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John McCain

© AFP

Kandidaten-Speisekarte: Yes, we eat!

Shrimps oder Burger? Ciabatta oder Chips? John McCain und Barack Obama müssen aufpassen. Denn die Wähler gucken den Kandidaten genau auf den Teller.

Der vielleicht wichtigste Eignungstest im Kampf um das Weiße Haus wird von den meisten Beobachtern gar nicht wahrgenommen: Präsidentschaftskandidaten müssen einen Pferdemagen und die Fähigkeit zu kulinarischer Selbstverleugnung mitbringen. Republikaner beginnen ihren Wahlkampf im Sommer des Vorwahljahres auf der Landwirtschaftsmesse in Iowa. Dort beißen sie in Truthahnkeulen, die nach dem Braten in Butter getaucht wurden, und müssen mit Fleischfasern zwischen den Zähnen überzeugend Begeisterung mimen, als hätten sie nie Besseres gekostet. Unzählige weitere Charaktertests mit fetttriefender Grillware liegen da in den 15 Monaten bis zum Wahltag noch vor ihnen.

Demokraten geht es nicht besser. Das große Fischebraten des einflussreichen Abgeordneten James Clyburn in Columbus, South Carolina, gehört ebenso unverzichtbar zum Kandidatenkalender wie der „Steak Fry“ des Senators Tom Harkin in Iowa. Barack Obama mag einige Stimmen verloren haben, als er vor einigen Wochen in Pennsylvania um Stimmen warb und in der Hoffnung auf Fernsehbilder Wilbur’s Schokoladenfabrik in Lititz besuchte. Die erste Kostprobe nahm er dankend an: „Oh lecker.“ Als ihm immer neue aufgedrängt wurden, wehrte er ab, was ihm Stirnrunzeln eintrug: „Come on, wer wird in einer Schokoladenfabrik auf Kalorien achten“, fragte eine füllige blondierte Arbeiterin mit zweifelndem Blick auf die schlanke Figur des dunkelhäutigen Kandidaten.

Politische Vorliebe geht durch den Magen. So unterscheiden sich die Fans von John McCain und Barack Obama schon in ihrer Ernährung. Ein typischer Obama-Demokrat, das fand der Dienst Market Research im Auftrag der „New York Times“ heraus, kauft auf dem lokalen Farmers Market ein, greift im (Öko-)Supermarkt zu Olivenöl, Vollkornriegeln, Obstsäften, braunem Rohrzucker und „Wolfgang Puck All Natural Frozen Pizza“. Die bevorzugte Fast- Food-Kette ist „Panera Bread“ mit seiner europäisch anmutenden Baguette- und Ciabattaauswahl. Wenn Hamburger, dann von grasenden Rindern aus der Umgebung. Zum körperlichen Ausgleich wird gejoggt.

McCain-Republikaner dagegen shoppen im biedereren Safeway-Supermarkt, braten mit Margarine, trinken Energiedrinks, kaufen „DiGiorno’s Stuffed Crust Pizza“, naschen Kartoffelchips und Crunchy Chocolate Chips. Sie süßen mit Süßstoff, ihre Hamburger stammen von getreidegemästeten Rindern, auswärts speisen sie bei „Hardee’s“, der Kette, die sich als Heimat des „Thickburgers“ anpreist. Und um sich fit zu halten, gehen sie fischen oder jagen.

Und doch, das eint die Kandidaten über die Parteigrenzen hinaus: Beide wollen mit dem Genuss regionaler Spezialitäten ihre Volksnähe beweisen. Es ist die egalitäre Weiterentwicklung eines eher landesfürstlichen Ansatzes aus den Anfangsjahren der Demokratie. Früher galt, der Kandidat beköstigt die Wähler, um ihre Stimmen zu gewinnen. Als George Washington sich 1758, noch vor der Gründung der USA, um ein öffentliches Amt in Virginia bewarb, schenkte er Rum, Bier und Apfelmost an die Bürger aus. Auch heute locken Kandidaten mitunter mit freiem Essen zu ihren Auftritten. Wichtiger ist aber inzwischen eine andere Geste: Der Politiker macht sich in seiner Essenswahl mit seinen Wählern gemein.

Mit dem Genuss einfacher Speisen zeigt der Kandidat, dass er einer von uns ist, bevor wir ihn mit der Wahl über uns erheben, schrieb Jack Hitt 2004 in einem Essay für die „New York Times“ über die Bedeutung von Essen und Trinken im Wahlkampf. Je einfacher das Gericht und je sicherer, dass jeder es kochen könnte, desto volksnäher die Botschaft. Nicht umsonst hat sich auch Gerhard Schröder so gern mit Currywurst gezeigt.

Also müssen sich Kandidaten, je nach dem Landstrich, in dem sie gerade Wahlkampf führen, mit Begeisterung auf Barbecue und Chili, überbackene Muscheln und Grillhähnchen, Pfannkuchen und Spaghetti stürzen. Republikaner tun sich meist leichter. Ihnen werden – reale oder vermeintliche – Ausrutscher eher verziehen, weil sie insgesamt als bodenständiger gelten. Kulturell gehören Steak, Backkartoffel und Zwiebelringe bis heute genauso ungebrochen zum Bild der sogenannten „Red States“, den verlässlich republikanisch wählenden Staaten im Zentrum und im Süden der USA wie der Kirchgang und die Freiheit des Waffentragens.

