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Orientalisch sieht das künftige Klinikessen aus.

© Thilo Rückeis

Krankenhaus-Essen: Frühstück im Bett

Im Krankenhaus gehört Lästern übers Essen zur Folklore. Eine gar nicht kranke Fantasie: Linsensuppe mit Kirschen! Apfelreis mit Wildkräutern! In Berlin kocht die Zukunft.

Er lag schon lange in der Charité, schwer krank und die Tage zählend, als er es mit etwas Neuem versuchte: Einfach mal das Essen loben! „Zu sagen, das hat aber gut geschmeckt, ist für die Schwester eine solche Sensation, dass sie es gleich in die Küche hinuntertelefonieren möchte.“ So beschreibt es David Wagner in seinem preisgekrönten Buch „Leben“, in dem der Schriftsteller seinen Krankenhausaufenthalt protokolliert. Die Reaktion der Krankenschwester: „Da freut sich der Koch, so was hört der nicht alle Tage.“

Es ist schon so, wie Wagner schreibt: „Sich über das Essen zu beklagen, gehört zur Krankenhausfolklore.“ Was daran liegt, dass das Essen unter grau-beigen Hauben aus Kunststoff steckt, Portionen, als seien sie für Bauarbeiter gedacht. Verkochtes Gemüse an viel zu viel Fleisch. Bis auf das vegetarische Menü oder die Schonkost – das ist dann fetttriefende Gemüselasagne oder gebackener Emmentaler, egal, ob man vorher eine Bauch-OP hatte. Und das einzig Gute auf dem Tablett, das Obst oder das Schälchen Apfelmus, wird einem dann vom Besuch weggegessen.

Essen im Krankenhaus: eine Leidensgeschichte. Sie begann in der Kindheit, mit dem versprochenen Eis nach der Mandeloperation. Das Einzige, was es dann gab, war kalter Hagebuttentee. Nur das kleine Kaninchen aus einem Band des englischen Kinderbuchautors Richard Scarry hat es schlimmer erwischt: Als ihm die Mandeln entfernt werden, kommt nicht einmal seine Mama zu Besuch. Die bringt nämlich zwei Krankenhauszimmer weiter ein weiteres Kaninchen auf die Welt.

Aus England kommt eine Studie, wonach Krankenhausessen die Gesundheit gefährden kann. Das National Institute of Health and Care Excellence, das die Qualität des berüchtigten staatlichen Gesundheitswesens überprüft, hat herausgefunden, dass ältere Patienten das Krankenhaus oft mit Mangelerscheinungen verlassen. Weil sie das Essen entweder nicht vertragen oder sie es, hilfsbedürftig wie sie sind, nicht zu sich nehmen können.

Es ist schon paradox. Man geht ins Krankenhaus, um gesund zu werden, und dann erkrankt man am Essen. Hierzulande isst übrigens gerade mal die Hälfte der Patienten in Krankenhäusern ihr Mittagessen auf, wie die Deutsche Gesellschaft für Ernährung festgestellt hat. Das wiederum kann die Heilung verzögern und die Kosten erhöhen. Kein Wunder, dass Essen im Krankenhaus „Kost“ heißt.

Es geht auch anders. Am Hamburger Krankenhaus Jerusalem zum Beispiel wurde 2011 ein eigenes Restaurant eröffnet, das sich der guten Küche verschrieben hat. Es liegt in einem alten Backsteinhäuschen und heißt „Santé“, Gesundheit. Es steht Patienten, Angehörigen und Gästen offen, serviert werden Gerichte wie Flammkuchen, Risotto oder Hirschkeule mit Serviettenknödeln. Sogar „zwei ordentliche trockene Rieslinge“ gibt es zur Auswahl, wie der Restaurantkritiker einer Sonntagszeitung notierte.

Und wie wäre es mit Linsensuppe mit getrockneten Kirschen und Wildkräuter-Apfelreis? Oder gebratener Paprika an Erbsen-Minz-Püree und zum Nachtisch Kichererbsen-Dattel-Taler mit Honig-Joghurt-Sauce und gerösteten Pistazien?

Genau das bereitet Volker Mehl zu. Mehl ist Koch aus Wuppertal, jetzt steht er im Immanuel-Krankenhaus am Wannsee in einer Küche. Mit schnellen Bewegungen schnippelt er Paprika und Zwiebeln, hackt Pistazien und kippt Reis in siedendes Wasser. Nebenbei referiert er darüber, dass Radieschen die Verdauung aktivieren und dass man nie genug hochwertiges Olivenöl verwenden kann. Mehl kocht hier nicht zum Spaß – er soll dem Personal beibringen, wie man verträgliche und schmackhafte Krankenkost herstellt.

Um Mehl herum stehen Ärztinnen, Therapeutinnen und Heilpraktikerinnen. Sie füllen Gläser mit Süßkartoffelpüree und streuen Radieschenstücke und Blüten der Kapuzinerkresse darüber. Sie vermischen Joghurt mit Koriander zu einem Dip, formen Kichererbsenpüree zu Talern, die sie in Öl anbraten. Volker Mehl kommt vom Ayurveda, der traditionell indischen Heilkunst, die viel mit Ernährung zu tun hat.

