem Teppichboden überzogen, das sieht eigenartig aus, aber mir gefällt’s. Das Tantris liegt in der Johann-Fichte-Straße, vor meinem letzten Besuch hatte man es wohl gerade frisch renoviert, das Orange strahlte nur so. In dem Restaurant arbeitet eine hervorragende Sommelière: Paula Bosch. Selbst die Weine zum einfachen Lunch sind großartig ausgewählt. Wenn ich ans Tantris denke, denke ich an Paula Bosch.

Yamazato, Amsterdam
In Deutschland gibt es ja keine nennenswerte japanische Minderheit, deshalb haben wir hier leider auch keine großartigen japanischen Restaurants. Oft gibt es nicht mal richtig guten frischen Fisch. In Amsterdam ist das anders: Das Yamazato ist wahrscheinlich einer der besten Japaner Europas, es liegt in der Ferdinand Bolstraat 333. Ich hatte ein Kaiseki-Menü, das ist die traditionelle japanische Speisefolge. Also nicht Sushi oder irgendsowas, das zeichnet ein gehobenes japanisches Restaurant doch schon mal aus. Im Yamazato kann man auch hervorragend Sake trinken. In Deutschland gibt’s ja keinen Sake, bloß billige, heiße Reisweingetränke. So etwas trinkt man nur heiß, wenn es nicht besonders gut ist. Übrigens ist es mit der mexikanischen Küche sehr ähnlich: In Deutschland leben kaum Mexikaner, also kann man in Deutschland nicht mexikanisch essen gehen. Wer was anderes behauptet, hat ’ne Macke.

Resource, Brüssel
Ich saß am frühen Nachmittag im Hotel vor dem Laptop und suchte, was überhaupt noch offen hat. Da gab es dieses „Slow Food“-Restaurant namens „Resource“ in der Rue du Midi. Slow Food ist ja eine politische Bewegung, entstanden aus dem Protest gegen die Eröffnung einer McDonald’s-Filiale in Rom. Die setzen sich für die Erhaltung traditioneller Zubereitungsweisen, für vergessene Getreide- und Gemüsesorten ein. Klang jedenfalls interessant, also bin ich schnell mit dem Taxi hin. Ich war enttäuscht. Das einzig slowfoodmäßige im Resource waren die Bioweine. Und ich musste denen erst beweisen, dass ihre Uhr falsch ging, dass es nicht zwei, sondern zehn vor zwei war. Und dass damit bitteschön noch Lunchzeit war.

Bagatelle, Oslo
Das wahrscheinlich erste Restaurant mit Michelin-Sternen, in dem ich je war, Mitte der 80er muss das gewesen sein. Seitdem hat sich nicht viel geändert in der Bygdøy Alle 3: Das Bagatelle ist ein klassisch eingesessenes Restaurant, wo die Geschäftsleute, Spesenritter und Wichtigesser hingehen. Das Essen ist gut und französisch, das Schlimmste sind in der Regel die anderen Gäste. In solchen Restaurants speisen halt Menschen, mit denen ich unter anderen Umständen nicht reden würde. Das tue ich dort ja auch nicht, also ist es okay. Zu den Michelin-Restaurants fällt mir noch ein: Ich denke, dass manche die Folgen der Wirtschaftskrise noch ganz deutlich spüren werden. Denn die meisten Menschen, die in solchen Etablissements speisen, tun das ja, weil sie nicht selbst bezahlen müssen. In dem Moment, in dem sie selber zahlen sollen, sind sie weg.

