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Gesellschaft: Herr Moshiri und sein Kräutergarten

Bronzefenchel, afrikanische Minze, Pfefferbasilikum – aus Charlottenburg beliefert Ali Moshiri die Starköche der Stadt

Braune Lederstiefel, Röhrenjeans mit großer Gürtelschnalle und eine elegante Sonnenbrille, die Ärmel des gebügelten Hemds hochgekrempelt – einen Gärtner stellt man sich anders vor. Zielstrebig, doch vorsichtig tritt Ali Moshiri ins Beet. Einige Kräuter stehen hüfthoch, andere kauern sich nah an die Erde, entgehen können sie ihm nicht. Die Gartenschere in der rechten Hand, einen großen Strauß in der linken, bückt Moshiri sich immer wieder zum Schneiden. Auf die frische Ware freut sich schon ein Kunde am Rande des Beets.

Persisches Zitronenbasilikum, Afrikanische Minze, Bronzefenchel, Zitronenverbene und Bergoregano – mehr als 400 verschiedene Kräuter, davon alleine 40 Sorten Basilikum, wachsen auf dem Charlottenburger Gelände. Basilikum, erklärt Moshiri, ist eben nicht gleich Basilikum: Persisches Lila-Basilikum wächst bis zu 140 Zentimeter hoch, schmeckt nach Anis und Fenchel und passt besonders gut zu gegrilltem Fleisch, Salat oder Fisch. Pfefferbasilikum, ursprünglich aus Mexiko, riecht und schmeckt nach Paprika und eignet sich für gekochte Fleischgerichte. Die Blätter des Yiotis-Basilikums wiederum sind fleischig und haben einen aromatischen Pfeffergeschmack. Moshiri riecht und knabbert an einem Blatt, lässt den Geschmack auf der Zunge zergehen, wie ein Sommelier bei der Weinprobe.

Der „Exotische Kräutergarten“ am Fürstenbrunner Weg 72 ist ungefähr doppelt so groß wie der Pariser Platz vor dem Brandenburger Tor. Das Brummen der angrenzenden Autobahn ist genauso zu hören wie das Knistern der Hochspannungsleitung, die die Felder überzieht. Dennoch strahlt der Ort Ruhe aus. Die Pflanzen wiegen im Wind, es duftet nach ätherischen Ölen. „Ich sollte hier eigentlich Seminare für gestresste Manager geben“, sagt der 47-Jährige und lacht. Dennoch sucht er schon seit zwei Jahren nach einem schöneren Platz für seinen Garten, bisher allerdings vergeblich.

Zwischen den Kulturpflanzen wachsen auch Brennnesseln, Löwenzahn und Spitzwegerich. Moshiri greift nach einem Gierschstengel und inspiziert die weißen Blüten. „Sie bieten Nützlingen wie Marienkäfern und Ohrenkneifern einen Rückzugsraum, außerdem sind auch sie essbar.“ Der Gärtner und seine vier Mitarbeiter setzen auf biologischen Anbau. Allein schon die Vielfalt und die ätherischen Öle der Kräuter verhindern einen übermäßigen Schädlingsbefall mit Blattläusen oder Spinnenmilben.

Seit 30 Jahren beschäftigt sich Moshiri schon mit Kräutern, Köche der besten Restaurants, dem „Margaux“ zum Beispiel oder der „Quadriga“, kaufen bei ihm ein. Danijel Kresovic, Chefkoch des Restaurants 44 im Swissôtel, der ein großes Faible für Kräuter hat, tauscht sich mit ihm auch über Rezepte aus. So entstand der flüssige Kräutersalat: Die kalte Suppe serviert der Küchenchef mit Feta, Rote-Bete-Würfeln und gebackenem Ei. Wahrscheinlich habe er noch nie so oft einen Gang verkauft wie diesen. Kresovic ließ sich von Moshiri auf der Dachterrasse des Restaurants am Kudamm einen Garten mit 90 unterschiedlichen Kräutern anlegen: Orangenminze, Japanischer Wasserpfeffer und Römischer Sauerampfer wachsen in hüfthohen matt-schwarzen Kübeln. Wie ein Vater, der seinen Kindern mit der Hand durch die Haare wuschelt, streicht Kresovic durch die Blätter, zupft Welke heraus, reibt und riecht an den Kräuter. Dabei geht es nicht nur um Geschmack, sondern auch um Ästhetik. Die Beete machen viel Arbeit, aber die Gäste sind sehr angetan.