Wenn Mehl spricht, wirft er das typische Ayurveda-Vokabular in den Raum. Da ist vom „Verdauungsfeuer“ die Rede, das „wie eine kosmische Sonne“ angefacht werden muss, und immer wieder geht es um die „Doshas“. Das sind verschiedene „Lebensenergien“, die einen Menschen zu einem von drei Typen machen, dem zart-dünnhäutigen Vata, dem leicht erregbaren Pitta oder dem kräftig-unbeweglichen Kapha. Was man essen soll, ist Typsache, es wird aber immer etwas mit Reis, Linsen, Obst, Gemüse, Trockenfrüchten, Nüssen, Getreide und Gewürzen sein.

Fleisch gibt es nur, wenn medizinischer Bedarf besteht, bei Auszehrung nach einer Tuberkulose etwa, am besten in Form von Hühnersuppe. Ob und wie viel Milch und Milchprodukte man essen soll, darüber streiten Experten. Dafür ist süß erlaubt. Honig nämlich, was den Süßbedarf von Übergewichtigen gut decke.

Volker Mehl, der mit seinem Doors-T-Shirt, den tätowierten Unterarmen und der Hipsterbrille angenehm wenig Esoterisches an sich hat, findet seine Küche in erster Linie „saulecker“. „Man hört immer: Ayurveda ist Koriander, fremdartig, Luxus, etwas für die Abgedrehten in Prenzlauer Berg, aber das stimmt nicht.“ Das Essen sei vor allem „leicht, regelmäßig und warm, so wie es früher bei Oma war“. Mit einem Schwerpunkt auf dem Mittagessen, und morgens gibt es auch mal einen süßen, warmen Getreidebrei mit Früchten.

Elmar Stapelfeldt arbeitet am Immanuel-Krankenhaus, er ist Indologe und wissenschaftlicher Mitarbeiter der Abteilung für Naturheilkunde der Charité. Spezialisiert auf Ernährung, berät er Patienten, die in die Ambulanz kommen, Leute mit Diabetes, Schlafstörungen und Herzerkrankungen. Stapelfeldt weiß, warum Krankenhausessen so ist, wie es ist. Weil viele Ärzte keinen Zusammenhang zwischen Essen und Genesung sehen, ausgenommen bei Diabetes. Und weil Patienten, das kam in Umfragen heraus, nun mal folgende Dinge am liebsten haben: Schnitzel, Pommes, Bratwurst, Nudelsalat, Kartoffelsalat und Ketchup.

Man versteht das ja auch. Wenn man zwischen Leben und Tod steht, gehört das Essen zu den wenigen Dingen, die einen an das Leben erinnern. David Wagner erzählt in „Leben“ über die quälenden Tage im Krankenhaus, die nicht vergehen wollen. Über die Unsicherheit, ob er das Spenderorgan erhält, das seine letzte Rettung ist. Immer wieder kommt er auf das Essen zurück. Dass es montags Eintopf gibt und der Spinat an Algen erinnert. Manchmal stellt er sich vor, dass unter der Kunststoffhaube eine Überraschung liegt. Eine Blume, ein Buch, ein abgeschnittener Finger oder ein frisches Herz. Das Essen teilt die Zeit ein, es sorgt für Alltag, wo schon lange keiner mehr ist. Und egal, wer im Nachbarbett liegt – übers Essen kann man immer schimpfen.

Indologe Elmar Stapelfeldt will, dass die Patienten zur Abwechslung verträgliche und gut schmeckende Gerichte bekommen. Während Volker Mehl den Ärztinnen und Therapeutinnen am Immanuel-Krankenhaus dampfendes Curry austeilt, erzählt Stapelfeldt, was ihm vorschwebt. Ayurveda soll am Immanuel- Krankenhaus Patientenkost werden. In Zeiten, in denen Krankenhäuser Fallzahlen erfüllen müssen, sei das „ein Alleinstellungsmerkmal“, sagt Stapelfeldt, der jetzt vom Ganzheitlichen zum Geschäftlichen kommt. Günstig sei das Ganze obendrein, arm an Fleisch und reich an Reis, wie diese Küche sei. Vier Euro darf Krankenhausessen, das heutzutage meistens von Cateringfirmen stammt, pro Tag und Patient durchschnittlich kosten.

Ärzte hat er auch schon auf seiner Seite, Christian Kessler etwa, Assistenzarzt und Indologe an der Abteilung für Naturheilkunde. Kessler spricht selbst mit Patienten über Ayurveda, das er als „uraltes Heilsystem und gleichzeitig hochmodern“ begreift.

Welches Ayurveda-Rezept kommt am besten bei den Patienten an, die er bei der Ernährungsumstellung berät? Die Möhren-Ingwer-Suppe, sagt Stapelfeldt. Und dann ist da noch dieser alte Sanskrit-Spruch. „Man möge keine Blätter essen“ lautet er, was Salat und anderes rohes Grünzeug als Nahrungsmittel eindeutig ausschließt. Das würde auch dem kleinen Kaninchen mit der Mandelentzündung gefallen.

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