zum Hauptinhalt

Italienische Küche: Pasta e basta!

Warum essen die Italiener kein Gyros, keine Wan-Tan-Suppe, kein Sushi, kein Kraut? Unsere Autorin fordert: Kampf den rechten Küchenpopulisten!

Kaum ist die Verordnung von Lucca publik geworden, zwinge ich meinem römischen Mann ein Gespräch über die ausländische Küche auf. Der Bürgermeister von Lucca will nämlich in der mittelalterlichen Altstadt keine Dönerbuden sehen. Er sei kein Rassist, habe nichts gegen Araber und auch nichts gegen Döner. Obwohl dieses Fleisch ja schon einen durchdringenden Geruch habe. Es gehe nur um Ordnung, Sauberkeit und Image. In die Altstadt gehörten nur Restaurants mit traditioneller toskanischer Küche.

„In Lucca soll es nur noch Dinkelsuppe und Mangoldkuchen geben“, sage ich. „Italienische Küche über alles!“ Mein Mann setzt seine Wen-juckt-das-denn- Miene auf. Er behält sie routiniert, als ich frage, wann waren wir eigentlich zuletzt in einem ausländischen Restaurant. Zusammen, in Rom. „Weißt du doch: beim Chinesen am Largo Argentina“, antwortet er zerstreut. „Der Fraß, von dem wir so schreckliche Bauchschmerzen kriegten.“ Das China-Restaurant, von dem mein Mann spricht, gibt es schon lange nicht mehr. Wir waren da 1993 essen. Vor fast 16 Jahren!

Damals gab es in Rom nur ein paar Chinesen, einen Franzosen und ein Thai-Restaurant in der Via Giulia. Heute ist das anders. Rom ist wieder fast so multikulti wie zur Kaiserzeit vor 2000 Jahren. Es gibt Ägypter, Österreicher, Somalier und Syrer, Koreaner, Spanier, Griechen, Japaner. Und jede Menge Chinesen. Aber es ist kein Zufall, dass der beste Chinese der Stadt ein Italiener ist.

Die römische Küche ist vielfältiger geworden, doch das Niveau ist untere Mittelklasse. Die ethnischen Restaurants sind überwiegend Treffpunkte für die Landsleute der Wirte. Nichts, was einen römischen Römer aus seiner Stammtrattoria locken könnte.

Der mir angetraute Römer ist weit gereist. Dauernd ist er in Amerika, in Asien oder an der Nordsee. Natürlich isst er überall, was auf den Tisch kommt, wenn es sein muss, auch mit Stäbchen. Danach ruft er mich an und klagt. Diese fetten, französischen Saucen, es wüchsen ihm schon Pickel. „Das kann man ja einmal in zehn Jahren essen, aber doch nicht dauernd.“ Der rohe Fisch im Sushi, „interessant, aber eine ordentliche Portion Pasta ist doch was anderes“. Die Steaks in Arizona, „riesig, aber schmecken nach nichts“.

Wir sind eine römische Familie, in der mindestens einmal am Tag eine Deutsche am Herd steht und italienisch kocht, jedenfalls meistens. Dieses Modell ist infolge einer massiven deutschen Heiratsmigration nach Italien gar nicht so untypisch. Es gibt auch deutsche Männer, die für italienische Frauen kochen, wie etwa Heinz Beck, der Koch des römischen Restaurants „La Pergola“. Seit Jahren wird Beck von allen möglichen Gourmetführern als einer der besten Köche des Landes ausgezeichnet, ein Triumph für einen Deutschen. Aber ich fürchte, Heinz Beck kann über italienischen Küchenchauvinismus nicht so richtig mitreden. Er kocht ja nicht in der Schwiegertöchterliga.

Ich kenne eine deutsche Schwiegertochter, deren römischer Ehemann jeden Abend von Mamma zum Essen eingeladen wird. Nur er. Die Deutsche kann zu Hause bleiben und Schwarzbrot kauen. Okay, das ist ein Extremfall. Bei mir kommt die Schwiegermutter zu Besuch und gibt vorher ihre Menüvorstellungen durch. Aus Angst, es könnte sonst an hohen Feiertagen wurstl con crauti – geben – Würstchen mit Sauerkraut, eben das, was sich Italiener unter deutscher Küche vorstellen. Oder Hundefutter.

Seitdem mein Schwiegervater 1966 zuletzt in Deutschland war und dort aus Versehen im Supermarkt eine Hundefutterdose erstanden hat, ist die deutsche Küche in meiner italienischen Familie – ich sage mal vorsichtig: in Verruf gekommen. Einmal brachte ich aus meiner westfälischen Heimat einen wunderbaren, luftgetrockneten Schinken mit. Meine Schwiegermutter setzte ein säuerliches Lächeln auf und sagte: „Danke, mein Schatz. Wir werden etwas Gutes damit kochen. Weißt du, roh essen wir lieber Parmaschinken.“ Wenn wir gemeinsam am Tisch sitzen, wird regelmäßig über Käse und Wein debattiert, stets mit dem Fazit: Die Franzosen geben sich wirklich Mühe. Aber wir können es halt besser.