Moshiri sieht sich auch als Kulturvermittler zwischen seinem Geburtsland Iran – er spricht von Persien – und seiner Wahlheimat Berlin. Mit seinen Kräutern will er der Stadt etwas zurückgeben, aber beim Harken, Pflanzen und Gießen verspürt er manchmal Heimweh: „In meinem Garten fühle ich mich an Persien erinnert.“ Geboren und aufgewachsen ist er in Shiraz, der fünftgrößten Stadt Irans, berühmt für ihre Gartenkultur und Rosenzüchtungen. Zum Frühstück aß er immer Weißbrot mit Schafskäse und dazu persische Minze. Anschließend lief er über üppig bewachsene Felder zur Schule, an Geschäften vorbei, die ausschließlich Kräuter verkauften. Der Geschmack, die Düfte faszinieren ihn bis heute.

Während der Kräuterstrauß in seiner Hand weiter wächst, erzählt er vom persischen Mediziner und Gelehrten Ibn Sina, lateinisch Avicenna, den Noah Gordon in seinem Bestseller „Der Medicus“ zur Romanfigur verarbeitete. Avicenna schrieb vor 1000 Jahren, dass er Menschen mit inneren Schmerzen am liebsten die Bäuche aufschneiden würde, um darin persisches Schnittlauch zu verteilen. Heute weiß Moshiri, der auch Kochkurse für Krankenkassen macht und in Schulen Kräuterbeete mit Kindern anlegt, was der Gelehrte im Sinn hatte: Der Schnittlauch hat eine stark antibakterielle Wirkung.

1979, mit knapp 18, kam Ali Moshiri nach Marburg, um Deutsch zu lernen. Später studierte er in Berlin ein paar Semester Biologie und schließlich Tiermedizin. Um dann noch mal zu wechseln und im Fach Pharmakologie zu promovieren. Statt in die Chemieindustrie zu gehen, entschied er sich für seine eigentliche Leidenschaft, die Kräuter. Nützlich war die Uni trotzdem: Sein Wissen über Pflanzen basiert auf dem Studium, ohne das er vielleicht nie kochen gelernt hätte. „In Persien spielt das Essen eine große Rolle, und es duftet immer ganz toll. Das Mensaessen hat dagegen so schlecht geschmeckt, wirklich schrecklich!“ Vor allem der Geruch von Rosenkohl hat ihn an den Herd getrieben. Und egal, wo er wohnte, immer hat er versucht, in der Küche oder auf dem Balkon Kräuter anzubauen.

Worauf man dabei achten müsse: Nicht zu viel Torf, denn Kräuter vertragen keine saure Erde, nicht zu viel wässern. Und: „Schneiden, schneiden, schneiden“, rät der Experte. Außerdem solle man beachten, dass manche Pflanzen mehr, manche weniger Sonne vertragen. Minze, Zitronenmelisse und Estragon mögen es schattig, Rosmarin, Thymian, und Salbei brauchen viel Licht.

Ein befreundeter Gärtner förderte Moshiris Begeisterung und verpachtete ihm in Schleswig-Holstein etwas Land und Gewächshäuser. Dort betrieb er seinen ersten professionellen Kräutergarten, bis es ihn zurück in die Hauptstadt zog, wo er nach verschiedenen Stationen seit 2006 das Gelände am Fürstenbrunner Weg beackert. Dort können Kunden die Ernte zwischen Mai und September direkt kaufen; Moshiris Laden „Rango Bu“ in der Christstraße 29 in Charlottenburg ist das ganze Jahr geöffnet. Beratung durch den Chef ist inklusive: Nach Lakritz schmeckendes Anisysop empfiehlt Moshiri für Salate, Süßspeisen und Fisch. Die pikant scharfen Blätter der Pfefferkresse, die wie Meerrettich schmecken, eignen sich für Fleischgerichte. Und Kubanische Minze für den echten Mojito-Geschmack. Moshiri hat sogar eine eigene Minze entwickelt, die seinen Namen trägt, eine Kreuzung aus einer südafrikanischen und einer persischen Minze.

Ganz wichtig ist es, so Moshiri, die Kräuter nicht in Wasser zu stellen. Sein Tipp: Blätter vom Stiel abzupfen, drei Minuten in kaltes Wasser legen, dann mit einer Salatschleuder die Feuchtigkeit entziehen und in ein trockenes Tuch wickeln. „Im Kühlschrank aufbewahrt, bleiben die Kräuter zehn Tage haltbar.“ Noch länger habe man etwas davon, wenn man die Kräuter klein hackt, mit etwas Wasser mischt und in eine Eiswürfelschale füllt. Kräuter-Eiswürfel sind das ganze Jahr über einfach verwendbar.

Für sein Kräutersalz, -Essig, -Öl und -Tee trocknet Moshiri die Pflanzen auch. Seine neueste Idee: Kräutereis. Im nächsten Jahr hofft er, Eisdielen beliefern zu können. Die Auswahl der Zutaten klingt vielversprechend: Rosenwasser, Pistazie und Safran in der persischen Mischung oder Chilieis mit persischer Flussminze.

David Weyand

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