zum Hauptinhalt
Louis de Funès (1914–1983) in seiner Paraderolle als Restaurantkritiker in der Komödie „Brust oder Keule“.

© DAVIDS/Bildarchiv Hallhuber

Geflügel: Brust oder Keule

Zum 100. Geburtstag von Louis de Funès Antworten auf die Frage: Welches Teil des Geflügels besser schmeckt – und worauf man beim Garen achten muss.

Es gibt immer zwei Sorten von Menschen. Die einen lieben Katzen, die anderen Hunde. Die einen die Berge, die anderen das Meer. Fleisch oder Gemüse. Brust oder Keule. Leider ist die Welt ungerecht und die Fraktionen nicht gleichmäßig verteilt. Ich stamme aus einer Familie von Keulenfans, was alle Jahre wieder zu heftigen Kämpfen führte. Wir waren zwar fünf Kinder, aber die Pute hatte nur zwei Beine. Eins davon hielt am Ende immer unser Bruder triumphierend in der Hand.

Fragen Sie einen Koch, und auch er wird mit ziemlicher Sicherheit, wie Tim Raue, erklären: „Ich bin Keule.“ Die hat doch viel mehr Saft und Geschmack. Macht allerdings auch mehr Arbeit. Guckt man sich dagegen die gängigen Speisekarten an, könnte man meinen, ganz Deutschland ernährt sich von trockener Brust. Kaum ein Gericht ist im Sommer so beliebt wie Salat mit Hühner- oder Putenbrust – obwohl der einen eher misstrauisch machen sollte, ist er doch meist ein Zeichen von Einfallslosigkeit und Retortenkost. Auch keine Kantine, die ohne Brust auskäme, geschnetzelt, gebraten, überbacken …

Die Beliebtheit ist schnell erklärt. Geflügel ist billig, die Brust besonders pflegeleicht, man muss sie nicht mühsam präparieren, kann sie schnell in die Pfanne hauen. Außerdem gilt sie als besonders gesund, da mager (an die Chemie und die Hormone, die oft da drinstecken, denken die meisten kaum, sieht man ja nicht), sie ist massenkompatibel und kinderfreundlich, weil sie praktisch nach gar nichts schmeckt. Was durchaus von Vorteil sein kann: Geflügelbrust wird gern mit einer weißen Leinwand verglichen, der man jeden Geschmack geben kann. Wobei sie nicht zufällig besonders gern frittiert, mit Käse gefüllt oder in Rahmsauce serviert wird: Das trockene Fleisch braucht Fett.

Suprême de Volaille, so heißt die Brust bei den Franzosen, das klingt nach fürstlicher Hoheit. Und tatsächlich, das weiße Fleisch galt früher als besonders fein. Vielleicht ist die Brust auch deshalb so populär: weil sie so rein erscheint. Man sieht ihr das Tierische nicht an.

Aber der Geschmack hat sich geändert. Es hat sich herumgesprochen, dass ein mageres Filet nicht unbedingt das beste Stück vom Rind ist, ein marmoriertes Teil mehr Aroma hat. Genauso bei der Keule. Die hat fast was Barbarisches, da sieht man gleich den Neandertaler vor sich, mit der erhobenen Keule in der Hand. Beim Essen hat das was schön Regressives: Selbst im feinsten Lokal nimmt man das Beinchen einfach in die Hand.

„Brust oder Keule“, so heißt Louis de Funès’ Klassiker von 1976, in dem der Komiker den hyperaktiven Herausgeber eines dem Gault Millau sehr ähnlichen Restaurantführers spielt; dieser Monsieur Duchemin gerät in einen Kampf mit dem immer mächtiger werdenden Inhaber von Fast-Food-Ketten, Autobahnraststätten und Lebensmittelfabriken, der sich mehr und mehr Restaurants einverleibt.

Dass Louis de Funès vor 100 Jahren, am 31. Juli 1914, in Frankreich geboren wurde, ist eher Zufall: Seine Eltern waren Spanier und nur deshalb in die Fremde gezogen, weil ihre eigenen Eltern gegen die Heirat waren. Dass der Komiker sich in seiner Rolle als Restaurantkritiker für ein PR-Foto mit einem dicken, fetten Huhn ablichten lässt, dem er schnell noch einen Klaps auf den Po gibt, ist dagegen kein Zufall: In Frankreich gilt das Huhn in der Küche noch was, ist nicht allein Inbegriff von Lebensmittelskandalen und Fast-Food-Fabrikationen, sondern der Stolz auch der großen Küche. Selbst Paul Bocuse brät sie am Spieß. Die Fernsehköchin Julia Child liebte französische Brathähnchen ganz besonders: „weil sie so hühnerig sind.“

Die Franzosen sind allerdings auch tendenziell bereit, Geld dafür auszugeben. Und beim Einkauf fängt das Kochen an, egal ob Brust oder Keule, Huhn, Ente, Taube, Pute oder Gans. Gerade bei Geflügel empfiehlt es sich dringend, nicht das billigste, sondern das beste zu kaufen.

Gerade angesagt in New York: Ein ganzes Brathähnchen zu servieren

Also: Brust oder Keule? Sie müssen sich schon entscheiden, was Ihnen wichtiger ist. Denn wenn man das Tier nicht zerpflückt, sondern ganz in den Ofen schiebt, kommt ein Teil dabei immer zu kurz, ist entweder schon zu trocken oder noch halb roh. An diesem Naturgesetz kann auch der beste Koch nichts ändern. Aber Profis wissen sich zu helfen.