Demokraten stehen eher im Verdacht, sich von den Wurzeln der Siedlerkultur entfernt zu haben und elitär zu sein. Ihre Farbe ist blau, und diese „blauen“ Staaten an der Ost- wie an der Westküste sind einem stärkeren kulturellen wie kulinarischen Wandel unterworfen. In New York, Massachussetts und Kalifornien gibt es mehr Restaurants mit asiatischen, mexikanischen oder europäischen Spezialitäten als in Idaho, Kansas oder Alabama. Die „original amerikanische“ Küche wurde im „blauen“ Amerika stärker mit fremdländischen Einflüssen und Gewürzen überblendet als in den bevölkerungsarmen „roten“ Farmstaaten im Herzen der USA. Buffalo Country steht gegen Seafood Country.

2004 kamen beide Kandidaten, John F. Kerry und George W. Bush, aus vermögenden Ostküstenfamilien; beide hatten dort an Eliteunis studiert. Und doch war der sogenannte „Wendy’s“-Skandal nur als Vorwurf gegen Kerry möglich. Die Karawane des demokratischen Kandidaten hatte nach einem langen Wahlkampftag in Newburgh, New York, mit hungrigen Mägen an einer Filiale der Hamburgerkette gehalten. Kameras verfolgten, wie John und Teresa Kerry samt dem Vizekandidatenpaar John und Elizabeth Edwards das Essen des einfachen Mannes orderten und verschlangen. Als sie wieder im Bus saßen, so hieß es später, hätten sie sich über Shrimps, Seascallops und in Prosciutto gehülltes, gefülltes Geflügel hergemacht, die Helfer im nahen Yacht-Club besorgten. Für Republikaner bestätigte sich der Vorwurf vom verlogenen, abgehobenen Liberalen, der Wasser predigt, aber Wein schlürft.

George W. Bush hatte solche Authentizitätsprobleme nicht. Dem zum Texaner mutierten Ostküstensohn – Spötter nennen ihn einen Potemkin’schen Cowboy – nimmt man ohne weiteres ab, dass er bodenständig isst. Sein bevorzugtes Lunch seien überbackener Käse, Sandwich mit Erdnussbutter und Hamburger, verriet der darüber sichtbar enttäuschte Koch im Weißen Haus, Walter Scheib.

In einem Punkt hält es Bush wie Kerry und Obama: Kalorienzählen und tägliches Fitnessprogramm. Selbst an Bord der „Airforce One“ benutzt er eine Tretmühle. Die Wähler, erklären Wahlkampfstrategen, wollen zwar, dass ihr amtierender oder künftiger Präsident ähnliche Essgewohnheiten zeigt wie sie selbst – nur, bitte, ohne die Folgen. Übergewicht gilt als Zeichen von Disziplinlosigkeit.

Bill Clinton war ein Meister darin, die Erwartungen zu erfüllen. Er kostete dankbar, was angeboten wurde, als habe er einen Wolfsappetit. Essen in seiner Hand brach jede Barriere zu den Wählern. Aber er war ja auch ein Südstaatendemokrat – und bezahlte sein Talent mit Herzoperationen und mehrfachen Bypässen.

Barack Obama nährt mitunter ähnliche Zweifel wie Kerry. Im frühen Wahlkampf im Agrarstaat Iowa wollte er sein Mitgefühl für die Landwirte angesichts stagnierender Erzeugerpreise zeigen. „Ich weiß, was Ihr bekommt und was die bei Whole Foods für ein Bündel Rucola- Salat verlangen.“ Damit offenbarte er nur die Distanz zwischen zwei Welten: Im Mittleren Westen gilt Rucola nicht als Delikatesse, dort kauft kaum einer im Ökosupermarkt ein. Immerhin ist Obama instinktsicherer, wenn er sich unterwegs mit Fast Food begnügen muss. Kerry beging 2004 den Fehler, „Suisse Cheese“ auf seinem Philadelphia Cheese Steak zu verlangen. Obama entscheide sich in solchen Situationen für heimischen Cheddar, verrät sein Leibwächter Reggie Love.

McCain zeigt seine Erfahrung aus 26 Jahren Politik. Unterwegs im Wahlkampfbus lässt er am liebsten Donuts ordern. Beim Einzug in eine Halle voll wartender Wähler inspiziert er kritisch ausliegende Chipstüten und Schokoriegel und ruft: „Wie schön wäre jetzt ein Teller Spaghetti!“ Niemand fragt den Multimillionär, ob er privat die Vorlieben zeige, die er in der Öffentlichkeit zelebriert.

Ehefrau Cindy ist kürzlich im Authentizitätstest gestolpert. Ihre „Familienrezepte“ auf der McCain-Webseite waren aus einem Internetkochbuch kopiert. Und da ist noch ein schlechtes Omen: Seit 1992 bittet die Zeitschrift „Family Circle“ die Frauen der Kandidaten um ein Keksrezept und lässt die Leserinnen abstimmen, welches das beste sei. Die haben mit ihrem Votum jedes Mal den Gewinner der Präsidentschaftswahl vorhergesagt.

Cindy McCains Rezept für Oatmeal Butterscotch Cookies steht nun ebenfalls unter Plagiatsverdacht. Michelle Obamas Shortbread Cookies mit Zitronenschale und einem Schuss Amaretto – das Rezept einer Patentante ihrer Tochter, wie es heißt – erntete Lob. Das Abstimmungsergebnis der Cookie-Wahl verrät „Family Circle“ erst in der November-Ausgabe.

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