Noma, Kopenhagen
Seit so vielen Jahren komme ich auf jeder Tour in Kopenhagen vorbei, aber nie aß ich in einem Restaurant, über das sich hinterher zu reden lohnte. Bis ich das „Nordatlantisk Mad“ entdeckte, kurz Noma. Adresse: Strandgade 93. Der Koch Rene Redzepi verarbeitet nur Lebensmittel aus nordatlantischen Ländern. Und ist sehr erfinderisch. Für ein Gericht hatte er zwölf verschiedene Zwiebelpflanzen miteinander kombiniert. Eine davon schmeckte nach Bärlauch. Der Kellner nannte es Ramps, kam extra mit einem Taschenlexikon und überzeugte mich, dass es eine Zwiebel ist. Das beeindruckt mich sehr, wenn jemand zwölf Zwiebelpflanzen kombiniert – viel mehr, als wenn sich einer hinstellt und sagt: „Heute gibt’s Hummer und Kaviar.“ Nächsten Sonnabend trete ich wieder in Kopenhagen auf. Da werde ich sicher bei Rene Redzepi speisen.

Chez Dominique, Helsinki
Ein Restaurant, das so heißt und mehrere Sterne hat – da hätte ich altertümliche französische Küche erwartet. Aber es war ganz anders. Richtig gut sogar. Mit modern gestalteten Räumen. Das Chez Dominique hat die Adresse Rikhardinkatu 4. Es gab marinierten Schellfisch, Hummer mit Tomaten. Ich mag Meeresgetier ja lieber als Fleisch. Ich habe 30 Jahre überhaupt kein Fleisch gegessen, was für einen Musiker ziemlich hart ist: Steht auf Tour in deinem Vertrag drin, dass Du Vegetarier bist, kriegst Du immer Pizza vorgesetzt. Schlimm ist das. Jedenfalls habe ich meiner chinesischen Frau zuliebe wieder mit dem Fleischessen angefangen. Weil Chinesen nicht für sich selbst, sondern für den gesamten Tisch bestellen. Ich wollte ihr nicht die ganze großartige chinesische Küche vorenthalten. Solange ich Vegetarier war, gab’s beim Bestellen nur Probleme: Das und dies bitte, aber no Meat. No Meat! Und dann fing die Diskussion an, was überhaupt Fleisch ist. Mein erstes Stück Fleisch nach so langer Zeit aß ich ganz geplant. Es war Pekingente. Hat mir nicht geschmeckt, das lag aber am Restaurant. Die dritte Ente war schon besser.

Locanda Locatelli, London
Angeblich der beste Italiener der Stadt, hatte man mir erzählt. Als ich in der Seymour Street angekommen war, merkte ich: Das Restaurant ist außergewöhnlich teuer, selbst für Londoner Verhältnisse . Meine Linguini mit Trüffel haben 40 Euro gekostet. Ja, man kann sagen, die Preise waren obszön. Das Einzige, was mir zur Ehrenrettung Londons einfällt: Moskau ist schlimmer.

El Bulli, Roses
Ferran Adriàs berühmtes Restaurant an der Costa Brava, nördlich von Barcelona, wunderschön auf einem Berg gelegen. Es ist fast unmöglich, dort eine Reservierung zu bekommen, denn es hat immer nur sechs Monate offen und nimmt Reservierungswünsche bloß einmal im Jahr an. Ich bekam den Tisch über einen Küchenchef in San Francisco, der hatte seine Lehrzeit im El Bulli. Die Zahl der Köche dort entspricht in etwa der Zahl der Gäste. Es gab 30 Gänge, kaum Fleisch, außer etwas Schinken und Hasenohr. Wirklich beeindruckend. Und auch einmalig, denn die legen für jeden Gast eine Datei an und speichern, was er gegessen hat. Kommt er wieder, kriegt er garantiert etwas anderes serviert. Ich war bisher nur einmal im El Bulli, und auch für 2009 habe ich keine Reservierung.

Protokolliert: Von Sebastian Leber.
 
Alle genannten Restaurants spielen eine Rolle in Blixa Bargelds Buch „Europa kreuzweise. Eine Litanei“, seiner literarischen Verarbeitung einer Konzertreise. Erschienen im Residenz Verlag, 14,90 Euro.

Protokoll: Sebastian Leber

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