Sobald die Brust des Vogels zart gegart ist, lassen sie das Prachtstück dem Gast auf der Platte kredenzen – als Augenschmaus. Dann wird das Tier zurück in die Küche gebracht, die Brüste gelöst und als erster Gang serviert, während die Keulen separat weiterschmoren. Auf diese Weise, so Kolja Kleeberg vom Restaurant „Vau“, kann man den Keulen noch mal ein ganz anderes Aroma geben, sie mit Wein, weiß oder rot, mit Rosmarin, gebratenen Schalotten und Champignons im Ofen zu Ende garen.

Ein ganzes Brathähnchen zu servieren, ist eine vertrauensbildende Maßnahme. Dann weiß man wenigstens, dass es sich um echtes Geflügel handelt – bei den „entleibten Speisen“ (Vincent Klink) der schnellen Küche kann man sich da nicht immer so sicher sein.

In New York, in kulinarischen Trends immer ein paar Schritte vorneweg, ist das gerade schwer angesagt. Während die Berliner sich noch an der allgemeinen Tapaskultur erfreuen, Speisen im Kleinformat, ob spanisch, asiatisch oder deutsch, kommt dort das ganze Tier auf den Tisch.

Zu legendärem Ruhm hat es dabei das Brathähnchen de luxe im „NoMad“ gebracht, zum Netto-Preis von 80 Dollar, wo noch mal mehr als 30 Prozent Trinkgeld und Steuern obendrauf kommen. Das hat’s aber auch in sich: da stecken Trüffel und Foie Gras unter der Haut, ein französischer Klassiker. Auch hier wird das Tier dem Gast erst im Ganzen gezeigt (was übrigens auch Carmen Krüger mit ihrer berühmten Gans im Restaurant in Eichwalde macht), dann in Einzelteilen weiter verfeinert. Der begeisterte Restaurantkritiker der „New York Times“ hat sich die Prozedur vom Koch minutiös erklären lassen, zum Nachlesen im Internet.

Brust oder Keule: Für Louis de Funès stellte sich die Frage gar nicht. Der Originaltitel seiner Komödie lautet nämlich „L’aile ou la cuisse“ – Flügel oder Keule. Mit anderen Worten: Wer ist der Stärkere? Auf der Leinwand ist das natürlich Louis de Funès, als Vertreter der Kultur guten Essens; sein Gegner wird als Lebensmittelpfuscher enttarnt und ausgelacht. Das war 1976, zumindest die französische Hoffnung von 1976, seitdem hat sich viel getan. Inzwischen ist die Wirklichkeit gar nicht mehr so weit entfernt von der überdrehten Filmsatire, wo ein Hühnergerippe mit Kunststoffschaum überzogen, in Form gebracht, angemalt und in Plastik verschweißt wird. Sagenhafte 50 Milliarden Stück Geflügel werden laut „Spiegel“ im Jahr weltweit verarbeitet. Das geht nur mit Turbozüchtung. Immer schneller, immer größer – gerade die Brust.

Vielleicht sollte man lieber zur Taube greifen, dem Wild unter dem Geflügel. Maria Groß bringt das Tier in ihrem Sternelokal im Erfurter Kaisersaal gern auf den Tisch, allerdings verrät sie das dem Gast in der Regel vorher nicht. Denn von sich aus bestellen würden die meisten das nicht. Iiih, „die Ratte der Lüfte“!

Auch die Thüringer Sterneköchin bezieht ihre Täubchen (jung müssen sie sein!, sonst werden sie zäh) aus Frankreich, wegen der Qualität. Beim Überraschungsmenü kündigen die Kellner nur „Dreierlei von der Taube“ an. Die Brust ganz sanft in Butter gebraten und dann noch mal bei 70, 80 Grad ruhen gelassen, ergänzt mit Himbeeren, geschroteten Kakaobohnen, „wegen des Crunchs“, und im kräftigen Fleischsaft noch ein Hauch dunkler Schokolade, „das macht die Sauce rund“; die Keulchen geschmort, vielleicht gefüllt, „das ist allerdings totale Futzelarbeit“. In einem hübschen Gläschen jubelt sie dem Gast die Innereien unter, als Ragout oder Zungensalat. Oder die Nierchen in der Pfanne kurz gebraten, ein bisschen Balsamico drüber. Sie möchte nicht, dass der Mensch vergisst, dass er ein ganzes Tier isst. Ob sie sich als Pädagogin betrachtet? Die 35-Jährige lacht. „Nein, als Trickserin.“

Ansonsten ist Maria Groß nicht besonders scharf auf Geflügel, in ihrer DDR-Kindheit hat sie zu viele Broiler gegessen. Die italienische Variante wird da schmackhafter sein: Zur Zeit auf Sizilien im Urlaub, kauft Zwei-Sterne-Koch Tim Raue sich mit seiner Frau dort gern gegrilltes Hähnchen vom Spieß. Das dunkle Fleisch essen sie gleich, die Brust zerzupfen und marinieren sie, mit Zitronensaft und Haselnussöl, die gibt’s dann am nächsten Tag als Salat, mit einheimischem Grün und Käse angemacht, mit Maulbeeren und Fenchel, in Deutschland würde Raue als Ersatz empfehlen: Kopfsalat, klein geschnitten, mit Aprikosen oder Nektarinen. Und weil der Asienliebhaber die Kombination aus Süße und Schärfe mag, kommen die in Fischsauce eingelegten roten Chili dazu, die er sich aus Berlin mitgenommen hat. Als Stückchen Heimat.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false