Der italienische Küchenchauvinismus ist absolut parteiübergreifend. So zweifelhaft der Ruf Italiens in der Welt durch Mafia, Müll und Berlusconi auch geworden ist: die cucina italiana, die italienische Küche hat noch immer alles andere überstrahlt. Wenn auch der Weltmeister-Titel für die Fußballnationalelf bei den europäischen Nachbarn die üblichen Sticheleien, das gewohnte Naserümpfen provoziert – an der Überlegenheit der italienischen Küche gibt es nichts zu deuteln. Sie ist nicht nur das letzte verbliebene Symbol nationalen Stolzes, sondern auch das einzige funktionierende Bollwerk gegen eine Globalisierung, die rechte wie linke Italiener zutiefst verunsichert und verschreckt.

Die Slow-Food-Bewegung etwa entstand aus Protest gegen die Eröffnung der ersten italienischen McDonald’s-Filiale 1986 an der Spanischen Treppe in Rom. Gegründet wurde sie von dem kommunistischen Lokalpolitiker Carlo Petrini. Inzwischen ist Petrini Ex-Kommunist und Slow Food eine internationale Bewegung. Ihr Konzept der Verteidigung von Identität in der Küche und der Bewahrung regionaler Besonderheiten kommt überall an. Slow Food hat es geschafft, das Bewusstsein für gutes Essen zu globalisieren. Im Kampf gegen Klimaveränderung und Umweltzerstörung ist die Rückbesinnung auf regionale Lebensmittel und die Küche im Rhythmus der Jahreszeiten so angesagt wie nie. Diese alten Slow-Food-Ideen haben sich in den Münchner Bierkellern ebenso durchgesetzt wie in den Restaurants von Ljubljana oder San Francisco.

Das linke italienische Küchen-Bewusstsein gilt als politisch korrekt und sympathisch – es geht schließlich um die Verteidigung eines Kulturguts, das etwa die Deutschen auch gern hätten. Dass es im Ausland wegen gewisser Ausfälle der Berlusconi-Regierung nie zu Boykottaufrufen gegen Brunello und Olio extravergine (wie seinerzeit gegen französischen Champagner) gekommen ist, verdankt Italien ganz sicher auch Slow Food.

Die cucina italiana gehört allen. Neuerdings tun manche Politiker allerdings so, als ob sie allein ihrem Lager gehörte – und das ist verheerend. Denn die italienische Rechte macht gezielt Küchenpolitik, nicht no-global, sondern ziemlich provinziell und manchmal sogar offen rassistisch.

Die Verordnung der Stadtverwaltung von Lucca gegen Dönerbuden und Stehimbisse in der Innenstadt ist nur ein Detail im Kreuzzug der Rechten gegen die ausländische Küche. Auch in Verona, wo die Lega Nord regiert, werden nicht-italienische Imbissstuben mit allerhand Auflagen belegt – wobei die Lega bereits alles, was südlich des Flusses Po liegt, als „Ausland“ bezeichnet und auf ihren Parteifesten Polenta statt Pizza serviert. Weil Pizza ursprünglich aus Neapel stammt. Diese neue Geschmacksdiktatur wirkt albern. Aber das ist leider nicht alles.

Während auf Sizilien, gesponsert vom Pastariesen Barilla, alljährlich mit Teilnehmern aus vielen Mittelmeerländern ein internationales „Cous Cous Fest“ steigt, hat Roms rechter Bürgermeister Alemanno Couscous und andere „ausländische“ Gerichte aus den Menüs der Schulmensen streichen lassen. Davon bekämen die Kinder Roms nur Bauchschmerzen. Kleine Römer aus chinesischen, philippinischen, rumänischen Familien waren ganz offensichtlich nicht gemeint. Die Stadtverwaltung argumentierte, es sei „romantisch und realitätsfremd, sich vorzustellen, dass Migranten ihre eigenen Gerichte essen und nicht unsere Pasta“.

Die Tomaten für den Sugo werden fast ausnahmslos von ausländischen Landarbeitern gepflückt, genauso wie natürlich Arbeiter aus Nordafrika, Osteuropa und Asien in den großen Nudelfabriken die Spaghetti herstellen. Und in den meisten italienischen Restaurants Ausländer in der Küche arbeiten. Im Übrigen waren es italienische Emigranten, die für die Verbreitung von Pizza und Spaghetti vom Nordpol bis nach Feuerland sorgten. Die wenigsten von ihnen waren ausgebildete Köche.

Aber das ist für die Küchenpopulisten aus nahe liegenden Gründen kein Thema. Sie verbreiten lieber die romantische und realitätsferne Propaganda, dass nur Nudelesser „richtige Italiener“ seien. Eine absurde und gefährliche Vorstellung. Dieselben Politiker, die gegen Dönerbuden wettern, schreien auch nach Volksabstimmungen gegen neue Moscheen. Das Muster ist ähnlich: Am Gebet und am Tisch sollst du sie erkennen.

Glücklich das Land, in dem die Politik nicht in die Kochtöpfe der Bürger linst wie die Kirche in die Schlafzimmer!

„Was machen wir jetzt“, frage ich meinen Mann, den Römer. „Ziehen wir uns zurück in die Couscous-Resistenza? Sollen wir unseren Kindern die Pasta in der Schulmensa verbieten und zu Ostern Glasnudeln aus dem Wok servieren?“ Wenn hier schon Döner nach Untergrund riechen, muss man doch irgendwie ein Zeichen setzen.

„Stimmt“, sagt er und setzt sein subversivstes Gesicht auf. „Und deshalb essen wir ganz einfach, was wir wollen.“

Birgit Schönau

Zur Startseite